Nach der wunderschönen, aber sehr betriebsamen Stadt Prag schwingen wir uns wieder in den Sattel und treten die 650 km lange Heimfahrt an. Unsere Route verläuft über den Paneuropa-Radweg, der Prag mit Paris verbindet. Am Ende der Reise sind wir ca. 1500 km auf unserer Rundfahrt geradelt und waren 26 Tage unterwegs gewesen.
Übrigens: Olaf produzierte zu jedem Touren-Tag einen Instagram-Beitrag.
Von Prag nach Strasice (80 km)
Schon um 8.30 Uhr starten wir am 24.6. zur Heimreise. Wieder einmal ist das Wetter ideal zum Radeln und, oh Wunder, der Wind hat sich gedreht, so dass er uns nicht nur auf der Hinfahrt nach Prag, sondern auch jetzt von hinten sanft schiebt. Wenn das kein Komfort ist!
Die ersten 30 km sind identisch mit dem Eurovelo 4, die Strecke sind wir also bereits vor 2 Tagen in Gegenrichtung gefahren. Allerdings gehört uns heute der Radweg alleine, denn die Wochenendausflügler müssen ja montags arbeiten. Auf wundersame Weise kommen wir genau zur passenden Uhrzeit für ein zweites Frühstück in Dobrichovice an. Das exzellente Café in diesem schicken Wohnort ist uns von der Hinfahrt nach Prag in sehr guter Erinnerung, aber leider hat es heute geschlossen. So begnügen wir uns mit einem Croissant aus dem Supermarkt. Ach, wir haben es schwer.
Ab Zadni Treban radele ich dann auf unbekannten Terrain. Olaf war auf den Paneuropa ja bereits vor vielen Jahren nach Prag unterwegs. Der Radweg führt auf praktisch autofreien Sträßchen von der Berounka weg und steigt sanft, aber stetig aus dem Tal auf die Höhen. Weit reicht nun der Blick über das hügelige Westböhmen. Die Weizenfelder färben sich goldgelb, Feldlerchen jubilieren im blauen Sommerhimmel, in den Dörfern duften die prächtigen Linden. Wie friedvoll ist es hier. So schön die Sightseeingtour in Prag auch war, wir sind einfach keine Stadtmenschen und daher froh, wieder auf unseren Rädern in Ruhe durch diese ländliche Abgeschiedenheit strampeln zu dürfen.
Abgesehen von einigen kleinen Gefällstrecken, die wir genußvoll heruntersausen, radeln wir überwiegend bergauf. Trotzdem kommen wir gut voran. Das liegt bestimmt nicht am Rückenwind und der glatt asphaltierten Straße, sondern mit Sicherheit ausschließlich an unserer bärenstarken Kondition nach den rund 880 geradelten Kilometern der Hinfahrt!
Interessanterweise sehen wir auf dem Paneuropa-Radweg ziemlich viele Tourenfahrer, heute bereits 15 Radler. Olaf war damals noch allein auf weiter Flur. Der Radweg scheint sehr populär geworden zu sein oder liegt das an den meist genutzten E-Bikes, für die es in manchen Orten sogar öffentliche Ladestationen gibt?
Und heiß ist es heute wieder! Was ein Luxus, dass hier noch in jeder winzigen Ortschaft ein antiker Coop-Supermarkt mit Joghurt, Limo und Eis existiert! Ja, Tschechien ist ein tolles Fahrradland. Ungefähr alle 10 km passieren wir diese kleinen Oasen. Horovice ist dagegen eine richtige Stadt, zu deren Marktplatz es steil bergauf und direkt danach wieder steil runter geht. Hinter dem Ort radeln wir dann für einige Zeit abseits der Straße auf guten Schotterwegen, aber kein Vergleich zu den Pisten des Eurovelo 4. Die Gegend um Komarov ist von Kleinindustrie geprägt, auch der Autobahnanschluss ist nicht weit. Hier gibt es relativ viel Autoverkehr auf unserer Landstraße, aber selbst die schweren Lkw fahren rücksichtsvoll.
Dann wird es wieder ländlich ruhig. Ein Feldweg, der noch einige Asphaltreste aufweist, führt uns über einen Höhenrücken zur höchsten Stelle unserer Etappe. Auf 550 Metern Höhe gibt es statt Feldern nur Weiden und Nadelwald. Schließlich geht es kurz vor dem Ort Strasice endlich bergab. Nach 80 genussvollen Kilometern beenden wir den Tag in der neu renovierten Pension Berten, die preiswerte und sehr schöne Zimmer für Radler, einen Fahrradabstellraum und sogar Werkzeug für kleinere Reparaturen anbietet.
Von Strasice nach Vranov (74 km)
Wieder so ein heißer Sommertag. Hinter Strasice fahren wir auf steilen, holprigen Waldwegen überwiegend bergab. Im dichten Nadelwald fallen morgens die Sonnenstrahlen schräg zwischen die Bäume, Fingerhut leuchtet in weiß, rosa und violett. Am Steg über einen Waldbach entdecken wir zwei winzige Spielzeug-Wasserräder, die liebevoll mit Plastikfiguren dekoriert sind. Solche Kuriositäten sieht man nur zu Fuß oder per Rad. Weiter unten im Tal ist dann dieser Bach zu einem Teich gestaut, dessen Wasserkraft ein Hammerwerk antreibt.
Danach folgt ein steter Wechsel zwischen Auf-und Abstiegen. Da ist eine kleine Pause am See neben dem Campingplatz Zadni Trebsni angesagt, vor allem, weil danach eine langgezogene, anstrengende Steigung auf die Höhenrücken vor Plzen/Pilsen folgt. Schon kann man die monströsen Hochhausviertel der Stadt sehen. Natürlich geht es noch ein paar Mal hoch und runter, ehe wir mittags nach 40 km die viertgrößte Stadt des Landes erreichen.
Der Paneuropa geht direkt an der gigantischen Brauerei vorbei, die wohl die eigentliche Attraktion der Stadt ist. Pilsener Bier ist weltberühmt und zählt zu den Grundnahrungsmitteln. Ziemlich enttäuscht sind wir von der Altstadt um den kahlen, gepflasterten Marktplatz. Zwar gibt es auch hier sehr schöne alte Häuser, doch die Erdgeschosse mit großen Schaufenstern und Leuchtreklamen zerstören die Charakteristik der kleinteiligen Fassaden. Wirklich sehenswert ist eigentlich nur die gotische St.Bartholomäus-Kirche in der Mitte des Platzes.
Entgegen unserer Erwartung ist der Nachmittag aber dann so richtig anstrengend. Schon aus der Stadt heraus wird es steil. Dann ein ewiges Auf und Ab, teils auf aberwitzigen Wegen. Mein Favorit ist der mit 18 % abschüssige Pfad in einem schmalen Hohlweg mit groben, losen Schotter, garniert mit betonierten Querrillen, der in einem engen Fußgängertunnel unter der Bahnstrecke mündet. Kreativ auch ein so gerade reifenbreiter Wiesenpfad zwischen hohen Brennnesseln. Hier ungeplant abzusteigen ist bei einer kurzen Fahrradhose keine gute Idee. Eine echt schweißtreibende Strecke, die uns durch die Abgeschiedenheit Westböhmens führt.
Im Örtchen Plesnice stürmen wir den winzigen, natürlich von Vietnamesen geführten Potraviny (Lebensmittelladen), gönnen uns jeder einen halben Liter Joghurt und ein Eis. Das vom Ladeninhaber freundlich angebotene Pivo lehnen wir dankend ab. Bei dieser Affenhitze hätte ein Bier fatale Folgen für unser Fortkommen, da sind wir nicht so gut trainiert sind wie die Männer mit den glasigen Augen, die mit ihrem Bierkrug stets vor diesen kleinen Läden sitzen. Und es sind ja auch nur noch 10 km bis zum Campingplatz.
Doch die haben es hinsichtlich Steigungen und Streckenzustand in sich, besonders das letzte Stück am Ufer des Stausees ist mit einigen Schiebestrecken beim endlosen hoch und runter heftig. Kurz nach 18.00 Uhr und 74 km Berg-und Talfahrt wanken wir erschöpft auf den einsam gelegenen Campingplatz am Stausee bei Vranov. Jetzt sehnen wir uns nur noch nach einer Dusche. Aber die hat laut Campingplatz-Verwalter leider schon seit 10 Minuten geschlossen. Doch wenn wir jetzt sofort, noch vor dem Zeltaufbau, ganz schnell unter die Dusche springen, würde man uns ausnahmsweise noch einmal die Räume aufschließen. Wir sind zugegebenermaßen verblüfft. Überall hängen hier außerdem Verbotsschilder. An den Waschbecken dürfen nur Hände gewaschen und Zähne geputzt werden, alle anderen “Hygienemaßnahmen sind in der Dusche durchzuführen”, auf das „Heraustragen von Wasser aus dem Gebäude“ steht eine Geldbuße, die Küche darf nur 10 Minuten nach Zahlung einer Gebühr genutzt werden usw.. Man fühlt sich nicht so wirklich willkommen.
Also duschen wir in Rekordzeit, zahlen dafür pro Person 2 Euro extra und geben den Schlüssel der schon ungeduldig wartenden Verwalterin zurück. Dann haben wir endlich „Freizeit“.
Von Vranov nach Stredisko (42 km)
Same procedure as last day. Hoch und runter, teilweise über Straße, am Vormittag meist jedoch auf sehr schlechten Waldwegen, die grobschottrig oder durch Forstarbeiten total zerfahren sind, eine elende Schufterei. Echte Highlights dazwischen sind die idyllischen winzigen Weiler, deren alte Häuschen sich um den Dorfteich gruppieren. Für die 14 km bis Kladubry brauchen wir 1,5 Stunden. Die Luft ist schon morgens gewittrig schwül und der anstrengende gestrige Tag steckt uns zusätzlich in den Knochen.
Kladubry ist im ganzen Land berühmt für sein großes barockgotisches Kloster, das man jedoch nur im Rahmen einer Führung besichtigen kann. Das Innere der Klosterkirche wurde von den Brüdern Asam gestaltet, die vor allem in Süddeutschland berühmte Bauwerke, wie z.B. Kloster Weltenburg, errichteten. Doch die prachtvolle Kirche mit der goldenen Krone sieht auch von außen sehr eindrucksvoll aus.
Einen Kilometer weiter sind wir, natürlich mit kräftigem Gefälle und ebensolcher Steigung direkt danach, im Ort Kladubry, um uns mit gutem Kaffee und zuckrig-pappiger Cremetorte zu stärken, denn es ist höchste Zeit für das zweite Frühstück. Kein Zweifel, ohne die tägliche Strampelei würden wir bald solch dicke Bäuche von uns herschieben wie die meisten Leute hier.
Unsere Beine fühlen sich heute ähnlich schwabbelig an wie die Vanillecreme in der Torte. Und ab dem Nachmittag soll es Gewitter geben. So beschließen wir, statt der geplanten 84 km bis Waidhaus in Deutschland, die Etappe zu halbieren und nur noch 28 km weiter zum Campingplatz Rekreachi Stredisko Sycherak zu radeln. Wieso sollten wir uns hetzen, wo uns doch Böhmen so gut gefällt? Also kaufen wir hier noch Obst für unser Frühstück ein, denn hinter Kladubry werden die Orte noch seltener und kleiner.
Auch für den Rest der Strecke bleibt der Grundsatz “Nach dem Hügel ist vor dem Hügel” erhalten. Doch fahren wir nun ausschließlich auf Asphalt. Die Wegeführung des Paneuropa wurde geändert und wo sich Olaf vor etlichen Jahren noch über unwegsame Waldpisten quälen musste, gleiten wir nun über kurvige, autofreie Sträßchen. Das macht die Steigungen deutlich erträglicher und die Gefällstrecken sind einfach nur purer Fahrspaß.
Trotzdem war die Entscheidung für diese kurze Etappe gut, denn der Himmel färbt sich schon dunkelgrau. So können wir bereits ab 14.30 Uhr eine ruhigen Nachmittag auf dem angenehm leeren Campingplatz verbummeln und gelassen dem näher rückenden Gewittergrummeln lauschen.
Von Stredisko nach Waidhaus (44 km)
Hinter Stredisko geht es schwungvoll auf schmalen Landstraßen über die Hügel. Morgens kurz nach acht sind Luft und Beine noch frisch, es duftet nach frisch gemähten Wiesen, ein leichter Rückenwind schiebt. Schöner kann ein Radltag nicht beginnen. Eine lange, kurvige Abfahrt bringt uns mit Tempo hinunter nach Bela nad Radbuzou/Weißensulz. Der kleine Potraviny bietet die letzte Möglichkeit zum Einkauf in Tschechien.
Danach kurbeln wir auf guten Schotterwegen, teilweise sogar geteerten Forststraßen, stetig bergauf durch dichten, schattigen Wald. Trotzdem läuft der Schweiß in kleinen Rinnsalen den Rücken hinab bis in die Fahrradhose. Eine herrliche Strecke in einer heute so friedlichen Landschaft.
Das dieser Frieden einen hohen Preis hatte, zeigt uns eine Gedenktafel mitten im Wald bei den Ruinen des Dorfes Rosenstein, das 1938 als Teil des Sudentenlandes annektiert wurde. Sie erinnert an zwei amerikanische Soldaten, die 1945 nur eine Woche vor Kriegsende bei der Befreiung des Ortes von den Nazis ihr Leben verloren. Die Fotos der Soldaten zeigen lachende Jungen, erst Anfang Zwanzig, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Das macht traurig,ebenso, dass die Menschen noch immer größenwahnsinnigen Führern folgen.
Schließlich haben wir den Höhenkamm des Böhmischen Waldes erreicht und können entspannt hinunter in das Dorf Zelenska rollen, wenig später stehen wir am Grenzübergang Tillyschanz. Kurioserweise gibt es hier gegenüber des Hoheitszeichens Tschechiens statt des deutschen Schwarz-Rot-Gold nur ein großes Schild mit den unverkennbaren weiß-blauen Rauten und der stolzen Aufschrift “Freistaat Bayern”. Da auch dieser Teil der EU ist, können wir ohne Probleme einreisen, die Grenz-Kontrollstelle ist ja auch schon seit 2008 verwaist.
Auf dem Bockl-Radweg, einer stillgelegten Bahntrasse, erreichen wir den Ort Eslarn und genießen dort Kuchen, Kaffee sowie den unwiderstehlichen Oberpfälzer Charme der sehr ruppigen Verkäuferin. Selbst als ich nur einen Blick auf die am Tisch ausliegende Tageszeitung werfe, ertönt es sofort von der Theke: „Des is fei net zum Lese.“ Ja, aber was macht man sonst mit einer Zeitung? „Des müssens frreili erst kaufa.“ Wir verlassen die gastliche Stätte und gleiten die letzten Kilometer auf dem Bahnradweg höchst komfortabel bis Waidhaus.
Obwohl es erst kurz nach 14 Uhr ist, beenden wir hier nach nur 44 km die Etappe. Es drohen schon wieder blauschwaze Gewitterwolken mit Donnergrummeln und der nächste Campingplatz ist in 75 km Entfernung. Das wäre etwas viel für heute. Und auf dem ruhigen Stellplatz am Bauernhof Trägerhof kann man ganz wunderbar einen Nachmittag verbummeln, den Kühen zuschauen und dem Gegockel des Hofhahns lauschen. Am allerbesten sind aber die ungefähr 15 Katzen und 5 winzigen Katzenbabies. Wie gerne würde ich davon eine mitnehmen. Das Leben als tiefenentspannter Reiseradler ist wunderschön. Abends gibt es dann endlich den angekündigten Wolkenbruch. Wir haben mal wieder Glück und können den Starkregen gemütlich in der offenen Blockhütte des Campingplatzes aussitzen, während die Bauernhofkatzen ein Nickerchen bei uns auf dem Schoß machen.
Von Waidhaus nach Schnaittenbach (88 km)
Bequem gleitet es sich am Vormittag über den Bocklradweg. Der überwiegend geteerte Bahnradweg mit seiner gleichmäßigen Trassierung erspart uns viel auf und ab im Oberpfälzischen Hügelland. Mit 25 km/h sausen wir fast mühelos dahin, das ist beinahe wie E-Bike fahren. Unterwegs treffen wir Iris und Michael, ein sehr nettes Pärchen etwa in unserem Alter die gerade von einer dreimonatigen Radtour nach Istanbul auf dem Heimweg sind. Bis Neustadt haben wir den gleichen Weg und angeregte Unterhaltung, so dass die Kilometer nur so an uns vorbei fliegen. Es ist immer sehr schön, Gleichgesinnte unterwegs zu treffen.
Dann trennen sich unsere Routen und auch der Bahnradweg ist hier zu Ende. Die weitere Strecke entlang der Flüsse Waldnaab und Naab hat einige Steigungen, lässt sich aber zügig fahren. Nur die in der tropisch schwülen Luft wachsenden Gewitterwolken bereiten uns etwas Sorgen.
Die Routenführung des Paneuropa wurde hier verändert, da eine Brücke nicht mehr nutzbar ist. Wir müssen also ohne GPS-Track weiter und der Beschilderung vertrauen. Natürlich kommt es so, wie es kommen muss. Die Markierung des Paneuropa ist, wie so oft, auch hier lückenhaft, so dass wir anderen Wegweisern folgen müssen und uns so 14 km Umweg einhandeln.
Und natürlich verlieren wir dabei auch den Wettlauf mit dem Unwetter. Heftiger Starkregen durchnässt uns schneller als wir in die Regenkleidung hinein kommen. Ungefähr eine halbe Stunde stehen wir dann in voller Montur mit Überschuhen, Regenhose und Regenjacke unter ein paar Bäumen und warten Gott ergeben mit eingezogenem Kopf einfach auf das Ende der Sintflut.
Dann scheint auch schon wieder die Sonne, alles dampft und wir zerfließen in den Regensachen, also alles wieder schnell wegpacken. Noch 15 Kilometer auf einem Radweg parallel zur Bundesstraße und wir sind am Tagesziel. Der Campingplatz am Schwimmbad von Schnaittenbach ist fest in der Hand von Dauercampern, ein herber Kontrast zum idyllischen Bauernhofstellplatz in Waidhaus.
Von Schnaittenbach nach Etzelwang (54 km)
Schon am sehr frühen Morgen ist es unglaublich warm. Bis auf 35 Grad klettert heute das Thermometer, unsere Route führt fast nur über schattenlose Felder. Die heutige Etappe fällt deshalb mal wieder kurz aus.
Wieder ist es ein ewiges Auf und Ab über die Hügel bis Sulzbach-Rosenberg. Zwischendurch ist, genau wie gestern, die Route des Paneuropa gegenüber unserem Track verändert und die neue Streckenführung lückenhaft beschildert. Ohne Track der Radroute zu folgen ist ein echtes Lotteriespiel. In weitem Bogen nähern wir uns Sulzbach-Rosenberg.
Landschaftlich eine hübsche Strecke, aber bei diesen hohen Temperaturen mit den vielen Anstiegen sehr anstrengend. Besonders steil ist die Steigung hinauf in die Altstadt. Japsend stehen wir gegen Mittag endlich am Beginn der Fußgängerzone. Und hier tobt der Bär, denn dieses Wochenende ist Stadtfest. Überall gibt es Essensbuden, wo trotz der Hitze viel Fleisch und Bier konsumiert wird. Wir sitzen lange im Schatten der schönen Terrasse des Sperber Bräu, genießen Salat und Apfelschorle und warten einfach darauf, dass es endlich kühler wird.
Gegen 15 Uhr wagen wir uns wieder auf die Straße. Durch die pralle Sonne geht es natürlich wieder ein paar Mal gut bergauf, aber mit erträglicher Steigung. Oh, wie liebe ich da die gut beleibten, ältlichen E-Bike-Fahrer, die einem entgegen kommen und uns gönnerhaft ermuntern, nur immer fleißig zu strampeln. Das täte denen auch ganz gut.
Einige schöne lange Abfahrten sorgen für Abkühlung und es geht tatsächlich auch mal kurz durch kühlen Wald. Dann sind wir auch schon schweißgebadet auf dem Frankenalb-Campingplatz in Etzelwang. Nach dem Duschen sind wir schon wieder nass geschwitzt. Zum Abendessen gibt es heute geschmolzene Schokolade, die wir mit unseren Löffeln aus der Alufolie kratzen, eine fürchterliche Sauerei. Der Campingplatz ist natürlich am Wochenende rappelvoll, abends parkt noch ein Wohnmobil so dicht neben uns, dass wir denken, es fährt über die Zeltleinen. Nein, auf diesen typisch deutschen Plätzen macht das auf Dauer keinen Spaß.
Von Etzelwang nach Leichendorf (73 km)
Morgens bremst uns ein Wolkenbruch schon 500 m nach dem Start aus, und wir schaffen es noch so gerade bis in das Wartehäuschen einer Bushaltestelle. Nach einer Stunde kommen wir genau wieder 500 m weiter bis zur nächsten Haltestelle. Aber dann kommt der große Spurt von 6 km bis zu einer Bäckerei in einer Tankstelle, wo wir immerhin Kaffee und sehr guten Kuchen während des Regens genießen können. Ein toller Auftakt, dafür bleibt es dann aber fast den Rest des Tages trocken und mit ca. 22 Grad angenehm warm.
Der Radweg entlang des Etzelbaches und der Pegnitz ist flott zu fahren. Geringe Steigungen gibt es nur an Brücken oder in Orten. Landschaftlich besonders spannend ist es aber nicht. Dafür muss Olaf sein Talent als Mechaniker beweisen. Seine Fahrradkette ist defekt und mit Bordmittteln gelingt es ihm, die defekten Kettenglieder zu ersetzen. Da haben wir echt Glück gehabt, denn natürlich passieren solche Pannen immer sonntags, wenn auch alle Fahrradgeschäfte geschlossen haben.
So erreichen wir erst mittags die mittelalterliche Stadt Laufen. Eigentlich wollten wir hier eine gemütliche Pause machen, aber auch hier tobt ein Altstadtfest. Die sehr schönen Marktplätze sind mit Essensbuden, Tischen und Bänken voll gestellt, aus Lautsprechern dröhnt Musik. Wir schieben unsere Räder durch das Gedränge und verlassen den Ort fluchtartig.
Nun sind es nur noch 20 Kilometer bis Nürnberg. Der Weg durch die Wälder der Pegnitzauen ist zwar verkehrsfrei, aber ziemlich langweilig. In Nürnberg gönnen wir uns am Marktplatz einen Cappuccino und strampeln dann noch die letzten 20 km bis zum Ziel. Wieder geht es immer entlang der Pegnitz durch Stadtpark ähnliche Landschaft. Es sind viele Spaziergänger unterwegs, man muss aufpassen.
Genau einen Kilometer vor dem Campingplatz in Leichendorf (Was für ein Name!) gibt es wieder einen heftigen Regenguss, vor dem wir uns noch mit einem rekordverdächtigen Spurt unter eine Brücke retten können. Auf dem Campingplatz „Zur Mühle“ waren wir vor unendlich langer Zeit schon einmal und hatten eine hübsche Wiese als Stellplatz neben einer urigen Mühle in Erinnerung. Nun ist der Campingplatz um ein Vielfaches vergrößert und eine wahre Massenabfertigung. Man steht dicht an dicht, keine Chance auf Privatsphäre.
Von Leichendorf nach Nordenberg (66 km)
Nachts hat es wieder geregnet und in den nächsten Stunden ist Slalom fahren angesagt, um die zahlreichen Kamikaze-Schnecken, die bei dem feuchtem Wetter todesmutig in großer Anzahl auf dem Radweg unterwegs sind, nicht platt zu machen. Es gelingt uns trotz höchster Konzentration nicht immer.
Die ersten 10 km geht es recht langweilig straßenbegleitend das Bieberttal aufwärts. Da wir eine ehemalige Bahntrasse nutzen, ist die kontinuierliche Steigung aber angenehm sanft.
Dann geht es abseits der Straße sehr schön durch Wiesen. Schließlich endet nach 30 km das Bieberttal und wir müssen uns steil bergauf auf einen Sattel hoch arbeiten. Die gestern reparierte Kette an Olafs Rad ist nicht in Ordnung, in den kleinen Gängen rutscht sie durch und schlägt krachend gegen das Schutzblech. Das hört sich nicht gut an. Bei unserer Mittagsrast empfiehlt uns ein Einheimischer das Fahrradgeschäft im nur 2 km entfernten Flachslanden.
Was haben wir wieder einmal für ein Glück, dass es hier mitten im Fränkischen Nirgendwo ein Fachgeschäft gibt, dass zwar montags geschlossen hat, aber die Werkstatt in Betrieb ist. Ein Kettenglied ist verbogen und wird durch ein Kettenschloss getauscht. Sicherheitshalber kaufen wir noch eine neue Kette. Und schon kann es weitergehen. Super!
Die weitere Strecke verläuft sehr schön durch Dörfer und Felder, überwiegend bergauf und mit heftigen Gegenwind. An der Altmühlquelle am Hornauer Weiher gibt es, wie im Wetterbericht angekündigt, einen kräftigen Regenguss, begleitet von sturmartigen Böen. Also rein in die Regensachen für den Rest des Tages. Über kleinste Sträßchen erreichen wir schon gegen 17.00 Uhr unser Tagesziel, den Zeltplatz am Naturbad Nordenberg. Das ist nun endlich mal ein schöner Campingplatz, wie es sie früher überall gab: eine leere Wiese, altertümliche Sanitäranlagen bestehend aus einer Dusche und einer Toilette, ein paar Picknicktische und ansonsten nur Ruhe. Herrlich!
Von Nordenberg nach Rot am See (45 km)
Ein Tag voller Überraschungen! Am Morgen läuft noch alles planmäßig. Bei eher herbstlichen Temperaturen strampeln wir bergauf bis Wachsenberg, um dann die 16% steile Abfahrt von der Frankenhöhe hinunter zur Tauber nach Rothenburg zu genießen.
Im Epizentrum der deutschen Fachwerkromatik ist es morgens gegen 10.00 Uhr noch friedlich. Nur wenige Touristen sind schon unterwegs, wir schieben in Ruhe unsere Räder durch die Kopfsteingassen. Doch wer glaubt, hier eine original mittelalterliche Stadt bewundern zu können, irrt. Rund 40 % der Gebäude wurden 1945 durch einen amerikanischen Bombenangriff vernichtet . Vorgesehen war sogar die vollkommene Zerstörung der Stadt, die eine Hochburg des Nationalsozialismus war. Nur durch Zufall kam es nicht dazu, da die Mutter eines Staatssekretärs im US-Militärministerium von der Schönheit Rothenburgs schwärmte und ihr Sohn daraufhin die Generäle umstimmen konnte.
Mittels einer internationalen Spendenaktion wurde die Altstadt inclusive Stadtmauer nach dem Krieg denkmalgerecht aufgebaut und erhalten. Sogar die schmiedeeisernen Ladenschilder sind Vorschrift, so dass man von Leuchtreklamen und einfach allem, was die Bilderbuchkulisse stören könnte, verschont bleibt. Selbstverständlich begeistert diese einfach perfekte Idylle die Touristen aus aller Welt, vor allem amerikanische und chinesische Gruppen, die gegen Mittag nun im Dauer-Selfieproduktionsmodus durch die Stadt strömen.
Wir flüchten und genießen noch per Rad die wirklich zauberhafte Gartenlandschaft im 100 m tiefer liegenden Taubertal, vorbei an Fachwerkmühlen und blühenden Bauerngärten vor der Silhouette der turmgeschmückten Stadt.
Dann heißt es aber auch schon wieder kräftig bergauf auf die Frankenhöhen strampeln. Auch heute bläst ein heftiger Gegenwind, während wir unverdrossen durch hoch und runter durch die wellige Landschaft treten. Und wieder einmal entspricht die Wegweisung des Paneuropa nicht unserem Track. Nach einer großen Baustelle ohne Umleitung für Radfahrer zwischen Leuzenbron und Schnepfendorf hatten wir einen Feldweg genommen und stehen nun wieder vor der Entscheidung, unserem Track zu folgen oder der neuen Wegführung zu vertrauen, die auf den ersten Blick günstiger erscheint. Dummerweise nehmen wir die neue Route und werden umwegreich über die Hügel geführt.
Am späten Nachmittag landen wir ziemlich orientierungslos in Rot am See. Bis zum Campingplatz in Schwäbisch Hall schaffen wir es heute nicht mehr. Doch in Rot gibt es einen privaten Campingclub, der im Juli und August auch Durchreisende aufnimmt. Und zu allem Überfluss dürfen wir noch im Vereinsheim übernachten. So sitzen wir sehr komfortabel bei dem abends beginnenden Regen im Trockenen. Was haben wir mal wieder für ein Glück!
Von Rot am See nach Nordenberg (53 km)
Morgens ist der Regen erstmal vorbei. Doch richtig kühl ist es geworden. Ab Rot am See verschwinden auch die letzten der sonst sporadisch auftauchenden Wegweiser zum Paneuropa. Ein Abgleich unserer Wegdaten mit der offiziellen Webseite des Paneuropa hatte ergeben, dass wir den aktuellen Track auf unserem Navi haben. Daher vermuten wir, dass wir über Rot am See auf einer alten Route unterwegs sind, deren Beschilderung nicht vollständig entfernt wurde und uns so fehlgeleitet hat.
Wir folgen nun dem für seine Steigungen bekannten Burgenradweg, der uns nach Schwäbisch Hall bringen soll . Dort werden wir dann auf unseren Track zum Paneuropa-Radweg treffen. Also kurbeln wir weiter unverdrossen hoch und runter über die Hügel des Hohenloher Landes. Genau, wir haben Bayern bzw. Franken verlassen und befinden uns nun im baden-württembergischen Schwaben. Die Routenführung ist sehr umwegreich und ignoriert weitgehend die Topographie. Schließlich erreichen wir die Jagst und können den sehr schönen Blick auf Kirchberg genießen. Die Silhouette der auf gleicher Höhe uns gegenüberliegenden Stadt sieht aus wie Rothenburg im Kleinformat. Doch bevor wir die mittelalterlichen Mauern bewundern dürfen, geht es 100 Höhenmeter mit 16 % sehr steil runter ins Jagsttal und sofort mit gleicher Steigung wieder hoch.
Danach radeln wir auch schon wieder weg von der Jagst und hinüber zum Kocher. Es ist wenig motivierend, bei trüb-grauem Himmel durch die endlosen Maisfelder zu kurven, währenddessen man relativ bequem und idyllisch dem Flusslauf von Jagst oder Kocher folgen könnte. Wieso der Paneuropa dies vermeidet, bleibt ein Rätsel.
Ein recht anstrengendes Teilstück ist die Querung des Bühlertals in einigen langen Serpentinen mit 8 %. Auch danach geht es weiter bergauf bis zum Flugplatz Schwäbisch Hall. Endlich rollen wir steil bergab ins Kochertal. Die Routenführung für Radfahrer ist teilweise eine Zumutung, hier fehlen an etlichen Stellen entlang stark befahrener Straßen sichere Radwege und Querungsmöglichkeiten.
Schwäbisch Hall besitzt ebenfalls eine schöne mittelalterliche Altstadt, allerdings hat man hier den Denkmalschutz baurechtlich nicht so konsequent verfolgt wie in Rothenburg. Trotzdem lohnt ein Bummel durch die Gassen auf jeden Fall, ebenso wie der Besuch des Caffee Auszeit, das sehr guten Kuchen und Cappuccino bietet.
Danach müssen wir wieder fleißig bergauf aus dem Kochertal fahren. Das erste Stück mit 16% Steigung schieben wir jedoch. Die restlichen 11 Kilometer bis zum Campingplatz am Neumühlsee führen weiterhin bergauf. Nach der Hälfte Strecke setzt der angekündigte heftige Regen ein. In voller Regenmontur zu radeln und das Zelt im strömenden Regen aufzubauen macht wenig Spaß. Schon um 19.00 Uhr liegen wir im Schlafsack und lauschen dem Regen, da es keine Aufenthaltsmöglichkeiten draußen gibt.
Von Nordenberg nach Öhringen (22 km)
Über Nacht wurde unser Zelt von Nacktschnecken erobert. Überall am Außenzelt kleben die schmierigen Würstchen, wahrscheinlich ist das die Rache für die zahlreichen von uns überrollten Kamikaze-Schnecken auf dem Radweg vor ein paar Tagen.
Zumindest ist es morgens relativ trocken und wir können bei erfrischenden 13 Grad vor dem Zelt frühstücken. Es geht nochmals gut bergauf zum Ort Waldenburg, der eine imposante Burg und einen weiten Blick ins Hohenloher Land bietet. Danach sausen wir bergab und kreuzen mit leichteren Hoch und Runter durch Felder bis nach Öhringen. Auch hier ist die schöne Altstadt wegen des Weinfestes mit Verkaufsständen und einer gigantischen Bühne zugestellt.
Da für heute kein gutes Wetter angesagt ist, steigen wir mittags in den Nahverkehrszug und fahren nach Hause. Geplant waren eigentlich noch die Fahrt bis ins 30 km entfernte Heilbronn und dann noch am nächsten Tag ca. 60 km den Neckar abwärts bis Eberbach. So endet am 3.7. etwas abrupt unsere große Rundtour nach nach Prag und zurück nach 1500 km und 21 Tagen im Fahrradsattel.
P.S.
Die Rache der Nacktschnecken verfolgt uns bis in unsere Wohnung. Dort entdecken wir am nächsten Morgen im Wohnzimmer noch einige Exemplare, die sich an unsere Liegematten geklebt hatten und als blinde Passagiere mitgereist sind.