Die Standheizung besteht ihren Praxistest mit Bravour. Endlich können wir unsere Reise fortsetzen. Im Nachhinein betrachtet, war die Unterbrechung gar nicht so schlecht. Nach den vielen Eindrücken der letzten Wochen war doch eine leichte Reisemüdigkeit zu spüren. Jetzt sind wir wieder ausgeruht und neugierig auf das, was vor uns liegt.
Auf der Halbinsel Kenai
Noch ein letzter Großeinkauf bei Walmart in Anchorage, dann geht es auf den Sewart Highway. Sehr schön führt uns die Straße am Meer entlang nach Süden. Die schmale, lange Meeresbucht Turnagain Arm hat eine der weltweit stärksten Tiden. Ein interessanter Kontrast zwischen den steilen, teilweise vergletscherten Bergen und den sandigen Prielen bei Ebbe, fast wie am Wattenmeer. Auf der Kenaihalbinsel ist der Highway teilweise vierspurig ausgebaut. Im Sommer soll hier am Wochenende die Hölle los sein. Auch jetzt ist reger Verkehr.
Wir rollen durch herbstbunte Täler, an Flüssen und Seen vorbei, die beliebt bei Anglern sind. Die Zeit der Lachswanderung ist hier leider schon vorbei. Eine schöne Unterbrechung bietet eine zweistündige Wanderung auf dem insgesamt 50 Kilometer langen Johnson Pass Trail durch ein waldreiches Tal. Am späten Nachmittag biegen wir wenige Meilen vor Sewart auf die Zufahrtstraße zum Exit-Gletscher ab. Im breiten Kiesbett des Gletscherflusses finden wir einen einsamen und vollkommen ruhigen Stellplatz. Was für eine Wohltat nach dem vielen Übernachtungen auf dem lauten Parkplatz in Anchorage. Düstere Wolken hängen nass-kalt im Tal, es nieselt. Doch wir haben es endlich wieder gemütlich warm in unserem winzigen Zuhause.
Die tiefhängenden Wolken haben sich am nächsten Morgen verzogen, schon leuchtet die Sonne auf die oberen Berghänge. Ideales Wetter für eine Bergtour. Der Harding Icefield Trail führt am Exit Glacier vorbei bis zum gigantischen Harding Eisfeld hinauf. Auch wenn der Gletscher und das ihn speisende Eisfeld bereits sehr stark geschmolzen sind, zählt der Weg zu Recht zu den schönsten Touren auf Kenai. Es sind zwar nur etwas über 6 Kilometer bis zum Endpunkt des Trails, doch die haben es mit 1.100 Höhenmetern bergauf in sich. Der Weg geht die ersten 2 Kilometer sehr steil, dann den Rest „nur noch“ steil in Serpentinen den Berghang hoch. Teilweise sind Felsen wie Treppenstufen gelegt, das erleichtert den Aufstieg. Bald lassen wir den dichten, nach Pilzen riechenden Wald hinter uns. Auf den Bergwiesen bei Marmot Meadows gibt es den ersten, sehr vielversprechenden Blick auf den Exit Gletscher.
Am nächsten Aussichtspunkt Top of the Cliffs inmitten von Heidelbeerflächen sind wir zwar noch lange nicht oben, aber der Blick über die große glänzende Eisfläche und die umliegenden Gipfel ist bereits hier überwältigend schön. Da lohnt sich jeder der zahlreichen vergossenen Schweißtropfen. Es ist so warm, dass wir im kurzärmeligen T-Shirt laufen. Weiter zieht sich der Weg am Berghang durch herbstgoldene Wiesen hoch.
Wir sehen zwei unglaublich fette Murmeltiere, die so sehr mit Fressen beschäftigt sind, dass sie dabei bis auf zwei Meter zu uns heran kommen. Schließlich sind die hügeligen Schotterflächen der Moränen erreicht. Weiter bergauf geht es, vorbei an einer Notbiwakhütte, bis wir nach drei Stunden Anstieg zum Ende des Pfades kommen. Bis zum Horizont liegt ein weißes Eismeer vor uns, felsige Gipfel ragen wie Inseln daraus empor. Ein atemberaubender Blick in eine lebensfeindliche, aber wunderschöne Welt. Wie winzig ist hier der Mensch. Andächtig betrachten wir beim Mittagessen in der warmen Sonne die Schönheit der Natur, selbst nach einer Stunde fällt es schwer den Rückweg anzutreten. Nach rund zwei Stunden Abstieg sind wir schließlich wieder im Tal, wohltuend müde und voller Dankbarkeit für diesen phantastischen Tag.
Das schöne Wetter war nur eine Eintagsfliege. Was hatten wir gestern unglaubliches Glück. Immerhin regnet es heute nicht. Rasch erreichen wir morgens Sewart. Ein Teil des Hafenortes wurde durch einen Tsunami beim Erdbeben 1964 zerstört. Dieser Bereich nahe am Wasser ist nun eine Uferpromenade und vor allem ein ellenlanger Campingplatz mit traumhaften Meerblick. In den dichter Reihe stehen hier unzählige Wohnmobile, anscheinend ist hier das beliebte Wochenenddomizil der Großstädter aus Anchorage. Trotz kühler Temperaturen sitzt man draußen in geselliger Runde am Lagerfeuer, angelt oder schaut den Seehunden im Fjord zu. Der Ort selber ist ganz nett, aber vor allem die umgebende Landschaft mit den vergletscherten Bergen am Fjord ist großartig. Man ist hier total auf den Tourismus ausgerichtet. Hauptattraktion sind die Schiffsausflüge zu den ins Meer kalbenden Gletschern des Kenai Nationalparks, leider zu astronomischen Preisen von ca. 180 Euro pro Person. Das ist uns schlicht zu viel.
Bei relativ gutem Wetter fahren wir über Kenai zurück, zusammen mit der großen Wochenend-Heimreisewelle. Erst jetzt bemerken wir die herrlichen Schneeberge der Halbinsel, die auf der Hinfahrt in Wolken hingen. Unser Ziel ist der Fischerort Whittier, der nur durch einen langen Tunnel zu erreichen ist. Die Tunnelröhre ist einspurig und wird im Wechsel je Richtung befahren, auch von der Eisenbahn. Der Autoverkehr rollt also auf einer geteerten Schienenstrecke. Das dürfte eine weltweit ziemlich einmalige Kombination sein. In Deutschland dürfte so eine pragmatische Idee schon am Bau- und Betriebsrecht scheitern.
Direkt hinter dem fast fünf Kilometer langen Tunnel beginnt der kurze, aber steile Weg zum Portage Pass. Nach 1,6 Kilometern und 200 Höhenmetern ist die Passhöhe erreicht, von der wir einen guten Blick auf den in einen See kalbenden Portage Gletscher haben. Leider ist das Wetter nur mäßig.
Whittier besteht eigentlich nur aus einem industriellen Fischerei- und Fährhafen und macht einen ziemlich tristen Eindruck. Der Ort entstand im zweiten Weltkrieg als Marinestützpunkt, große Armeegebäude verrotten am Ortsrand. Eine Schotterstraße am Fjord entlang bringt uns zum Anfang des Emerald Coast Trails. Am Wanderparkplatz wollen wir übernachten. Trotz der mittlerweile tief hängenden Wolken ist der Blick auf den gewaltigen Gletscher am gegenüber liegenden Fjordufer beeindruckend schön. Nebelig-nasses Wetter ist hier normal, das sieht man an den mit langen Bartflechten behangenen Nadelbäumen des kalten Regenwaldes. Gegen 20.30 Uhr ist es bereits völlig dunkel. Wie behaglich ist es da im warmen Schlafsack, wenn der Regen auf das Dach prasselt.
Welcome back to Canada
Am nächsten Morgen ist der Fjord komplett im Nebel verschwunden, es regnet ausgiebig. Eigentlich wollten wir von hier mit der Fähre nach Valdez fahren. Die sechsstündige Überfahrt an den Gletschern vorbei ist zwar teuer, soll aber seht schön sein und spart einige hundert Kilometer Highway. Doch nach einem Blick in den Wetterbericht, der Dauerregen verspricht, treten wir doch die Rückfahrt über Anchorage an. Hier ist der Besuch einer Laundry und einer öffentlichen, herrlich heißen Dusche an einer Tankstelle angesagt. Weiter geht es dann am Nachmittag bereits zum dritten Mal über den Glenn Highway, und wir sind wieder absolut begeistert von der Schönheit der Landschaft. Das Laub hat mittlerweile eine dunkel-orangene Färbung erreicht und ab 700 Meter Hohe sind viele Bäume sogar schon kahl. Es ist nun wirklich Herbst.
Wie vorhergesagt, schüttet es schließlich in Strömen. Wir fahren nördlich von Glennalen auf dem Tok Cut off weiter. Die Landschaft versinkt im Regengrau. Man sieht nichts von den grandiosen Wrangell-St.Elias-Mountains, nur das autofreie Asphaltband des Highways und den endlosen Wald rechts und links der Fahrbahn.
Pünktlich zum Herbstanfang fällt der erste Schnee. Master Yoda trägt morgens eine dicke, weiße Mütze. Doch etwas südlich von Tok ist alles schon wieder herbstbraun. Den ganzen Tag fahren wir auf dem Alaska Highway unter tief hängenden Wolken, es wird gar nicht richtig hell. Bei Beaver Creek verlassen wir Alaska. Eine nette Grenzbeamtin empfängt uns mit einem Lächeln in Kanada. Auch das Wetter wird freundlich. An einem See finden wir einen ruhigen Stellplatz und als wir von einem Spaziergang zurück kommen, steht direkt neben Master Yoda ein umgebauter Schulbus. Typisch ist unsere erste Reaktion: „Na, die stehen aber dicht neben uns. Das muss doch nicht sein.“
Dann jedoch lernen wir die Bewohner des wundersamen Gefährts, José, der aus Nicaragua stammt, mit seiner Partnerin Cora, kennen und verbringen gemeinsam am Lagerfeuer einen langen Abend (siehe ihren interessanten Web-Auftritt). Die beiden US-Amerikaner wohnen dauerhaft in ihrem Bus, den sie handwerklich perfekt und sehr liebevoll ausgestattet haben. Es gibt ein geräumiges Wohn-Esszimmer, eine komplett ausgestattete Küche, ein Duschbad und sogar eine Terrasse auf dem Dach. Im hinteren Bereich hat Cora, die komponiert, ihr schalldichtes Tonstudio, das gleichzeitig auch das Schlafzimmer ist. José, der Maler, hat den Bus stilvoll von außen gestaltet. Nun sind sie auf dem Weg nach Alaska. Nach einem Jahr soll es dann bis nach Argentinien gehen. Die zwei sind schon in der ganzen Welt herumgekommen und ihre Reiseleidenschaft verbindet uns. Doch auch die amerikanische Politik, deren gesellschaftliche Folgen und der russische Krieg gegen die Ukraine sind interessante Themen. Eine sehr schöne Begegnung, auch wenn die Fuße bis Mitternacht zu Eisklötzen erstarrt sind und die ganze Nacht über nicht auftauen.
Fahrt nach Haines Junction
Endlich ein sonniger Tag. Genau richtig für die landschaftlich schönste Strecke des Alaska Highways. Es geht entlang der großartigen Gebirgskulisse der Kluane Mountains, die mit über 6000 Metern die höchsten Gipfel Kanadas bildet. Gemeinsam mit den Wrangell-St. Elias-Mountains sind sie UNESCO-Weltnaturerbe mit dem größten Eisfeld außerhalb der Polargebiete. Keine Straßen oder Wanderwege erschließen das Naturreservat.
Der Highway ist praktisch verkehrsfrei. Das ist praktisch, denn so kann Olaf zu jeder Zeit anhalten, um seiner Fotoleidenschaft zu fröhnen. Allerdings ist die Fahrbahn mit vielen tiefen Schlaglöchern und einer wellenförmige Oberfläche, die durch den auftauenden Permafrostboden verursacht werden, in einem erbärmlichen Zustand. Auch der Wald leidet unter dem Klimawandel. Borkenkäfer werden im wärmeren Winter nicht mehr dezimiert und haben große Flächen von Nadelbäumen zerstört. Im tauenden Boden kann das Wasser nicht versickern, es bilden sich moorige Tümpel, in denen die Bäume verfaulen.
Schon am Nachmittag sind wir auf einem absoluten Traumstellplatz in totaler Ruhe und mit einer Aussicht auf die Kluane Mountains, wie sie besser nicht sein könnte. Obwohl wir nun schon seit Wochen immer wieder Gletscher, Wälder, Flüsse und Berge sehen, können wir uns noch immer wie am ersten Tag dafür begeistern. Diese unendlich weite, rauhe Wildnis lieben wir einfach.
Unglaublich schön, diese herbstliche Wildnis!! Danke für den tollen Bericht 🙂