Entlang Islands Südküste

Östlich von Vik prägt das Eis die Landschaft und das Klima, allen voran der 8100 km² große Gletscher Vatnajökull, der ein Zehntel der Landesfläche bedeckt. Seine Gletscherzungen ragen fast bis ans Meer, die Sander der Gletscherflüsse bilden weite Sandwüsten. Doch die Eismassen schmelzen in immer höherem Tempo. In ca. 30 – 50 Jahren werden sich die Gletscher bis auf das Hochland zurückgezogen haben und von der Küste aus nicht mehr zu sehen sein. Und wenn diese Dynamik anhält, wird der gigantische Vatnajökull in 200 Jahren nur noch ein ganz normales Schneefeld sein. Wer immer noch glaubt, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gibt, der sollte nach Island kommen.

Unsere Route durch Island bis Vik

Unterhaltsame Regenzeit

Wir bleiben noch einen ganzen Tag in Vik, denn es regnet und regnet und regnet…..Der 90-Seelen-Ort hat sich seit unserem letzten Besuch unglaublich verändert und ist dabei sein Gesicht zu verlieren. Ein großer Supermarkt ist hinzugekommen, es gibt ein riesiges Souveniergeschäft mit allerlei Andenkenkitsch von der bewährten Islandluft in Dosen über Lavasand im Glas bis zu Original Islandpullovern made in China. An der Hauptstraße wurden lange Reihen quaderförmiger Appartementhäuser für Touristen gebaut. Aber nach wie vor wunderbar ist der ewig lange, schwarze Sandstrand, an dem sich die großen Wellen weiß schäumend brechen und der bei jedem Wetter einfach herrlich ist für lange Spaziergänge, sogar im Regen.

Vik

Der Campingplatz hat einen schönen Aufenthaltsraum mit Küche, in dem wir einen Großteil des Tages verbringen. Wir schreiben unseren Blog, bearbeiten die Fotos, stöbern im Internet und unterhalten uns vor allem mit anderen Reisenden. Man lernt dabei immer interessante Leute kennen, wie z.B. ein deutsches Mädchen, das quer über die Insel gewandert ist und voller Begeisterung davon berichtet. Das bringt einen auf gute Ideen….Oder eine Schweizerin, die jeden Sommer mit Zelt und Auto in Island verbringt – und das mit nun 77 Jahren. Absolutes Highlight des Tages ist aber das Wiedersehen mit dem „Monster“, das uns erstmals am Raudarsandur in den Westfjorden begegnet ist. Der aufmerksame Leser wird sich an unsere Beschreibung des überdimensionierten Expeditionslasters vielleicht erinnern. Der Kapitän dieses Schlachtschiffes spricht uns an, denn auch er hat nicht vergessen, dass wir damals unseren Sandfloh etwas zur Seite gefahren hatten, nachdem er uns so nah auf die Pelle gerückt war. Nun schwadroniert er stolz über sein Riesenmonster und seine schon bestandenen Abenteuer. Vor lauter Selbstverliebtheit merkt der arme Kerl gar nicht, wie sehr wir uns amüsieren und ihn ordentlich wegen der ungeheuren Größe und des martialischen Aussehens seines Fahrzeugs auf den Arm nehmen. Den Vogel aber schießt die Schweizerin ab, die mit landestypischen trockenem Humor und ihrem herrlichem Akzent lakonisch ihr Urteil fällt: „Aber so ein graues Riesending mit diesen Schießscharten ist doch schon ein richtiger Panzer, oder?“ Wir grinsen innerlich von einem Ohr zum anderen. So vergeht der Regentag wie im Flug.

Pakgil – verwunschenes Märchenland

Am 11.09. fahren wir weiter, allerdings nur 15 Kilometer bis zur Schlucht Pakgil in den Bergen unterhalb des Myrdaljökull. Hier gibt es am Ende der Schotterstraße nichts, außer den wohl schönsten Campingplatz Islands auf einer idyllischen Wiese mit Schafen, inmitten der Felsschlucht gelegen, mit einer durch einen Holzofen beheizten Lavahöhle als Aufenthaltsraum. Hinter dem Zeltplatz wird die Schlucht ganz eng, nur ein Bach und ein schmaler Weg finden noch Platz, herab gestürzte Felsbrocken liegen auf dem Pfad. Den Abschluss bildet ein kleiner Wasserfall.

Fahrt zur Pakgil

Schon die Fahrt zur Pakgil ist ein Genuss. Wild gezackte Berge, wolkenverhangen, mit skurrilen Lavaformen und bewachsen mit leuchtenden Moos begrenzen tiefe Schluchten. Mitten durch dieses Märchenland aus schwarzen Felsen und neonfarbenem Grün bahnt sich der Gletscherfluss Mulakvisi durch eine schwarze Schwemmebene ungezähmt seinen Weg. Sein Wasser riecht nach Schwefel, ein Zeichen für die Aktivität der vier Vulkane unter der mächtigen Eiskappe des Myrdaljökull. Deshalb werden, wie an allen Gletscherflüssen, Pegelstand und Temperatur des Wassers überwacht.

Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus, zu unwirklich wirkt diese archaische Urlandschaft. Wenn es irgendwo Elfen, Trolle und andere Fabelwesen geben sollte, dann hier. Eine dreistündige Wanderung im Regen eröffnet neue Perspektiven, die man vom Auto aus nicht gewinnt, macht uns aber auch klatschnass. Doch eine heiße Dusche auf dem Zeltplatz taut uns danach wieder auf.

Campingplatz Pakgil
Blick in die Pakgil
Pakgil

Der nächste Tag erfreut uns durch die Abwesenheit von Regen. Also wird der zweite Versuch einer Tagestour gestartet, diese Mal ein voller Erfolg. Wir folgen einem gut mit gelben Pflöcken markierten Rundweg, der auch auf einer Infotafel am Campingplatz abgebildet ist. Über eine sehr steile, steinige Jeep-Piste wandern wir hoch zum Rand der Schlucht, immer wieder mit wunderbaren Ausblicken. Unter unseren Schritten klingt der Boden manchmal hohl, dann befinden wir uns über einer Lavahöhle. Schließlich geht es mäßiger bergauf über eine Hochebene, bis wir nach 600 Höhenmetern auf einer Moräne stehen, die einen überwältigenden Blick auf die Gletscherzungen des Myrdalgletschers freigibt. Unmittelbar vor uns geht es senkrecht nach unten in einen ca. 200 Meter tiefen, lavaschwarzen Canyon. Darüber bricht die mächtige Eiskappe des blauschimmernde Höfðabrekkajökull ab, zahlreiche Wasserfälle vom Schmelzwasser stürzen in den Canyon, auf dessen Grund eine weitere Gletscherzunge ins Tal drückt. Möwen nisten in den grün bemoosten Steilwänden und lassen sich im Aufwind elegant nach oben treiben. Ein unglaublicher Anblick. Wir sind völlig aus dem Häuschen, stehen sprachlos staunend vor diesem Naturwunder. Der Pfad führt bequem über eine fast ebene Schotterfläche lange am Rand des Canyons entlang. Wir können uns nicht satt sehen, immer wieder gibt es neue und noch phantastischere Perspektiven. Was für ein imposanter Anblick, welche mächtigen Gewalten formen hier die Natur und wie winzig klein sind wir Menschlein dagegen.

Abbruchkante des Höfðabrekkajökull

Höfðabrekkajökull
Canyon des Höfðabrekkajökull

Schließlich geht es über einen schmalen Pfad unmittelbar am Rand der Pakgilschlucht zurück. Nun reicht der Blick bis zum Gletscherweiß des Vatnajökull und zum Meer. Teilweise ist der Weg ausgesetzt und extrem steil. Eine Passage auf brüchigem Schotter bringt mich als höhenangstgeplagten Hasenfuß ins Schwitzen. Alleine wäre ich keinen Schritt weitergegangen, denn wir müssen über einen leicht schrägen und nur fußbreitem Grat. Links geht es ca. 50 Meter fast senkrecht nach unten, rechts gibt es eine steile Kante, hinter der der Abgrund der Pakgilschlucht gähnt. Es sind ca. 100 Meter, die wir uns langsam und Schritt für Schritt vorwärts tasten. Olaf geht dicht vor mir voran. Ich versuche, nur auf seine Füße zu schauen und mich auf den Rythmus zwischen dem nächsten Schritt und Absichern mit den Stöcken zu konzentrieren. Irgendwann fangen die Beine an unkontrolliert zu zittern, nach einigen tiefen Atemzügen geht es dann wieder besser. Es ist echt das Grauen. Endlich wird der Weg etwas breiter, geschafft! Und wir hatten uns schon gewundert, warum der Rother-Wanderführer Hin-und Rückweg über die Jeep-Piste ausweist und so den Abschnitt mit den schönsten Ausblicken auf den Gletscher auslässt. Jetzt wissen wir den Grund. Über steile Grashänge geht es dann im Zickzack in Tal und zum Campingplatz zurück. Eine tolle Tour und die beste Wanderung in Island bisher!

Wandertage im Skaftafell

Fast gewöhnt man sich daran – die ganze Nacht und den ganzen Tag über regnet es mal wieder Bindfäden. Aber im Osten soll das Wetter besser sein. Und so fahren wir in einem Rutsch bis zum Nationalpark Skaftafell. Im Regengrau wirkt das 200 Jahre alte, dick bemooste Lavafeld des Eldhraun noch geheimnisvoller. Immer wieder quert die Ringstraße 1 die Sander von Gletscherflüssen. Hinter den über 700 Meter hohen Klippen, die früher einmal die Küste gebildet haben, beginnt unvermittelt die völlig ebene Sandwüste des Skeidararsandur. Erst vor rund 45 Jahren gelang es, das letzte 35 Kilometer lange Stück der Ringstraße mittels Brücken und Dämmen über diese gefährliche, sich ständig mit dem Lauf der Flüsse verändernde Schwemmlandschaft zu vollenden. Beim letzten Gletscherlauf 1996 wurden die Brückenpfeiler durch die Wassermassen wie Streichhölzer umgeknickt.

Am Skeidararsandur

Der Skaftafell-Nationalpark ist ein Touristenmagnet an der Südküste. Hier kann man die Gletscherzungen des Vatnajökull, aus nächster Nähe bewundern. Normalerweise ist der Campingplatz mit 1800 Leuten täglich belegt, eine grauenhafte Vorstellung. Jetzt stehen hier ca. 20 Camper. Wir werden zwei Tage bleiben und wandern, dann das Wetter soll sehr gut werden. Eine erste Tagestour führt uns bei leicht bewölktem Himmel über 20 Kilometer zum Morsajökull, dessen Gletscherzunge in einen See endet. Der Rückweg führt uns über die endlosen schwarzen Schotterflächen des Sanders, dessen Weite man erst aus Fußgängerperspektive erfasst. Ungefähr 45 Kilometer lang und 25 Kilometer breit erstreckt sich die durch die Gletscherabflüsse geschaffene Schwemmebene Skeidararsandur bis zum Meer, die Sand-Kiesschicht ist 200 Meter dick. Wir staunen angesichts dieser Superlative immer wieder über die gewaltigen Naturkräfte, die diese Landschaft formten und noch immer verändern.

Der nächste Tag trumpft mit traumhaften Wetter auf. Knallblauer Himmel ohne die winzigste Wolke und Windstille. Ein richtiger Sommertag, auch wenn es schon knackigen Nachtfrost gibt. Da muss man natürlich den ganzen Tag unterwegs sein. Unser Ziel ist der 1126 m hohe Kristinartinder. Sehr schön geht es direkt hinter dem Zeltplatz durch Birkenwald und dann über Heideflächen stetig bergan auf eine Hochebene, immer mit herrlichen Ausblicken auf den Skaftafellsjökull, dessen breite Gletscherzunge das Tal unter uns ausfüllt. Aber auch er ist schon arg geschrumpft. Vor allem hat er auch an Dicke verloren, in der Mitte wird sogar schon der Schotter der Grundmoräne sichtbar, der den Gletscher nun in zwei Hälften teilt. Dahinter erheben sich majestätisch um den 2110 Metern hohen Öraefajökull die höchsten Gipfel des Landes, bedeckt mit Gletschern und gleißend weißem Neuschnee. Ab ca. 600 Meter Höhe endet die Vegetation. Über Schotterflächen geht es am Steilhang oberhalb einer Schlucht weiter bergan bis zu einem Sattel. Danach beginnt der eigentliche Aufstieg zum Gipfel, sehr steil und mit etwas Kletterei. Das ist nur etwas für Olaf, der mit einem grandiosen Blick belohnt wird. Ich habe es ja nicht so mit schwindelnden Höhen und umgehe den Steilhang über die Hochebene, um dann von der Rückseite durch ein Kar bis zum Sattel aufzusteigen. Auch hier ist bereits der Blick großartig. Oben kommt mir Olaf schon wieder im Abstieg vom Gipfel entgegen.

Auf dem Kristinartinder
Blick über den Skeidararsandur

Der Rückweg auf der Westseite der Hochebene verwöhnt uns mit Ausblicken auf den Vatnajökull und den Morsajökull sowie die bunten Berge im Umfeld. Die Fernsicht reicht bis zu den 150 Kilometer entfernten Klippen bei Vik, die in der klaren Luft zum Greifen nah aussehen. Vor uns erstreckt sich im Tal der Skeidararsandur, durch den sich die Gletscherflüsse wie Adern ziehen, dahinter glänzt im Sonnenlicht das Meer. Eine herrliche Wanderung. Am frühen Abend erst sind wir wieder am Zelt.

Gletscher und Meer

Am nächsten Tag empfängt uns leider wieder grauer Himmel. Auf unserer weiteren Reise nach Osten sehen wir noch viele Gletscherzungen des Vatnajökull, die über die Steilküste hinabfallen und bis auf Meereshöhe fließen. Es ist schon faszinierend, gleichzeitig am Meer und an Gletschern vorbeizufahren. Aber die Folgen des Klimawandels sind unübersehbar. Besonders anschaulich wird für uns diese dramatische Entwicklung an der Gletscherlagune Jökullsaron. Während wir vor 14 Jahren vom Rand des Sees noch die imposante Eiswand aus nächster Nähe bewundern konnten, ist sie nun nur noch aus weiter Entfernung zu sehen.

Dennoch ist dieser Ort noch immer faszinierend. Viele Eisberge schwimmen im Wasser der Lagune, einige sind so groß wie mehrstöckige Häuser. Manche schimmern in gleißendem Blau, andere sind von Lavastaub schwarz gefärbt. Wo sonst ein Touristenrummelplatz ist, herrscht nun friedvolle Stille. Restaurant und Souvenirshop sind geschlossen. Anstelle der Schlauchboote schwimmen verspielte Robben zwischen des Eisbergen umher. Und vor allem ist es nun so still, dass man nichts hört außer dem Klirren des aneinander stoßenden Eises und das Plätschern der Tauwassertropfen.

Ein Hauch von Grönland – Jökullsaron

Durch den Abfluss des Sees werden die Eisberge ins Meer gespült und von den Wellen ans Ufer getragen. Dort schmelzen sie bis zur nächsten Flut dahin und bilden dabei die wunderbarsten Skulpturen. Manche sind noch weiß-blau schimmernd, andere bereits völlig durchsichtig wie Glas oder funkeln wie riesenhafte Diamanten auf dem schwarzen Sandstrand des Diamont Beach. Jedes ist ein Kunstwerk der Natur. Wir haben Glück mit unseren Streifzüge durch die Eiswelt, denn erst am Nachmittag fängt es an zu regnen.

Eisberge am Diamont Beach
Vergängliche Kunstwerke aus Eis

Nach einer stürmischen Nacht bessert sich das Wetter wieder. Wir bummeln vormittags durch Höfn mit seinem lebhaften Fischereihafen und fahren dann wieder 40 Kilometer zurück nach Westen, um die Piste F985 zu erkunden. Das hätte am Vortag im Regen keinen Sinn gemacht. Insgesamt ist die Strecke gut zu fahren, aber etliche Abschnitte sind sehr steil, grob steinig und daher rutschig. Allradantrieb und entsprechende Reifen sind notwendig. In vielen Serpentinen windet sich die Piste empor mit herrlicher Panoramasicht auf die Küste. Es geht über eine schöne Hochfläche, dann vorüber an einer abgrundtiefen Schlucht und noch einmal in steilen Serpentinen bis auf eine Höhe von über 800 Meter. Sehr beeindruckend ist bereits die Strecke entlang des Skálafellsjökull. Nach 16 Kilometern endet die Piste direkt vor dem Eis des Vatnajökull. Die letzten 100 Meter schafft unser Sandfloh nicht und wir gehen zu Fuß weiter. Die Kombination aus extremer Steigung, kopfgroßem Geröll und weichem Untergrund ist zu viel. Einfach überwältigend ist dann der wirklich majestätische Anblick der endlosen, gleißend weißen Eisfläche des Gletschers. Langsam rollen wir schließlich wieder bergab. Am Rand der Hochebene finden wir einen windgeschützten Stellplatz für die Nacht und genießen den Blick über die gesamte Küstenlinie.

Am Rande des Vatnajökull, Piste F985

Am nächsten Tag ist es immer noch sonnig und mit 12 Grad recht warm. Wir statten zunächst dem 8 Kilometer von der Küste entfernten Fláajökull einen Besuch ab. Bei der Fahrt dorthin hat man einen sehr schönen Blick auf die anderen Gletscherzungen des Vatnajökull. Der Fláajökull selbst ist wenig spektakulär, aber vielleicht haben wir uns auch bur schon zu sehr an außergewöhnliche Landschaften gewöhnt. Hinter Höfn machen wir einen Abstecher hinauf zum Aussichtspunkt am Pass Almannaskarð. Mit dem Bau eines Tunnels sind die 16% Steigung hinauf überflüssig geworden, aber uns reizt das natürlich. Hinter dem Almannaskarð beginnt die Ostküste Islands. 

 

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