Olaf und ich sind wieder zusammen mit Master Yoda unterwegs. Meine Stimmung ist noch immer gedrückt, ich trauere noch dem Arizona Trail nach. Olafs Rat, das Ganze abzuhaken, ist wohl richtig, aber schwer umzusetzen. Aber schließlich stimmt es: It is, what it is.
Von der Kleinstadt Patagonia nahe der mexikanischen Grenze geht es wieder nach Norden. In Grenznähe gibt es überall an den Straßen Kontrollpunkte der State Patrol, um den Drogenhandel und die illegale Migration von Mexiko in die USA zu erschweren. Unser Yoda wird nicht gecheckt, der Officer interessiert sich mehr für die Sandbleche an unserem Wagen als für etwaige Rauschmittel.
Wir fahren zum Saguaro-Nationalpark in der Nähe von Tucson. Die Kakteen mit ihren bizarren Formen sind wirklich sehr beeindruckend. Die größten Exemplare des Kakteenwaldes sind 150 bis 200 Jahre alt und ca. 10 bis 12 Meter hoch. Erst mit 70 Jahren beginnen sie damit, einen ihrer typischen Arme auszubilden. Maximal erreichen Saguaros ein Alter von 250 Jahren und eine Höhe von bis 15 Metern. Ihr Stamm besteht aus vielen steinharten Lamellen, zwischen denen Wasser gespeichert wird. Noch viele andere Kakteenarten und Pflanzen gibt es bei unserem Spaziergang zu entdecken, alle sind wehrhaft-stachelig. Nach dem ungewöhnlich nassen Winter blühen die gelben Büsche des Desert Gold sowie die bunten Wildblumen üppig. Ein wirklich lohnender Abstecher. Abends übernachten wir stilvoll in der Ebene zwischen Tucson und Phoenix zwischen Saguarokakteen.
Abgesehen von einem Stopp in Phoenix im Supermarkt und bei einem kommunalen Sportzentrum zum Duschen verbringen wir den ganzen Tag auf der Autobahn. Rund 550 Kilometer legen wir bis zum Hoover-Staudamm zurück. Der Colorado River wird durch ihn zum 165 Kilometer langen Lake Mead aufgestaut, der der Strom- und Wasserversorgung der Wüstenstadt Las Vegas dient. Der Ressourcenverbrauch dieser ständig wachsenden Glitzermetropole scheint unersättlich, der ursprüngliche Wasserstand des gigantischen Stausees ist im Laufe der letzten 30 Jahre um 40 Meter gesunken. Trotzdem wird fröhlich weiter gebaut: Casinos, Hotels, Golfplätze, uniforme Einfamilienhaussiedlungen überwuchern die felsige Landschaft. Nachts wird alles grell beleuchtet. Energiesparen, Klimawandel? Was ist denn das?
Über eine Schotterpiste erreichen wir abends das Ufer des Stausees, wo wir zwischen bunten Felswänden mit einem tollen Blick auf den See übernachten. Der Platz ist eine beliebte Stelle für Camper, so dass wir nicht alleine sind. Nachts funkeln die Sterne, Kojoten heulen. Den gesamten nächsten Tag verbringen wir am Stausee und sind mit Wartungsarbeiten am Yoda beschäftigt. Das Holz der Schränke muss geölt, die Schrauben der Möbel kontrolliert und die Kanisterhalter gesäubert werden. Unter den Kanistern wird der Autolack retouchiert. Da sie zu nah am Blech montiert waren, wurde der Lack durch den Sand abgescheuert, der sich zwischen Kanister und Blech gesetzt hat. Außerdem bekommt Yoda endlich seinen Sticker aufgeklebt. Einige Esel, die hier wild leben, kommen neugierig zu Besuch. Sonst sehen wir keine Tiere.
Der folgende Tag führt uns zunächst zum Hoover-Damm, den man gut von einem eigens für Besucher angelegten Fußweg auf der neuen Autobahnbrücke bewundern kann. Da der Damm als „kritische Infrastruktur von nationaler Bedeutung“ gilt, wird er als mögliches Ziel terroristischer Anschläge eingestuft. Entsprechend werden an der Zufahrt die Autos kontrolliert. Dem Officer kam die Dachbox unseres Yodas verdächtig vor. Nachdem Olaf auf das Dach geklettert war, um sie zu öffnen, wurde aber nur mal nachlässig mit einem an einer Stange befestigen Spiegel rein geschaut. Das Ganze hat vielleicht eher symbolische Bedeutung. Das amerikanische Sicherheitsbedürfnis ist manchmal schon pathologisch, ebenso wie der auch an einem so profanen Bauwerk wie einem Staudamm durch entsprechende Schautafeln zelebrierte Stolz auf die eigene Nation und die Armee. Sogar von der Teermaschine an einer Straßenbaustelle wehen die Stars and Stripes im XXL-Format. Auf Dauer kann einem das schon etwas auf den Geist gehen.
Über sehr großzügig ausgebaute Autobahnen – Platz spielt hier keine Rolle – queren wir Las Vegas. Die künstliche Kitsch-Welt der Downtown meiden wir. Im Supermarkt kaufen wir noch mal ein, denn wir wollen ungefähr eine Woche im Death Valley bleiben und hoffen auf gutes Wetter. Unmittelbar hinter der Stadt fahren wir wieder durch Wüste, selbst hier sind noch Einfamilienhausghettos scheinbar planlos zwischen die Schotterflächen gebaut. Wie kann man so leben? Schnurgerade führt der Highway durch die Wüste. In der Nähe des Death Valley übernachten wir nahe einer Piste mit weitem Blick über das Land. Nachts stürmt es so sehr, dass wir das Dach einklappen.
Das Death Valley ist einer der tiefsten, trockensten und heißesten Orte der Erde. Der Rekord liegt bei unsagbaren 57,7 Grad Celsius im Schatten, den es hier jedoch mangels größerer Pflanzen nicht gibt. Selbst jetzt im April beträgt die durchschnittliche Tagestemperatur 29 Grad Celsius. Soweit die Statistik.
Als wir uns aber dem „Tal des Todes“ nähern, beginnt es sogar zu regnen und am tiefsten Punkt des Tales sind es mal gerade 20 Grad. Im Sturm kommt uns das sogar noch viel kälter vor. So sitzen wir in Daunenjacke und Kapuze beim Mittagessen draußen am Visitor Center bei Furnace Creek. Dies ist die zentrale Anlaufstelle für alle Touristen. Es gibt Campingplätze, eine Tankstelle mit aberwitzigen Preisen, zwei Hotels mit Golfplatz und Pool – an einem Ort der Welt, an dem nichts kostbarer als Wasser ist – und das Visitor Center. Hier bekommt man Informationen zum Straßenzustand der Pisten. Alle Backcountry Roads, die in die bis zu 3300 Meter hohen Berge des Nationalparks führen, sind noch wegen Schnee gesperrt.
Wir rollen also zunächst auf Asphalt Richtung Norden. Der Wind bläst in der fast vegetationslosen Wüste so stark, dass der aufgewirbelte Staub die Sicht nimmt, ein echter Sandsturm, und wir das Auto nicht verlassen können. Wir bekommen ja kaum die Tür gegen den Wind auf. In unserem Yoda kommen wir uns vor wie in einem Weltraumfahrzeug, das einen fremden Planeten erforscht. Was für eine extrem lebensfeindliche Gegend. Und doch haben hier früher Indianer und Siedler gelebt und bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sogar nach Bodenschätzen gegraben.
Video zum Sandsturm auf der 95 während unserer Anfahrt zum Ubehebe Crater:
An den am Weg liegenden Aussichtspunkten und Trailheads fahren wir bewusst vorbei. Bei der miesen Sicht lohnt das heute alles nicht und wir heben uns die Sightseeingtour für die nächsten Tage bei hoffentlich besserem Wetter auf. So fahren ganz in den Norden des Valley bis zum Ubehebe Krater, wo die Racetrack Road, eine Schotterpiste in ein herrliches Hochtal, beginnt. Auf der Nordseite der Berge liegt noch Schnee, es ist ziemlich kalt. Einige Meilen nach Passieren des Kraters finden wir einen idealen Übernachtungsplatz mit Panoramablick über das Tal. Abends läuft die Standheizung, am Morgen sind es nur 2 Grad im Auto. Unsere warmen Daunenschlafsäcke sind Gold wert, ebenso die Einsamkeit abseits vom Rummel am Visitor Center und den trostlosen Wohnmobilstellplätzen.
Am anderen Tag hat sich der Sturm gelegt, die Sonne knallt vom makellos blauen Himmel. Unser erstes Ziel ist der Ubehebe Krater, der erst vor 2000 Jahren durch eine Gasexplosion entstanden ist. Wir umrunden den Krater auf einer kleinen Wanderung, der Wind pustet uns hier fast vom Grad. Das Death Valley ist vulkanischen Ursprungs und erinnert uns mit den bunten, schroffen Bergen, Wind und Wüsten oft an Island – so paradox das fast scheint. Am Nachmittag führt uns eine schöne Wanderung in den Fall Canyon, der von roten, scheinbar himmelhohen Felswänden gesäumt wird. Teilweise wird der Canyon ganz eng, das ist sehr beeindruckend. Der mittlere Teil der Strecke über den groben, weichen Schotter verläuft jedoch etwas langweilig durch ein relativ weites Felsental. Oder sind wir einfach schon zu verwöhnt, was spektakuläre Landschaft angeht? Abends steht unser Yoda wieder in völliger Einsamkeit und Ruhe an einer Backcountry Piste. Der Vollmond taucht wie ein Scheinwerfer das Tal in silbriges Licht, wunderschön.
Die kurze Wanderung am nächsten Tag in den Mosaic Canyon begeistert uns nicht wirklich. Es gibt zwar einige schöne Passagen, in denen der Canyon ganz eng wird. Aber hier sind eindeutig zu viele Leute unterwegs, die Nähe Stovepipe Wells Village mit Andenkenladen, Restaurants, Campingplatz und Hotel macht sich bemerkbar. Wir suchen wieder die Einsamkeit und landen im Cottonwood Canyon. Dort darf man abseits legal und kostenlos an ausgewiesenen Stellen übernachten, wenn man einen Permit bei der Ranger Station abholt. Der Ranger weist uns auf die Gefahren dieser angeblich sehr rauhen Piste hin, wir unterschreiben ein Formular mit allen möglichen Verhaltensweisen, die einzuhalten sind und das alles auf eigene Verantwortung läuft – da ist wieder dieser Regulierungswahn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten – und dürfen starten. Im Death Valley ist die Piste teils tiefsandig, ein wenig Wüstenfeeling.
Dann zweigt die Cottonwood Road in die Berge ab und wird steinig, bleibt aber vollkommen harmlos. Sogar normale Pkw treffen wir an, dazu gehört aber dann schon eine große Portion Mut. Ein paar Kilometer weiter sind wir dann völlig alleine und finden unseren markierten Stellplatz oberhalb des ausgetrockneten Cottonwood Creek mitten im Nirgendwo. Es ist einfach nur wunderbar hier, abseits der Besucherströme, die die wegen ihres eingeschränkten Zeitbudgets nur die Hauptsehenswürdigkeiten der Reihe nach abklappern können. Wie herrlich ist es, Zeit im Überfluss zu haben, bei idealen Frühlingstemperaturen vor dem Auto zu sitzen oder Kleinigkeiten entdecken zu können: die Spuren von Eidechsen im Sand oder die Vielzahl von Frühlingsblumen, die Trockenheit und Hitze trotzen und die nun Nahrungsquelle winziger Kolibris sind. Bis weit nach Sonnenuntergang sitzen wir draußen, das erste Mal auf dieser Reise.
Es geht wieder in den südlichen Teil des Parks. Im „Family Restroom“, der Behinderten-und Familientoilette, des Visitor Center in Furnace Creek können wir uns gründlich waschen. Der nächste Stopp ist der Artists Drive, eine tolle einspurige, geteerte Strecke durch eine bunte Felsenlandschaft – ein Highlight des Death Valley. Devils Golf Course und das Badwaterbasin, der Salzsee im Talgrund und mit 86 Metern unter dem Meeresspiegel der tiefste Punkt der westlichen Hemisphäre, zählen natürlich zum Pflichtprogramm. Der Salzsee wird nicht durch Niederschläge gebildet, sondern durch einen unterirdischen Fluss, der hier an die Oberfläche kommt und verdunstet.
Die blendend weiße Salzfläche mit den schneebedeckten Bergen im Hintergrund ist schon spektakulär. Hier sehen wir die meisten Touristen. Doch sind wir bald wieder alleine auf der Straße und auf der Harry Wade Road, einer Schotterpiste im Süden des Valley, finden wir wieder einen sehr schönen Übernachtungsplatz. Grundsätzlich gilt die Regel, dass im Death Valley Nationalpark auf Dirtroads eine Meile nach dem Abzweig von der Asphaltstraße übernachtet werden darf. So soll wohl gesichert werden, dass die Wohnmobile auf den Campingplätzen bleiben. Manchmal ist diese Schutzzone auf einen größeren Bereich ausgedehnt oder man braucht einen Permit. Es gibt ein umfangreiches Regelwerk zum Übernachten im Nationalpark.
Das Death Valley überrascht uns wirklich. Wer hätte gedacht, das es hier Schnee auf den Bergen und Schildkröten gibt, man im Frühling tolle Wanderungen unternehmen kann und in den höher gelegenen Tälern grüne Wiesen und duftende Wildblumen zu finden sind? Durch eine dieser Oasen führt die Greenwater Valley Road, eine gute Schotterpiste, auf der wir von Süden nach Norden durch das Greenwater Valley zum Aussichtspunkt Dantes View fahren.
Zwischendurch passieren wir die Reste der Bergbausiedlung Greenwater. Nur ein Haufen verrosteter Schrott zeigt, dass vor rund 100 Jahren hier Menschen arbeiteten. Niemand begegnet uns. Auf halber Strecke schreckt uns ein schepperndes Geräusch am linken Vorderreifen auf. Ein Stein hat sich zwischen der Scheibenbremse und ihrer Schutzabdeckung verklemmt. Er lässt sich erst entfernen, nachdem der Reifen abmontiert ist. Nach dieser kleinen Einlage beenden wir schon mittags die Fahrt und stehen wieder einmal in völliger Einsamkeit in dieser weiten Landschaft. Für uns ist der Nationalpark auf den abgeschiedenen Backcountry Roads am schönsten.
Am nächsten Morgen fahren wir ca. 30 Minuten bis zum Aussichtspunkt Dantes View hinauf. Von dort sehen wir über das gesamte Badwater Basin, das 1700 Meter tief unter uns liegt. Ein Blick wie aus dem Flugzeug, wirklich überwältigend. Wir halten uns den gesamten Vormittag dort auf. Leider ist der Himmel ziemlich dunstig, die Sicht also nicht optimal. Da für den nächsten Tag klares Wetter angekündigt ist, beschließen wir, einen weiteren Tag im Greenwater Valley zu bleiben und dann zum Frühstück am nächsten Morgen wieder hier herauf zu fahren.
Das Warten hat sich gelohnt und ein Osterfrühstück bei Sonnenaufgang mit phantastischen Blick auf das Badwater Basin mit den schneebedeckten Bergen im Hintergrund ist schon etwas Besonderes. Dafür stehen wir auch gerne schon um 6.00 Uhr auf. Danach fahren wir zum Zabriskie Point. Dieser Aussichtspunkt bietet einen Blick auf besonders farbenprächtige Sandsteinformationen. Eine kleine Wanderung von dort über den Badlands Loop zwischen den bunten Hügeln wird eine schweißtreibende Angelegenheit, denn das Wetter ist nun so, wie man es im Death Valley erwartet. Fast 30 Grad zeigt das Thermometer im Schatten. Die Rundfahrt durch den 20 Mule Team Canyon zeigt die gleiche Landschaft, ohne dass man das Auto verlassen muss. Wie anders sollte es auch sein in einem Land, in dem man vom Einkauf bis zur Hochzeit oder Beerdigungsfeier fast alles als „Drive Through“ erledigen kann.
Nach 6 wirklich sehr schönen Tagen im Death Valley machen wir uns wieder auf den Weg nach Las Vegas. In Pahrump wird im Walmart die Vorratskiste aufgefüllt. Der Ort mit nur knapp 3000 Einwohnern ist das Versorgungszentrum im Umkreis von ca. 100 Kilometern. Eigentlich ist es nur eine ca. 10 Kilometer lange Ansammlung von in der Wüste weitverstreuten Einfamilienhäusern und einigen Geschäften am Highway, eben ein typisch amerikanisches „Dorf“. Da beginnt man zu verstehen, warum die Amis ohne Auto schlicht nicht leben können.
In den Bergen vor Las Vegas verlassen wir den Highway und rumpeln über eine schlechte 4 WD-Piste hinauf in die Einsamkeit zu einem ruhigen Übernachtungsplatz. Gott sei Dank haben wir unseren zuverlässigen Master Yoda, ohne den wir solche Plätze nicht erreichen könnten.
Bewegte Eindrücke aus dem Death Valley:
Danke für einen weiteren spannenden Reisebericht mit sehr schönen Bilder! Und hoffentlich beginne ich auch, wie diese Kakteen, erst richtig zu blūhen wenn ich siebzig bin