Schon zum dritten Mal auf unserer Tour sind wir wieder in Las Vegas. Es stehen Wartungsarbeiten an unserem Landcruiser an. Zum einen brauchen wir mal wieder nach 10 Tagen dringend eine Dusche und die Kleidung muss gewaschen werden. Zum anderen muss Master Yoda nach insgesamt 40.000 Kilometern zur Inspektion. Im kommunalen Aquatic Center kann man als Senior, und das ist man hier schon ab 55 Jahren, für nur 2 Dollar schwimmen gehen. Die Bewegung tut gut, die Duschen sind perfekt. Bei der Autowerkstatt Wally’s Precision Autocare direkt im Stadtzentrum vereinbaren wir für morgen einen Wartungstermin. Am Empfang ist man zuerst skeptisch, ob ein Termin kurzfristig möglich ist. Der Mechaniker ist aber dann total aus dem Häuschen, als er unseren Yoda sieht und freut sich wie Bolle, dass er die Ehre hat, die Inspektion zu machen. Mit einem Einkauf im Supermarkt und dem Besuch einer Laundry ist dann auch schon fast der Tag ausgefüllt.
Nachmittags machen wir es uns unter schattigen Bäumen in einem Park am Stadtrand gemütlich. Hier wollen wir auch auf dem Parkplatz davor übernachten. Ganz plötzlich ist es Sommer geworden. Das hindert den Eismann, der mit seinem Auto um den Park herumfährt, aber nicht daran, ausdauernd Weihnachtslieder zu spielen, um auf sich aufmerksam zu machen. So sitzen wir bei 30 Grad Celsius auf dauerberegnetem grünen Rasen, blicken hinaus in die Wüste und lauschen am Ostermontag den Klängen von „Stille Nacht, heilige Nacht“. Und niemand außer uns findet das merkwürdig.
Nach Sonnenuntergang erwacht der Park erst zum Leben. Der leere Parkplatz ist bald voll besetzt. Großfamilien schleppen riesige Kühltaschen zu den Picknickplätzen, die Barbecues glühen. Auf einem Platz wird schwungvoll Salsa getanzt, am Baseballfeld üben die künftigen Helden der Nation werfen und fangen. Mum und Daddy stehen am Rand und geben kluge Kommentare, wie überall auf der Welt. Für die vierbeinigen Lieblinge gibt es eingezäunte Auslaufplätze, und zwar gleich drei nebeneinander, die für jeweils verschiedene Größenklassen von Hunden vorgesehen sind. Überall hängen große Schilder mit mindestens 15 Verhaltensregeln, die unter Androhung von Strafen einzuhalten sind. Es ist echt spannend, den ganz normalen Alltag der Durchschnittsamerikaner zu studieren. Da kann selbst die in allen Bonbonfarben erleuchtete Glitzerwelt der Casinos und Hotels am Las Vegas Strip, die wir von hier aus sehen können und deren Lichtschein bis ins 200 Kilometer entfernte Death Valley zu sehen war, nicht mithalten. Und zu alledem ertönen pausenlos die Weihnachtslieder des Eismanns. Oh du fröhliche….
Am Abend leert sich der Park, trotzdem schlafen wir schlecht. Obwohl die Sportanlagen jetzt geschlossen sind, erleuchtet das Flutlicht alles taghell. Das bringt die armen Vögel so durcheinander, dass sie die ganze Nacht über zwitschern müssen. Morgens um drei wird die Rasenbewässerung aktiv und duscht unseren Yoda. Regelmäßig klatscht ein kräftiger Schuss gegen Fenster und Dachzelt. Gut, dass alle Luken zu sind. Um 8.00 Uhr stehen wir unausgeschlafen, aber – typisch deutsch – pünktlich vor der Werkstatt. Von dort erreichen wir in einer halben Stunde Fußmarsch den weltberühmten Strip, wo wir uns die Zeit vertreiben, bis unser rollendes Zuhause wieder einsatzbereit ist.
Über eine Länge von drei Kilometern reiht sich ein gigantischer Hotel- und Casinokomplex an den nächsten. Besonders beliebt sind Nachbauten von historischen Städten. So gibt es ein französisches Ressort mit Eiffelturm, Triumphbogen und Oper. Oder Cesars Palace als Replik von Rom inklusive Trevibrunnen und Colosseum. Little Venice mit Gondeln auf dem Canale Grande darf nicht fehlen, ebensowenig New Yorks Empire State Building samt Freiheitsstatue. Im tiefgekühlten Inneren der Ressorts befinden sich im Erdgeschoss die Casinos und Showsäle, darüber häufig Luxusläden der edelsten Prestige-Marken und dann die zigtausend Hotelzimmer dieser Paläste. Protz und Kitsch kennen keine Grenzen.
Mein persönliches Highlight sind jedoch die, natürlich riesengroßen, zu Musik „tanzenden“ Wasserfontänen im künstlichen See vor dem Hotelressort Bellagio. Sogar zum pathetisch vorgetragenen Gesang der amerikanischen Nationalhymne bewegen sie sich. Unglaublich.
Überall auf dem Strip drängen sich die überwiegend amerikanischen Touristen, meist in kurzer Hose und extrem knappen Top, ungeachtet der oft sehr üppigen Leibesfülle. Und mittendrin liegen Obdachlose auf dem Fußweg oder betteln vor den Casinoeingängen. Uns erschlägt die Maßlosigkeit dieser künstlichen Welt und diese allein auf Konsummaximierung ausgerichtete Kultur. Es ist interessant, aber grauenhaft.
Gegen 16.00 Uhr können wir unseren Yoda wieder abholen. Die umfangreiche Wartung mit Austausch aller Öle und diverser Filter, Rotation inklusive Auswuchten der Reifen und vieles mehr kostet rund 1100 Dollar. Zum Abschied bekommen wir jeder eine Baseballkappe mit dem Logo der Werkstatt geschenkt.
Nach rund 90 Minuten Fahrt erreichen wir abends die Berge in der Nähe des Valley of Fire, unserem nächsten Reiseziel. Es tut gut aus dem Trubel der Stadt heraus zu sein. Den nächsten Tag verbummeln wir mit Nichtstun, denn der Himmel zeigt sich bewölkt. Um die Farben der bunten Sandsteinfelden im Statepark wirklich genießen zu können, braucht man Sonnenschein.
Video Valley of Fire, Rainbow Vista:
Genau den haben wir dann am Tag darauf. Im Valley of Fire findet man die buntesten Sandsteinberge im Südwesten. Eigentlich sind es ja zu Stein verhärtete Dünen, die je nach Gehalt von Eisenoxid unterschiedliche Farben haben. Die Palette reicht von glutrot über orange, gelb und grün. Manche Berge sind sogar in allen Farben gestreift. Darüber knallt der tiefblaue Himmel. Als wäre das nicht prächtig genug, blühen auf dem roten Sandboden ganze Teppiche der schneeweißen Desertprimrose.
Absolut surreal und spektakulär. Von der Straße, die durch den State Park führt, zweigen immer kurze Wanderwege ab, die uns durch diese Wunderwelt der Canyons und Felsen führen. Mal geht es über den griffigen Fels mit tollen Ausblicken oder tiefen Sand, mal durch enge Schluchten, durch die so gerade ein Mensch hindurch passt. Was für ein herrliches Erlebnis, das wir allerdings mit ziemlich vielen anderen Touristen teilen. Wie klein die Welt ist, erleben wir an einem Parkplatz. Wie immer, werden wir auf unseren Master Yoda angesprochen, dieses Mal jedoch auf Deutsch. Der Familie ist unser Kennzeichen aufgefallen. Lustigerweise kommen sie aus Mühltal bei Darmstadt, wo wir bis vor kurzem gelebt haben. Und damit nicht genug, denn ihre Tante wohnt bei uns in Bad König-Zell direkt um die Ecke.
Abends stehen wir dann wieder glücklich in der Einsamkeit der Halbwüste, nur ein wilder Esel leistet uns Gesellschaft und nachts heulen die Kojoten. Jeden Tag so ein Touri-Highlight abzuhaken und dann abends auch noch auf einem vollen Campingplatz zu stehen, das wäre einfach schlicht zu viel. Am nächsten Morgen fahren wir auf der Interstate 15 nach St. George, das bereits in Utah liegt. Duschen im Community Sport Center und Einkauf sind angesagt. Nachmittags führt uns eine tolle, teilweise jedoch mit tiefen Längsrillen garnierte Lehmpiste hinauf in die Hochebene zum Yant Flat Trailhead. Endlich ist die Luft wieder frisch und die Landschaft grün, herrlich lichter Kiefernwald umgibt uns. Im Hintergrund erheben sich mächtige schneebedeckte Felsberge.
Die Nacht war überraschend kalt, bei nur ca. 3 Grad hatten wir morgens sogar kurzzeitig die Standheizung an. Am Vormittag stand eine Wanderung über den Yant Trail an. Ein sehr schöner, sandiger Pfad führt uns zwischen Kiefern und Kakteen zur Abbruchkante der Hochebene. Auch hier sind, neben der weiten Aussicht in die Ebene und zu den schneebedeckten Bergen des Zion National Park National, wieder kunterbunte Felsen zu bewundern. Der Weg ist jedoch kein Geheimtipp. Heute am Samstag sind einige Wanderer unterwegs. Auch auf unserer weiteren Fahrt talabwärts über die nun sehr guten Piste sehen wir sehr viele Wohnmobile und Zelte in den Abzweigungen stehen.
Nach der Mittagspause in St. George lockt schon wieder die nächste Piste. Wir machen uns auf den rund 250 Kilometer langen Weg zum Nordrand des Grand Canyon. Der Aussichtspunkt Toroweap ist von St. George ausschließlich über die Schotterpiste 5 zu erreichen. Auch auf dieser Piste ist wegen des Wochenendes einiges los. ATV und Geländewagen donnern in hohem Tempo vorbei. Steine fliegen und wir werden regelmäßig in dichte Staubwolken gehüllt. Die unendlich weite Landschaft ist grandios. In 1500 Metern Höhe weichen die Pinien wieder stacheligen Sträuchern. Der Blick reicht bis zum Horizont, ein unglaubliches Gefühl von Freiheit.
Am Nachmittag stehen wir abseits der Hauptpiste auf einem Hügel, ein toller Übernachtungsplatz mit weitem Blick. Abends färbt die untergehende Sonne den Himmel rot-orange. Mich hält es diese Nacht nicht im Yoda, in dieser Landschaft ist eine Übernachtung unter freiem Himmel das einzig Wahre. Während der Dämmerung singen noch einige Vögel ihr Abendlied, dann ist es vollkommen still. Nach und nach erscheinen immer mehr Sterne, bis der Himmel ein einziges Flimmern und Glitzern ist. Sogar die Milchstraße ist zu sehen. Ich liege im behaglichen Schlafsack und bin einfach nur glücklich und dankbar. Was für ein herrliches Leben!
Weiter geht es auf unserer Piste Nummer 5 durch die weite Prairie. Wir nähern uns dem hoch aufragenden Plateau, hier am Fuß der Berge gibt es etwas Wasser, vereinzelt sind Wassersammelbecken als Viehtränke angelegt. Wir sehen Rinder und in der Ferne einige Farmhäuser, richtiges Cowboy-Land. Ende des 19. Jahrhunderts gab es hier sogar einen kleinen Ort. Mount Trumbull hatte bis zu 250 Einwohner, der letzte dauerhafte Siedler verließ das Dorf 1985. Das alte weiße Schulhaus kann heute noch besichtigt werden. Innen hängen Fotografien der Dorfbewohner. Ein interessanter Platz.
Nach Mount Trumbull wird die Piste deutlich rauher und felsiger, teilweise aber auch mit tiefen Spurrillen, die entstehen, wenn nach Regenfällen die Piste befahren wird. Bei Nässe wird der lehmige Boden nämlich eine einzige Schlammsuhle. Es geht hinauf in die Berge bis auf 2000 Meter Höhe. Plötzlich sind wir in hohen Pinienwald, vereinzelt liegt sogar noch Schnee. Einige hundert Höhenmeter tiefer erreichen wir die Abzweigung zum noch 20 Kilometer entfernten Toroweap Overlook. Hier beenden wir mittags die Fahrt.
Am nächsten Morgen fahren wir auf guter Piste weiter durch ein schönes Hochtal, nach 13 Kilometern ist eine Rangerstation des Grand Canyon Nationalpark erreicht. Eigentlich braucht man ab hier einen Permit, um weiter bis zum Grand Canyon zu fahren. Hierdurch möchte man die Anzahl der Besucher regulieren. Wir haben natürlich versäumt, diese Erlaubnis über die Webseite des Nationalparks zu buchen. Mit einem deutschen Fahrzeug haben wir wohl einen Extrabonus, denn die nette Rangerin lässt uns nach einem kleinen Smalltalk passieren. Die letzten 5 Kilometer wird die enge Piste richtig übel. Ohne Allradantrieb, viel Bodenfreiheit und Untersetzungsgetriebe sollte man hier nicht unterwegs sein und wird man auch nicht eingelassen. Sehr steile Passagen mit hohen Felsstufen und großen, spitzen Steinen wechseln mit sandigen Abschnitten. Olaf und Yoda werden gefordert, sind aber ein echt gut eingespieltes Team.
Die Mühe lohnt sich. Am Aussichtspunkt ist der Blick wirklich atemberaubend. Der Grand Canyon ist hier ganz schmal mit senkrechten Felswänden bis hinunter zum schlammig-braunen Colorado River, 900 Meter tiefer. Ein unglaubliches Gefühl, direkt an der Abbruchkante zu stehen und in diesen wortwörtlich schwindelerregenden Abgrund zu blicken. Wie winzig ist der Mensch in dieser gewaltigen Landschaft.
Ein einmaliges Erlebnis, vor allem auch deshalb, weil hier kein Touristen-Rummel herrscht. Die Piste, zwei Picknicktische und ein Plumpsklo – das sind die einzigen Spuren der Zivilisation. Niemand außer uns ist hier. In vollkommener Ruhe können wir das Naturwunder ganz für uns genießen, welch ein Luxus. Mehrere Trails führen am Rim entlang, mit spektakulären Blicken. Den ganzen Tag verbringen wir am Canyon. Genau so haben wir uns das erträumt.
Was für ein Kontrast zum Zentrum des Grand Canyon-Tourismus am South Rim Village, wo wir vor rund 30 Jahren schon waren und bereits damals der Rummel für uns unerträglich war. Heute drängen sich dort unfassbare 6 Millionen Besucher im Jahr. Um die Massen zu bewältigen, werden Großparkplätze und Shuttlebusse benötigt. Der Grand Canyon ist nur die Kulisse und wird mit Rundflügen, Muliritten, Schnellrestaurants, Hotels und Abdenkenläden maximal vermarktet.
Master Yoda ermöglicht uns die versteckten Plätze weitab von der Touristenroute zu finden. Für diesen unbezahlbaren Luxus leben wir gerne auf 2,5 Quadratmetern, ohne irgendeinen Komfort zu vermissen.
Video vom Toroweap Lookout:
Blick vom Toroweap Lookout auf Boote tief unten auf dem Colorado:
Einen weiteren Tag verbringen wir auf einigen der unzähligen spannenden Pisten des Kanabplateau, das an den Nordrand des Grand Canyon grenzt. Die manchmal extreme Schräglage des Wagens bei tiefen Spurrillen entlockt mir nun keine spitzen Entsetzensschreie mehr, ich schließe einfach die Augen, atme tief durch und vertraue auf das Olaf-Yoda-Team. Wir fahren durch unendlich weite Prairie mit blaugrünem Gras, über die der Wind mit roten Staubwolken fegt, begegnen frei umher ziehenden Rinderherden und sogar drei Cowboys, die unvergleichlich lässig auf dem Pferd sitzen und zum Gruß cool wie John Wayne mit zwei Fingern an die Hutkrempen tippen – abseits der Asphaltstraßen gibt es ihn doch noch, den alten Wilden Westen. Der Preis für dieses Mini-Abenteuer ist ein total versandetes Zuhause. Einfach überall knirscht der rote Staub, der durch jede Ritze dringt.
Nach 280 Kilometern Dirtroad rollt Yoda am nächsten Tag wieder einige Meilen über Asphalt bis zur Kleinstadt Kanab. Wirklich erstaunlich, wieviel intensiver das Landschaftserlebnis bei einer Fahrt auf einer Schotterstraße mit 30 km/h ist. Es ist überraschend kalt geworden, im eisigen Wind erscheinen die 12 Grad Maximaltemperatur noch deutlich frischer. In Kanab werden die Vorräte ergänzt, im Visitor Center des Grand Staircase Escalante National Monument informieren wir uns über den Zustand der Pisten und spülen uns im Family Washroom den Staub aus den Haaren. Dann sind wir bereit für neue Abenteuer im Felsenwunderland.
Wow das klingt echt nach einer super Etappe!!