Unsere Fahrt geht von Haines Junction weiter in südwestlicher Richtung. Unberührte Natur, Goldgräber-„Romantik“, Tierbeobachtungen und Massentourismus inclusive ein paar Überraschungen bilden ein spannendes Kontrastprogramm auf diesem Abschnitt unserer Tour durch Kanada und Alaska.
Haines Highway – und etwas „cross country“
Für den wegen seiner landschaftlichen Schönheit bekannten Haines Highway wollen wir uns Zeit nehmen. Einen regnerischen Vormittag verbringen wir im Visitor Center von Haines Junction mit ausgezeichnet aufbereiteten Informationen zum Kluane Nationalpark und, für Reisende wichtig, gutem Wifi. Bei einem entspannten Spaziergang am Dezadeash River bessert sich das Wetter. Wir fahren von Haines Junction einige Kilometer auf dem Haines Highway nach Süden und finden bereits am frühen Nachmittag einen Stellplatz am breiten Kiesufer des Quill Creek, natürlich mit schönem Blick auf die frisch verschneiten Berge. Warm eingehüllt in unsere Schlafsäcke genießen wir sogar noch draußen unseren Tee, spazieren am Fluss entlang, lesen – kurzum: ein Urlaubstag.
Nur wenige Kilometer südlich vom Quill Creek lädt der Lake Kathleen zu einem Spaziergang am Seeufer ein. Reizvoll wäre auch eine Bergtour auf den King Throne gewesen. Doch die Schneegrenze ist bereits zu tief und die Gipfel hängen in den Wolken. Die Berglandschaft wirkt dadurch nur noch dramatischer. Schön ist auch der Ausblick vom Rock Glacier, den wir einige Kilometer weiter südlich nahe beim Haines Highway über einen kurzen Spazierweg erreichen. Es gibt nur wenige Wanderwege in den Kluane Nationalpark und nur relativ kurze Touren im Randbereich des Gebirges. Die Wildnis ist nicht erschlossen. Eine längere Trekkingtour geht hier stets querfeldein und ist eine richtige Expedition.
Nächstes Ziel ist der Mush Lake, zu dem vom Haines Highway eine 26 Kilometer lange Schotterpiste führt. Was als kurzer Abstecher vom Highway geplant war, entpuppt sich als kleines Offroad Abenteuer in ein Tal des Kluane National Parks. Der Anfang der Tour ist noch recht harmlos – eine schmale Piste mit einigen tiefen Längsrinnen, aber mit ausreichender Bodenfreiheit gut zu fahren. Interessanter wird es schon, als die Piste durch ein Flussbett geht und einige Furten anstehen. Und richtig spannend ist dann die folgende Strecke mit etlichen knackigen Steigungen, tiefen Wasserlöchern, Spurrillen und vor allem viel rutschigen, tiefen Schlamm. Wir kommen nur sehr langsam vorwärts. Der Weg ist so schmal, dass Master Yoda so gerade eben durchpasst, und wird immer matschiger und enger. Eine Wendemöglichkeiten gibt es erst nach 1,5 Stunden bzw. 15 Kilometern. Die Chance wird genutzt und wir treten den ruhmreichen Rückzug an, denn es wären noch weitere 15 Kilometer bis zum Mush Lake zu fahren, was sich auf eine Fahrzeit von insgesamt 6 Stunden addieren würde. Yoda und Olaf haben sich als gutes Team hervorragend bewährt.
Während der weiteren Fahrt nach Süden über den Haines Highway verschlechtert sich das Wetter. Trotzdem ist die Landschaft einfach grandios. Bald sind wir oberhalb der Baumgrenze, die schon bei ca. 800 Metern liegt. Ab ca. 1200 Metern liegt Schnee. Etwas nördlich vom Chuck Creek übernachten wir in der Tundra auf ungefähr 1000 Metern Höhe.
Nach einer Woche Hiking-Abstinenz wird es wieder Zeit für eine richtige Wanderung. Der gut ausgebaute Chuck Creek Trail führt durch ein schönes Hochtal. Die Furten der kleinen Bäche können wir mittels Steinen trockenen Fußes überwinden. Nur am Chuck Creek müssen wir barfuß durch das Wasser. Unsere Füße freuen sich über ein Bad. Schließlich endet der Weg, rosa Fähnchen weisen nun die Richtung, es geht rauf und runter über einige von Heide bewachsene Hügel, bis wir endlich den Aussichtspunkt zum Samuel Gletscher und drei weiteren Gletschern erreichen. Sie sind zwar alle schon arg geschrumpft, aber noch immer eindrucksvoll. Sehr schön präsentieren sich auch die ringsum liegenden, von Neuschnee bedeckten Berge.
Auf dem Rückweg will Olaf unbedingt die harmlose Furt am Chuck Creek vermeiden und wählt daher eine Route querfeldein. So quälen wir uns hoch und runter durch Morast, kleine Bäche und mannhohes Weidengestrüpp, dessen Äste fast undurchdringlich miteinander verwachsen sind. In Bärengebiet eher suboptimales Gelände, da hier keine Sicht und Ausweichmöglichkeit besteht. Wir machen zwar Lärm wie eine Horde Elefanten, die durch das Unterholz bricht, doch zum ersten Mal bin ich froh, dass wir Bärenspray dabei haben. Zu allem Überfluss verliere ich bei der Kraxelei mein Taschenmesser. Nach 90 anstrengenden Minuten stehen wir endlich wieder auf dem Wanderweg, exakt hinter der Furt. Der Rest der Strecke ist flott gelaufen und so sind wir pünktlich mit Beginn von Nieselregen nach insgesamt 6 Stunden Laufzeit und 22 Kilometern wieder an unserem rollenden Zuhause.
Leider sehen wir am nächsten Tag vom südlichen Teil des Haines Highways absolut nichts. Zu tief hängen die grauen Wolken, es regnet mal wieder ausgiebig, wie so oft in den letzten Wochen. Die US- Grenze passieren wir rasch und sind in Alaskas Panhandle. So nennt man hier den schmalen Landstreifen im äußersten Süden des Staates, der die Form eines Handgriffs für die „Pfanne“ Alaska hat. Nach den zu Alaska gehörenden Orten Haines und Skagway gelangt man auf dem Landweg nur über Kanada. Alle anderen Orte auf dem Panhandle, auch Alaskas Hauptstadt Juneau, sind nur mit Schiff oder Flugzeug zu erreichen.
Haines – Bald Eagles und andere wilde Tiere
Ungefähr 60 Kilometer nach der Grenze erreichen wir das Meer. Im Mündungsgebiet des breiten, schlammiggrauen Chilkat River, kurz vor Haines, lebt die weltweit größte Kolonie von Weißkopfseeadlern. Wir sehen die Bald Eagles, das stolze Wappentier der USA, fast auf jedem Baum sitzen und nach Lachsen Ausschau halten, die zu dieser Zeit hier vom Meer zu ihren Laichgründen flussaufwärts wandern. Mit ihrer Flügelspannweite von zwei Metern sind es eindrucksvolle Vögel.
Der Fluss hat nach den heftigen Regenfällen eine reißende Strömung und Hochwasser. An einem Steilhang gab es kurz vor unserer Ankunft einen großen Erdrutsch auf den Highway, der gerade von Baggern geräumt wird. Den ganzen Tag schüttet es wie aus Eimern, dazu bläst ein heftiger Sturm. Wir machen das Beste daraus, gehen in Haines in einer Laundry herrlich heiß duschen und verkriechen uns dann in die sehr gemütliche öffentliche Bücherei. Abends parkt Master Yoda direkt an einem Aussichtspunkt am Meer. Es gibt sogar eine Trockentoilette, was bei dem Sauwetter ein echter Komfort ist.
Zu unserer Überraschung sind am nächsten Morgen die Wolken weg. Jetzt können wir endlich sehen, in welch herrlicher Landschaft wir uns befinden. Der tief eingeschnittene Fjord mit seinen hohen Bergen und Gletschern erinnert uns sehr an Norwegen. Unser erstes Ziel ist der Chilkoot River, der nördlich von Haines den gleichnamigen See durchfließt und dann ins Meer mündet. Man soll dort sehr gut Bären und Adler beim Angeln beobachten können. Doch der große Lachsrun ist hier von Juli bis August, da sind wir zu spät dran. Trotzdem sehen wir wieder einige Adler, aber leider keinen Bären.
Wirklich sehr schön ist dann die Fahrt über die Mud Bay Road zum Chilkat State Park auf der Chilkat Halbinsel. Großartig sind die Ausblicke auf den Fjord, die schroffen Berge und Gletscher. Und das alles im schönsten Sonnenschein. Als Abschluss des Tages unternehmen wir auf der Halbinsel eine Wanderung zum Battery Point, einem Aussichtspunkt am Meer. Im Gegensatz zu den kurzen, spindeldürren Nadelbäumen in den Bergen gibt es hier im kalten Regenwald stattliche Tannen mit weit ausladenden Ästen, dick mit Moos und Flechten behangen. Der Waldboden ist weich wie ein Teppich, es riecht nach faulendem Holz und Pilzen. Kein Sonnenstrahl dringt auf den Boden, das Licht ist dämmrig, geheimnisvoll. Ein richtiger Zauberwald.
Abends stehen wir erneut an unserem Aussichtspunkt am Meer. Mitten in der Nacht weckt uns ein Höllenlärm. Ein Grizzly macht sich am Müllcontainer zu schaffen, der direkt neben unserem Auto steht. Natürlich ist der Deckel bärensicher verschlossen. Also wird das ganze Ding einfach umgekippt, inklusive der dicken Betonplatte, auf der der Metallkasten verschraubt ist. Dabei springt der Deckel auf und schon hören wir den Grizzly behaglich schnauben und schmatzen. Er lässt sich noch nicht einmal vom Schein der Taschenlampe stören. Leider haben wir kein Foto machen können. Doch immerhin können wir nun unsere Reise nach Kanada fortsetzen, da ich mir geschworen hatte, Alaska nicht zu verlassen, ehe wir einen Grizzly gesehen haben.
Am nächsten Morgen melden wir den Vorfall pflichtgemäß. Für die nette Dame im Visitor Center ist es keine Überraschung. „Oh, he did it again „, ist ihr einziger Kommentar. Unser Grizzly ist anscheinend Wiederholungstäter. Container mit Rädern werden von den lernfähigen Tieren sogar einen Abhang runter geschoben und umgestürzt, manche Bären dringen auch in Häuser ein. Merke: Im Grizzly-Gebiet sollte man sicherheitshalber immer fernab der Zivilisation übernachten.
Vor der Abfahrt unserer Fähre nach Skagway ist noch Zeit für einen Bummel durch den netten Ort. Besonders schön sind die Häuser des Fort Sewart, der erste Siedlung in Haines.
Pünktlich um 12.15 Uhr setzt sich die Fähre nach Skagway in Bewegung. Ähnlich wie die norwegische Hurtigruten verbinden die Schiffe des Alaskan Maritime Highway die Orte an der Inland Passage zwischen Anchorage und Vancouver. Unsere Überfahrt bis Skagway am Ende des Fjords dauert nur etwas über eine Stunde, kostet aber stolze 160 Dollar. Dafür sparen wir aber ca. 500 Kilometer Straße und können den schmalen Fjord vom Wasser aus genießen.
Goldrush in Skagway
Skagway ist untrennbar mit dem Alaska Goldrush 1898 verbunden. Die Stadt wurde gegründet, als die hoffnungsfrohen Schatzsucher zu Zehntausenden mit Schiffen anlandeten, um dann in unendlicher Mühe im Winter über den extrem steilen Chilkootpass zum Bennett Lake zu wandern. Die gesamte Ausrüstung von einer Tonne Gewicht incl. Proviant für sechs Monate musste in Etappen 1100 Höhenmeter hinauf auf den Pass geschleppt werden. Maximal zwei Passquerungen pro Tag waren zu schaffen. Mit selbstgezimmerten Booten kam man dann über die Seen nach Carcross und weiter nach Whitehorse und von dort auf dem Yukon schließlich nach Dawson City. Wer diese Strapazen überlebte, kam dort im Sommer an.
Heute, 125 Jahre später, sind es keine Glücksritter, sondern Massen von Kreuzfahrern, die den Ort regelrecht überschwemmen. Als wir in Skagway ankommen, liegen zwei Schiffe im Hafen. Sie wirken wie gigantische Wale die den Ort verschlingen wollen. Der für amerikanische Verhältnisse uralte Ortskern mit seinen Holzhäusern steht unter Denkmalschutz, wurde restauriert oder „im alten Stil“ neu aufgebaut. Ein Disneyland für die überwiegend chinesischen und amerikanischen Touristen, deren Hauptbeschäftigung der Einkauf von Andenken ist. Und so reiht sich ein kitschiger Souvenirladen an den nächsten. Besonders beliebt scheint billig-protziger Schmuck zu sein, als Reminiszenz an den Goldrush. Aber auch T-Shirts, made in China, mit Aufdrucken: „I survived the Chilkootpass“ kommen gut an. Ist schon lustig, da fahren die Chinesen um die halbe Welt, um dann in ihrem Heimatland produzierte Mitbringsel zu kaufen. Die Geschäfte sind jedenfalls rappelvoll. Im Post Office werden Geschenkpakete an die Lieben daheim verpackt, da mancher im Kaufrausch wohl mehr erbeutet hat, als transportiert werden kann. Fassungslos sehen wir uns das Schauspiel an und ergreifen dann die Flucht.
Klondike Highway
Ab Skagway zieht sich der Klondike Highway durch ein phantastisch wildes Tal steil hinauf zum White Pass. Kahle, von Eis blank geschliffene Granitberge, tiefe Schluchten, Gletscher… eine großartige Landschaft. Auf der Passhöhe verlassen wir Alaska und lernen, dass manche kanadischen Grenzer es hinsichtlich Unfreundlichkeit durchaus mit ihren US-amerikanischen Kollegen aufnehmen können. Die Beamtin hat jedenfalls Haare auf den Zähnen und löchert uns in aggressiv-scharfem Ton mit sinnfreien Fragen. Wenn die wüsste, dass wir Bärenspray und jede Menge an Lebensmitteln verbotenerweise an Bord haben!
Die Schönheit der folgenden Strecke gleicht den wenig netten Empfang aber mehr als aus. Viel zu schnell fliegen grandiose Berge, türkisfarbene Flüsse und Seen an uns vorbei. Kurz vor dem Ort Carcross schlagen wir unser Nachtquartier am Tagish Lake auf.
Fast den gesamten nächsten Tag verbringen wir in Carcross. Hier endet die Strecke der Schmalspurbahn von Skagway über den White Pass, die zwei Jahre nach dem Goldrush in nur 11 Monaten in extrem schwierigen Gelände fertig gestellt und später bis Whitehorse verlängert wurde. Viele Arbeiter haben das ehrgeizige Projekt mit ihrem Leben bezahlt. Es ist immer wieder faszinierend und erschreckend, zu welchen Leistungen Menschen aus Geldgier fähig sind. Die spektakuläre Zugstrecke wird heute nur noch von den Kreuzfahrtouristen für einen Kurztrip von Skagway nach Carcross genutzt.
So ist am Bahnhof von Carcross ein kleines Touristenzentrum mit Andenkenläden und Imbissstuben entstanden. Doch nur wenige Schritte abseits finden wir das „echte“ Carcross, eine sehr authentische Yukon-Hinterwäldlersiedlung mit urigen Holzhäusern, der üblichen Schrottsammlung vor der Tür und sehr interessanten Einwohnern. Lange unterhalten wir uns mit einem alten Mann, der vor über 30 Jahren aus Amsterdam hierher kam, und der irgendwo außerhalb des Ortes seine Hütte hat. Dort „im Busch“ ohne Strom, fließendem Wasser und Heizung sei es vor allem im Winter hart, so sagt er, und manchmal kämen Ausländer – vor allem aus Deutschland – die sich hier ihren romantischen Aussteigertraum verwirklichen wollen. Die meisten wären nach spätestens einem Jahr wieder weg. Doch er will nirgendwo anders sein, denn nur hier draußen könne jeder so leben, wie er mag. Im Yukon und in Alaska treffen wir viele dieser oft etwas kauzigen Individualisten, die ihre Freiheit in der Wildnis dem Komfort unserer Zivilisation vorziehen.
Carcross war schon lange vor dem Goldrush ein bedeutender Ort. Die Ureinwohner (First Nation) haben hier regelmäßig ihre Versammlungen abgehalten, um Stammesangelegenheiten zu regeln und zu feiern. 20 Jahre nachdem die Goldsucher hier durchzogen, die Wälder abholzten und die Jagdgründe der First Nation plünderten, wurden diese Zusammenkünfte von der kanadischen Regierung untersagt. Erst 1972 durfte, unter Polizeiaufsicht, das erste Potlach wieder stattfinden. Eine Infotafel am idyllisch am Ufer des Lake Bennett gelegenen Picknickplatz des Ortes, wo wir zu Mittag essen, erinnert daran und macht uns sehr nachdenklich.
55 Kilometer östlich von Carcross erreichen wir wieder den breiten Alaska Highway, der uns durch wald- und seenreiche Landschaft unspektakulär nach Süden führt. Bei Watson Lake kommen wir vom Yukon in die Provinz British Columbia. An der Provinzgrenze stehen die üblichen Schilder, die auf die hier geltenden Verkehrsregelungen informieren. Für uns Europäer ist der Hinweis, dass in Fahrzeugen die Mitnahme geladener Waffen verboten ist, noch immer befremdend. Wer kommt denn auf die Idee, mit schussbereiten Gewehr im Auto herum zu fahren?
Wenig später biegen wir auf den schmaleren Cassiar Highway ab. Er führt uns auf kurviger Strecke sehr schön wieder in die Berge. Langsam holen wir den Herbst wieder ein. Hier tragen die Bäume noch ihr gold-orangefarbenes Laub und es wird mit 15 Grad deutlich wärmer. Am Good Hope Lake, wo wir wieder einen sehr schönen Stellplatz haben, können wir sogar bis abends draußen sitzen.
Was für phänomenale Herbstbilder!! Auch wenn sie mir nassen Füßen bezahlt wurden -und einem Taschenmesser…