Dachten wir, dass freitags viel Rummel am Vulkan Nevado de Toluca herrscht, werden wir am Samstag eines Besseren belehrt. Denn heute rollen noch zahlreiche Reisebusse an, der Parkplatz ist bereits am frühen Morgen komplett belegt und Vielfalt sowie Lautstarke der musikalischen Untermalung sind unbeschreiblich.
Fluchtartig machen wir uns nach einer weiteren eiskalten Nacht und dem Frühstück bei frischen 4 Grad vor dem Auto auf den Weg.
Malinalco
Unsere Route führt auf einer sehr guten Schotterstraße durch den schönen Wald des Nationalparks. Hier hätten wir nicht weit von Eingangstor entfernt wunderbare, ruhige Stellplätze gefunden.
Rasch verliert die Straße an Höhe, es wird immer wärmer. In der Gegend um den Vulkan werden Blumen und Erdbeeren angebaut, alles in Gewächshäusern. Von oben sieht die Landschaft aus wie ein Meer aus Plastikfolie, aus dem die kleinen Dörfer wie Inseln ragen. In einer Stadt wird noch der Wocheneinkauf im Supermarkt erledigt. Das dauert erfahrungsgemäß eine gewisse Zeit, denn an der Kasse gibt es stets eine lange Schlange und die Kassierer arbeiten nach unserem Empfinden in Zeitlupentempo. Rund 35 Euro kostet ungefähr unsere Verpflegung für 7 Tage. Auch wenn man mit einer Geschwindigkeit von nur 30 km/h dahin holpert, diese Fahrten über Land durch abgelegene, oft sehr armselige Dörfer sind spannend, zeigen sie doch ein ganz anderes Bild als die Pueblos Magicos.
Genau ein solches Dorf erreichen wir nach 3 Stunden und 70 Kilometern. Malinalco liegt spektakulär in einem Tal umgeben von steilen Felsbergen auf nur noch 1740 Metern Höhe. Plötzlich ist wieder Sommer mit über 30 Grad! Im Dorf ist am Wochenende Markt, viele Besucher drängen sich durch die Gassen oder sitzen in den Lokalen. Der Ort mit seinen malerischen Häusern ist ganz auf Tourismus eingestellt und für unseren Geschmack etwas zu rummelig. Sehr genießen wir es jedoch, abends wieder lange in der lauwarmen Luft draußen sitzen zu können.
Wir übernachten am Ortsrand im Garten des Lokals Pancho Mexicana für 200 Pesos, ca. 8 Euro. Dafür gibt es einen schattigen Stellplatz auf der Wiese. Das Hahnengeschrei am Morgen und übliche Gebell der Dorfhunde während der ganzen Nacht sind kostenlos. Und Pancho, unser freundlicher Wirt, meint es sicher nur gut, wenn er den Lautsprecher seiner Anlage zum Anschlag hochdreht und uns – nein, nicht schon wieder ! – mit mexikanischen Schnulzen beglückt. Außerdem bietet er uns einen Einblick in sein Privatleben, denn die Veranda des Lokals ist gleichzeitig Wohnzimmer und Küche der Familie, auch die Tür zum kleinen Schlafzimmer daneben ist weit offen. Die Toilette ist für alle da. Als ich dorthin gehe, sitzt gerade die kleine Tochter des Hauses mit einem Buch auf dem Klo und bekommt einen Riesenschreck. Wieder einmal bedaure ich, dass meine Spanischkenntnisse, auch wenn sie schon besser geworden sind, noch immer nicht reichen für eine richtige Unterhaltung mit dieser netten Familie.
Der Sonntagvormittag gehört der Kultur. Über 358 Stufen steigen wir auf einem gepflasterten Weg hinauf in eine Talwand hoch über Malinalco. Hier ist um 1400 n. Chr. ein Aztekten-Tempel für die als Gottheiten verehrten Adler, Schlange und Jaguar in die Felswand geschlagen worden. Bautechnisch ist dieser Tempel damit vergleichbar mit Petras in Jordanien oder Abu Simbel in Ägypten, allerdings ist er nur mit Steinwerkzeugen gebaut und sehr viel kleiner. Die adlige Elite der Soldaten wurde hier in einem blutigen Initiationsritus in die Kaste der Adler- und Jaguarkrieger aufgenommen, die als besonders unerschrocken galten, und genossen so den höchsten sozialen Status. Ansonsten durften nur die herrschenden Adligen und Priester El Cuauhcalli, das “Haus des Adlers” betreten. Ein Ort mit besonderer Atmosphäre und einem herrlichen Blick über das Tal von Malinalco.
Mittags gönnen wir uns in einem Restaurant am trubeligen Marktplatz ein gutes Essen. Olaf genießt gedünstete Forelle, wahrend der Wirt für mich ein vegetarisches Spezialgericht aus Spiegelei, Reis, Mole Salsa und Tortillas kreiert. Gut schmeckt auch der Ensalada de Nopales, Salat aus Kaktusblättern. Nach einem Marktbummel ist wieder Platz im Magen für Kaffee und Kuchen. Zu unserem Leidwesen werden Torten, wie meistens, nur im Ganzen verkauft. Das überfordert selbst uns!
Xochicalco
Rund eine Stunde fahren wir am nächsten Vormittag durch das Tal von Malinalco weiter in die Ebene hinab. Das Land liegt braun und ausgedorrt in der Sonne. Nach der Regenzeit im Mai , wenn alles wieder grün ist, ist es bestimmt sehr idyllisch hier.
Schon von weitem sehen wir den Xochicalco auf einem Hügel liegen. Die befestigte Stadt hatte ca. 650-900 n.Ch. ihre Blütezeit und war das Zentrum verschiedener Kulturen. Hier versammelten sich 650 n. Chr. die Vertreter der verschiedenen mexikanischen Völker, um ihre Kalender aufeinander abzustimmen. Der damalige Kalenderzyklus umfasste 52 Jahre. Die Ruinen der UNESCO-Welterbestätte sind sehr beeindruckend. Besonders schön ist die Pyramide des Quetzalcóatl mit wunderbaren, fast abstrakt grafischen Reliefs der gefiederten Schlange. Wieder sind wir hier fast alleine. In völliger Ruhe genießen wir so die besondere Atmosphäre dieses Ortes.
Cacahuamilpa
Nach einer weiteren Stunde Fahrzeit erreichen wir nachmittags die Grutas de Cacahuamilpa. Das Höhlensystem ist eines der größten weltweit und wirklich überwältigend. Schon der Eingang ist beeindruckend weit wie ein gewaltiges Tor. Für Besucher führt ein bequemer Weg zwei Kilometer durch 9 gewaltige Kammern mit bis zu 80 Metern Höhe und über 40 Metern Weite, die durch engere Gänge voneinander getrennt sind. Man hat nicht den Eindruck in einer Höhle zu sein, sondern eher in einer unterirdischen Stadt. Wir fühlen uns wie die Hobbits in den Gruben von Moria, Gott sei Dank ohne Orks und Balrog.
Gigantische Stalagmiten und Stalakiten werden kunstvoll ausgeleuchtet. Leider nur auf dem rund 1,5 Stunden dauernden Hinweg in die Unterwelt. Denn der obligatorische Guide schaltet die Lampen in jeder Grotte wieder aus, den Rückweg darf man dann alleine bei spärlicher Notbeleuchtung antreten. Gut, dass wir Taschenlampen dabei haben. Völlig überflüssig waren jedoch die warmen Jacken, die wir mitgebracht hatten, da es nach unseren Erfahrungen in Höhlen immer kalt ist. Hier ist es jedoch tropisch feucht-heiß, bald sind wir klatschnass geschwitzt. Die Nacht verbringen wir auf dem Besucherparkplatz, nachdem wir das Sicherheitspersonal um Erlaubnis gebeten hatten. In Mexiko ist so was in der Regel kein Problem. Um 19 Uhr schließen auch die Verkaufsstände und wir sind alleine.
Taxco
Am Dienstag sind wir nach nur einer Stunde Fahrzeit in der Stadt Taxco, ebenfalls ein Pueblo Magico. Abenteuerlich ist die Lage der alten Silberbergbaustadt in den Steilhängen eines schluchtähnlichen Tales. Dachte wir schon in Guanojuato, dass die Gassen steil und eng sind -Taxco übertrifft dies locker. Es gibt nur eine wirklich zweispurige und relativ ebene Straße durch die Stadt. Der Rest ist wirklich spannend zu befahren und ich bewundere Olaf, wie er mit Augenmaß millimetergenau Master Yoda durch das Labyrinth zu einem Stellplatz steuert.
Wir bleiben eine Nacht auf einem Grundstück mit einigen Wohnungen am Rand einer Art Bauplatz, leider ohne Toiletten, aber in unmittelbarer Nähe zum malerischen Zentrum. Dort bummeln wir kreuz und quer durch die steilen Gassen, manche haben Treppenstufen und sind nur für Fußgänger zu benutzen. Etwa störend empfinden wir den dichten Verkehr, vor allem am zentralen Zocalo. Ein nicht endender Strom von uralten VW-Bussen als Corlectivos, VW-Käfern als Taxis sowie Motorrädern und Quats quält sich hochtourig und mit entsprechendem Lärm sowie Gestank durch die ganz auf Tourismus ausgerichteten Altstadt. Trotzdem ist die Architektur der unter Denkmalschutz stehenden Kolonialstadt wunderbar. Ein Highlight ist auch die prachtvolle Barockkathedrale, deren vergoldete Altäre so überladen sind mit Heiligenfiguren und Engeln, dass einem ganz schwindlig wird -was vielleicht auch beabsichtigt war.
Wie so oft gefällt uns der Markt am besten. Ein basarartiges Labyrinth, nur zu Fuß über Treppen und Gassen zu erkunden. Hier gibt es einfach alles zu kaufen – ob geröstete Heuschrecken oder uralte Handy. Und die Verkäufer sind oft wahre Originale.
Unser Stadterlebnis müssen wir mit einer fast schlaflosen Nacht bezahlen. Unsere Nachbarn in den Wohnungen am Stellplatz besitzen einen wunderbaren großen Fernseher draußen auf dem Balkon und damit fast neben unserem Auto, der bis morgens um 6 Uhr in voller Lautstärke läuft. Da kommt man wirklich auf Mordgedanken – eine Reise ist kein Urlaub.
Puebla
Eine mehrstündige Fahrt, ausnahmsweise über die mautpflichtigen Schnellstraßen, bringt uns bequem in die Millionenstadt Puebla, rund 100 Kilometer östlich von Mexiko City. Sehr beeindruckend ist der Blick auf den Potocatépetl, dessen 5452 Meter hoher Gipfel kaum in der dichten Rauchwolke des aktiven Vulkans zu sehen ist. Er macht seinem Namen “ Rauchender Berg” wirklich alle Ehre.
Wir übernachten auf dem RV-Platz in Cholula, einer Stadt kurz vor Puebla. Auch den gesamten nächsten Tag verbringen wir hier, da mich in der Nacht ein heftiger Durchfall geplagt hat. Und einmal gar nicht tun, ist ja auch schön.
Am nächsten Morgen brechen wir per Uber nach Puebla auf. Die rund halbstündige Fahrt kostet nur 130 Pesos, rund 8 Euro. Mittelpunkt der Stadt ist, natürlich der Zocalo, wie immer gekrönt von einer Kirche. Die Kathedrale von Puebla wartet mit einigen Superlativen auf. Mit 67 Metern sind die Doppeltürme die höchsten des Landes, bereits ein Seitenschiff ist so groß wie eine normale Kirche und der zentrale, freistehende Altar schwelgt in Gold. Übertrumpft wird er nur noch von der Rosenkranzkapelle des Dominikanerkirche, ein protziger Goldrausch aus Engeln und Heiligen. Das ist mehr als unsere Augen vertragen können.
Aber ein schöner Kontrast sind hier die Votivkerzen, die man gegen einen Obolus entzünden kann. Sie sind elektrisch, leuchten nach Einwurf von ein paar Pesos eine Stunde lang und können dann direkt wieder verwendet werden. Diese Mischung aus zur Schau gestellten Prunk und lebensnahen Pragmatismus trifft man auch im Alltag oft. Ich erinnere mich z.B. an Guanajuato, wo eine herausgeputzte Hochzeitsgesellschaft mit größter Selbstverständlichkeit in langen Seidenkleidern an einem billigen Imbiss auf dem Markt mit uns zu Mittag gegessen hat.
Im vegetarischen – eine Seltenheit in Mexiko-Restaurant La Zanahoria (die Mohrrübe) essen wir sehr gute Enchiladas mit drei verschiedenen Mole-Soßen. Mole sind cremige Soßen aus vielen Gewürzen und gemahlenen Nüssen und manchmal sogar mit einem Hauch Schokolade. In Puebla sollen sie besonders gut sein, was wir bestätigen können. Am Nachmittag bummeln wir kreuz und quer durch die Gassen der als UNESCO Welterbe deklarierten Altstadt mit ihren sehr schön mit bemalten Keramikfliesen (Talavera-Kacheln) oder weißem Stuck überreich verzierten, bonbon-bunten Häusern.