Albsteig / HW 1

Vom 14. – 25. Juli 2023 geht es auf den Albsteig / HW 1,  der am nördlichen Rand der Schwäbischen Alb von Donauwörth nach Tuttliingen verläuft. Mich reizen, neben den schönen Fernblicken vom Albtrauf, die Trockenrasenwiesen mit herrlichen Wildblumen und die zahlreichen Burgen. Vor allem aber auch die naturbelassenen Pfade, die immerhin die Hälfte des Wanderweges ausmachen. Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass man die ersten 120 Kilometer überwiegend auf geraden, breiten Schotter-Wegen wandert. Der damit etwas monotone Start des Albsteiges dient damit eher dem „Warmlaufen“. 

Übersichtskarte Albsteig / HW 1

Hinweis:
Es gibt im Schwarzwald ebenfalls einen „Albsteig“, was leicht zu Verwechselungen führt. Der schwäbische Albsteig trägt daher zusätzlich die offizelle Bezeichnung „HW 1“ des Schwäbischen Albvereins.

Meine Tour auf dem Albsteig / HW 1 im Überblick

Kenndaten Albsteig/HW 1*

Markierung Albsteig / HW 1

Start / Ende: Donauwörth / Tuttlingen
Länge: 359 km (360 km bis Marktplatz Tuttlingen)
Höhenmeter: 8.443 bergauf / 8.230 bergab
tiefster / höchster Punkt: 379 m / 1017 m
Markierung: Rotes Dreieck
*Quelle: SAV/Schwäbischer Alb Tourismusverband

Etappenplanung

Den offizielle GPX-Track zum kostenlosen Download findet man auf der Webseite des Schwäbische Alb Tourismusverbandes. Hier werden auch die 16 empfohlenen Etappen detailliert beschrieben und entsprechende Übernachtungsmöglichkeiten in Hotels, Gasthöfen, Wanderheimen etc. aufgelistet.

Mit meinem Zelt war ich unabhängig von Unterkünften und habe folgende 11 Etappen benötigt: 

Meine Etappen

Weg-Km*

Distanz [km] Bezeichnung 
Start 0 0 Donauwörth Rathaus (+ 1 km ab Bahnhof)
Camp 1 23 23 Wald ca. 1 km westl.der Waldgaststätte Eisbrunn
Camp 2 52 32 Wald bei Mutterbuche (+3 km nach/von Schweindorf)
Camp 3 79 28 Waldschule (abseits des HW 1)
Camp 4 112 33 Wiese am Naturfreundehaus Himmelreich
Camp 5 145 33 Grillplatz am Gasthof Wasserberghaus
Camp 6 177 32 Ochsenwang, Landgasthof „Zur Krone“
Camp 7 213 36 Wald am Aussichtsturm Hohe Warte
Camp 8 251 38 Wiese vor Hütte/Blockhaus Bolberg
Camp 9 284 33 Wiese in Nähe Nägelehaus/“Hangender Stein“ (ca. 500 m abseits des HW 1)
Camp 10 314 30 Schutzhütte Schafberg-Lochenstein
Camp 11 339 25 Schutzhütte Kreuzsteighütte
Ende 360 21 Tuttlingen, Marktplatz

* entsprechend GPX-Track des SAV/Schwäbischer Alb Tourismusverband

Zuverlässige Wasserquellen, Einkauf, Schutzhütten 

Natürliche Quellen (Bäche, Brunnen), die zuverlässig immer Wasser führen, sind wegen der trockenen Kalkböden in der Schwäbischen Alb rar. Hier ist man im Prinzip darauf angewiesen, in Ortschaften Wasser auf Friedhöfen zu zapfen bzw. in Gaststätten oder Privathäusern zu erbitten. Einkaufsmöglichkeiten gibt es immer ausreichend. Die Abstände zwischen Schutzhütten sind sehr unterschiedlich. Mit Zelt oder Tarp ist die Etappenplanung variabel und am Albsteig / HW 1 ist es leicht sehr gute „wilde“ Zeltstellen zu finden. 

Die zuverlässigen Wasserquellen, Einkaufsmöglichkeiten sowie Schutzhütten am Albsteig / HW 1 habe ich als Waypoints in einer GPX-Datei im Garminformat bzw. als Tabelle mit einigen Anmerkungen zum Download bereitgestellt: 

Hinweis: Unbedingt recherchieren solltet ihr vorab die Öffnungszeiten von Gaststätten, Naturfreundehäusern und SAV-Wanderheimen, wenn ihr euch dort versorgen oder übernachten möchtet.  Häufig sind sie auf das Wochenende beschränkt. Wanderheime sind zudem oft während der Schulferien im Sommer für einige Zeit geschlossen. Außerhalb der Öffnungszeiten ist dort auch telefonisch für Reservierungen im Regelfall niemand erreichbar. 

Mein Gepäck

Am Körper:
Zipp-Hose, Unterhose, BH, Wanderhemd, Baseballkappe, Strümpfe, Schuhe (Trailrunner), Wanderstöcke (zum Zeltaufbau, hilfreich bei den stellenweise sehr steilen Pfaden)

Im Rucksack  
Ultraleicht-Zelt, Bodenplane, Schlafsack, Liegematte, PET-Wasserflaschen (1×1 l, 2x 0,5 l), Wassersack 2 l, Sawyer-Wasserfilter (nicht benutzt), Hygienartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Mini-Haarbürste, Toilettenpapier, Schaufel, Feuerzeug), Goretex-Jacke, Regenrock (selbstgebastelt aus Müllsack), 1. Hilfe-Set, Taschenmesser, Stirnlampe, Schraubdeckeldose zum Einweichen von Porridge, Löffel, Kleidung (je 1x Unterhose, Shirt, Strümpfe), Elektroartikel (Handy, Ladekabel und -stecker, Powerbank) 

Lebensmittel (für maximal 5 Tage):
Frühstück: Porridge / Instantkaffee
Mittag und Abend: TUC-Kekse, Knäcke
Snacks: Erdnüsse, Müsli- und Proteinriegel, div. Leckereien beim Einkauf in Ortschaften

Rucksackgewicht
Basisgewicht: 5,8 kg
Lebensmittel: 0,5 – 2,5 kg
Wasser 0,5 – 4 l: 0,5 – 4 kg
max. Gesamtgewicht: 6,8 – 12,3 kg

Navigation

Entfernungs-Wegweiser

Der Weg ist mit dem Symbol „Rotes Dreieick“ und gelben Schildern mit Entfernungsangaben insgesamt gut ausgewiesen. Doch des öfteren, und gerade im mittleren Teil, gibt es etliche Lücken in der Beschilderung. Da besteht absolut Verbesserungsbedarf. Unverzichtbar sind deshalb eine Wanderkarte oder der GPX-Track auf einem Navi oder Handy.

Tourenbericht

Im Folgenden berichte ich die persönlichen Erlebnisse der Tour, wobei dieses Tagebuch naturgemäß meinen subjektiven Eindruck wiedergibt. Die Kilometerangaben beziehen sich auf die Angaben gemäß GPX-Track, nicht auf die wirklich gelaufene Strecke. Erfahrungsgemäß kommen bei mir, da ich gerne mal den richtigen Abzweig des Wanderweges verpasse oder einen Umweg wegen Einkauf, Ortsbesichtigung oder zum Tanken von Wasser unternehme, ca. 5% Wegstrecke hinzu.      

Tag 1: Anreise / Donauwörth bis hinter Waldschenke Eisbrunn (23 Km)

Start der Albrandwege

Die Fahrt mit dem Zug aus dem heimatlichen Bad König im Odenwald zieht sich. Gegen 13.00 Uhr starte ich endlich am Bahnhof Donauwörth, der Albsteig / HW 1 ist bereits hier mit dem roten Dreieck beschildert. Nach einem Kilometer durch die nette Stadt ist das Rathaus und damit der offizielle Beginn des Wanderwegs erreicht. Eine Tafel weist auf den Start hin, der Albsteig ist der nördliche der beiden Albrandwege.  

Donauwörth

Rasch kommt man aus dem Ort heraus. Bei gewittrig-schwüler Luft und tropischen 30 Grad fällt das Laufen entlang der Wörnitz auf dem schattenlosen, breiten Schotterweg, der manchmal auch mit Asphalt abwechselt, schwer. Ewig geht es immer nur geradeaus. Da beneide ich die zahlreichen Tourenradler, die hier ebenfalls unterwegs sind.

Auftakt entlang der Wörnitz
Wassermühle in Wörnitzstein

Eine nette Abwechslung ist Wörnitzstein, wo eine Brücke über die Wörnitz führt. Hier nisten Störche mitten im Ort. Endlich steigt der Weg nach 8 Kilometern hinauf auf die Alb. Im schattigen Wald wird die Temperatur erträglicher. Der Bachlauf parallel zum Weg ist, wie viele der folgenden Gewässer, ausgetrocknet. Bei dieser Tour muss man wirklich seine Trinkreserven im Blick haben. 

Weiterhin eher eintönig verläuft der Albsteig / HW 1 durch Buchenwald bis Harburg. Kurz vor Harburg verlockt der Wegweiser zu einer Abkürzung direkt zur Waldschenke Eisbrunn. Immerhin 5 Kilometer kann man dadurch sparen. Doch ich bleibe standhaft und bereue es nicht. Der Wanderweg führt kurz vor der wahrhaftig sehr imposanten Burganlage in einem Bogen durch ein Wohngebiet. Hier bekomme ich in einem Privathaus meine Trinkflaschen gefüllt und einen netten Smalltalk obendrein. Gerade wenn man alleine unterwegs ist, tun solche Begegnungen gut. Durch einen etwas skurrilen, aber sehr originellen „Märchenwald“ erreiche ich einen wirklich schönen Aussichtspunkt mit Blick auf die Harburg und den tief im Tal liegenden Ort. Auch diesem Umweg sollte man mitnehmen. Die große Stauferburg ist das Highlight des Tages.

Blick auf Harburg
Stauferfestung Harburg
Biwak 1 bei Eisbrunn

Auf breiten Asphalt- und Schotterwegen geht es weiter. Im Abendlicht ist der weite Blick vom Bocksberg eine Pause wert, bevor es leicht bergab auf schnurgeraden Forststraßen durch Wald zur Waldschenke Eisbrunn geht. Hier ist an diesem heißen Freitagabend die Hölle los. Fast alle Tische sind besetzt, es wird getrunken und geschmaust. Da kann ich nicht widerstehen, immerhin gibt es als Alibiangebot für Vegetarier einen Salat. Außerdem füllt man mir auch hier gerne meine Trinkflaschen auf und in der Toilette kann ich den Schweiß dieses ersten Wandertages wenigstens etwas abwaschen. Ungefähr einen Kilometer hinter der Waldschänke finde ich abseits des Weges eine wunderbare Zeltstelle. Auf weichem Laubboden und gut verborgen wird gegen 20.30 Uhr das Zelt aufgebaut. Es war ein langer Tag.

Tag 2: Waldschänke Eisbrunn bis Mutterbuche (32 km) 

Heute soll es extrem heiß mit Temperaturen über 35 Grad Celsius werden. Eigentlich viel zu warm zum Wandern, da gilt es die kühleren Morgenstunden zu nutzen. Im Morgengrauen bin ich daher bereits auf den Beinen, um 5.30 Uhr ist Abmarsch. Doch selbst jetzt ist es schon sehr warm. Gut, dass wenigstens ein leichter Wind geht und der Weg überwiegend durch Wald und ohne große Steigungen verläuft. Leider wandere ich wieder fast ausschließlich über breite Forststraßen mit groben Schotter. Das geht an die Füße. Am Kloster und dem nahen Friedhof des hübsch am Riesrand gelegenen Ortes Mönchdeggingen gibt es frisches Wasser und eine Bank für das Frühstück. Das weitere Wegstück am Waldrand ist abwechslungsreicher, immer wieder habe ich schöne Ausblicke auf das Nördlinger Ries. Die weite, kreisrunde Ebene ist das Resultat eines Meteoriteneinschlags vor über 14 Millionen Jahren und zählt zu den besten erhaltenen großen Impaktkratern der Erde. 

Kloster Mönchsdeggingen
Quellgrotte am Wegrand

Dann überwiegt wieder die Monotonie der nun schon vertrauten schnurgeraden Forststraßen, die auch heute fast die gesamte Strecke ausmachen. Da hilft nur, in den Automatikmodus beim Wandern zu schalten. Bei der teilweise sehr schön restaurierten Domäne Karlshof wird wieder Wasser nachgefüllt, eine ganze Flasche gieße ich mir direkt über den Kopf. Die nassen Haare unter der Baseballkappe kühlen wunderbar.

 

Domäne Karlshof

An der Klosterkirche Christgarten gilt es aufpassen. Hier zweigt der Albsteig / HW 1 auf einen unscheinbaren Wiesenpfad ab. Natürlich laufe ich ein gutes Stück auf dem breiten Weg geradeaus weiter, einer der vielen zusätzlichen Kilometer, die stets zu der offiziellen Wanderstrecke dazukommen. Nach Christgarten geht es durch ein weitläufiges Wildgehege. Tiere bekomme ich keine zu Gesicht. Aber dass hier massenweise Wildschweine leben, ist leicht am umgepflügten Waldboden zu erkennen.

Um die Mittagszeit statte ich dem nächsten Ort mit dem bezeichnenden Namen Schweindorf einen Besuch ab, um dort Wasser zu holen. Das bedeutet wieder einen längeren Umweg, denn die Wegführung des Albsteig / HW 1 geht in weitem Bogen um das Dorf herum. Aber ohne literweise Trinken läuft heute gar nichts. Im Schatten mächtiger Buchen halte ich längere Zeit Siesta. Endlos zieht sich der Weg am Nachmittag dahin. Eine wirklich schöne Abwechslung ist die Begegnung mit einem älteren Pärchen, die den Albsteig in 16 Etappen laufen und in Unterkünften übernachten. Ich staune über die dennoch mächtigen Rucksäcke. Ansonsten ist kein Mensch im Wald unterwegs. 

Rastplatz Mutterbuche
Biwak 2 (Mutterbuche)

Hinter dem Ohrengipfel geht es bergab durch Wald ins Tal und gleich darauf wieder hinauf, was bei dieser Affenhitze absolut kein Spaß ist. Bereits gegen 17.00 Uhr ist mein Tagesziel erreicht. Wegen des angekündigten Gewitters mit Starkregen heute Nacht habe ich die „Mutterbuche“ als Biwakplatz gewählt. Hier soll es laut Karte eine Schutzhütte geben, die sich jedoch als überdachter Pickinickplatz und ungeeignet zur Übernachtung entpuppt. Doch schräg gegenüber finde ich im Unterholz eine kleine Zeltstelle. Kaum habe ich abends mein mobiles Heim aufgebaut, beginnt es auch schon kräftig zu regnen. Bis auf ein paar Donnerschläge und dem sacht von den Blättern tropfenden Regen merke ich unter dem dichten Lauchdach nichts von dem Unwetter, das bis zum Morgen andauert.   

Tag 3: Mutterbuche bis Waldschule (28 km) 

Morgens will es gar nicht richtig hell werden. Doch nach dem Frühstück unter dem schützenden Dach am Pichnickplatz hört der Nieselregen bereits auf. Bergab führt dann der Weg nach Flochberg und Bopfingen. Die Füße brennen nicht mehr und es läuft sich wie von alleine. In Flochberg schläft an diesem Sonntagmorgen alles noch, ein einsamer Hahn kräht. Aber einige fleißige schwäbische Hausfrauen kehren bereits um 7.00 Uhr die Straße, um die wenigen Spuren des Regens zu beseitigen. Kein Blättchen ist vor ihrem Besen sicher. Hier ist die Welt wohl noch in Ordnung. 

Marktplatz Bopfingen

Ein kleiner Umweg führt mich in das Zentrum von Bopfingen, denn hier gibt es eine Bäckerei und köstliche Hefestücke. Zeit für ein zweites Frühstück auf einer Bank am Marktplatz. Der folgende steile Weg auf den Sandberg verläuft durch einen fast zugewachsenen Wiesenpfad. Ausgerechnet jetzt, wo alles noch vor Nässe trieft. Im Nu sind meine Hose und die Füße klatschnass. Über einen kleinen Pfad geht es dann auf rutschigen Fels direkt wieder steil bergab. Wenig später werden am Friedhof Auhausen, wo ich neues Wasser zapfe, erstmal die Strümpfe ausgewrungen und an den Rucksack gehängt.

Alter jüdischer Friedhof in Auhausen
Himbeeren an der Kuhsteige

Die Schuhe haben den ganzen restlichen Tag Zeit zum Trocknen, denn es wird zunehmend sonniger. Ideales Wanderwetter. Die ca. 1 Kilometer lange Strecke über herrlich weiche Waldpfade um die Schutzhütte Kuhsteige ist ein echtes Highlight, außerdem locken hier Unmengen köstlicher Himbeeren. Sehr schön auch kurz danach beim Ort Hülen der Ausblick auf die mächtige Kapfenburg und ins Ried.

 

Waldpfad zur Kuhsteige
Kapfenburg bei Hülen
Querung der A 7 an der kontinentalen Wasserscheide Nordsee – Mittelmeer

Und wieder wandere ich überwiegend auf schnurgeraden und scheinbar endlosen, harten Schotterstraßen. Die A 7 hört man schon kilometerweit dröhnen. Was haben es die zahlreichen Radler, denen ich heute am Sonntag begegne, gut. Zum Radfahren sind diese Wege ideal, für Wanderer dagegen eine tagelange Geduldsprobe und eine echte Qual für die Füße. Auch die Orientierung ist nicht ganz so leicht, denn die Beschilderung ist teilweise sehr sparsam. Man muss oft schon sehr genau hinschauen, um an einer Wegkreuzung das in der Ferne leuchtende kleine, rote Dreieck zu sehen, was sich auch manchmal verschämt hinter Blättern versteckt. 

Am Nachmittag beschließe ich, nur noch bis zur „Waldschule“ etwa 500 Meter abseits des Albsteigs / HW 1 zu gehen. Vielleicht findet sich dort ein ruhiger Platz zum Zelten. Der ist im weiteren Verlauf des Weges nicht einfach zu finden, denn dann geht es hinab durch ein enges Tal nach Unterkochen. Die „Waldschule“ erweist sich als echter Glückfall – eine schöne Blumenwiese mit Bienenstöcken auf einer freundlichen Lichtung und ein großer Unterstand mit Bänken und Tischen, der als „Klassenzimmer“ für Schulprojekttage dient und ein toller Platz zum Übernachten ist. Allerdings liegt sie direkt an einem Wanderweg und gegen 17.00 Uhr sind noch viele Ausflüger unterwegs. Es machen sich das Wochenende und die Nähe zur Stadt Aalen bemerkbar. So warte ich lange mit dem Aufbau meines Lagers, vertreibe mir die Zeit mit meinem Tagebuch und dem entspannten Beobachten der zahlreichen Schmetterlinge.

Biwak 3 in der Waldschule

Gegen 20.00 Uhr liege ich dann endlich im Schlafsack – und erlebe noch die Überraschung des Tages! Ein älterer Mann mit einer Trompete (wahrhaftig) kommt vorbei und kriegt einen gewaltigen Schreck, als er mich dort auf dem Boden liegen sieht. Sehr höflich fragt er, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er hier Musik machen würde. Er gehe immer zum Üben in den Wald, weil er hier niemanden störe. Ein weiser Entschluss, denn die Töne, die er seinem gequälten instrument in der nächsten Stunde entlockt, sind wahrhaftig nicht besonders harmonisch. Immerhin spielt er, extra für mich, etwas, was man mit gutem Willen als „Der Mond ist aufgegangen“ erkennen kann. Was für eine skurrile Begegnung! Das ist eine dieser Episoden, die ich beim Wandern so liebe! Versöhnt mit dem eigentlich ansonsten recht eintönigen Wandertag schlafe ich ein. 

Tag 4: Waldschule bis Naturfreundehaus Himmelreich (33 km)

Der merkwürdige Trompeter ist nicht der einzige Besuch. Bei Sonnenaufgang rumort ein Wildschwein in der Nähe und irgendwer im Gebälk des Unterstandes veranstaltet einen Höllenlärm. Es ist eine niedliche Haselmaus, die mir später beim Frühstück zutraulich Gesellschaft leistet und sich über meine Porridge-Reste hermacht. Nachts und morgens fällt leichter Nieselregen, da ist so ein trockener Unterstand doch etwas Feines. Der Wandertag beginnt pünktlich um 6.30 Uhr, es kommt dann auch die Sonne heraus. 

Heute sind etliche knackige Steigungen zu bewältigen. Anstrengend zwar, aber auch endlich interessanter als die vergangenen drei Tage. Sehr steil führt der Albsteig / HW 1 als erstes hinunter in das feuchte, enge Tal zum Kocherursprung. Aus mehreren Quellen bildet sich hier das Flüßchen Kocher, ein wirklich sehr romatischer Platz.

Am Kocherursprung

Hinter Unterkochen, einem wenig schönen Ort mit regem Autoverkehr, steige ich wieder sehr steil durch den Wald hinauf auf die Alb, der Schweiß fließt in Strömen. Nächste Station ist der Aussichtstum Aalbäumle und die heute geschlossene Waldschenke. Klar, die 26 zusätzlichen Höhenmeter bis zur Aussichtplattform müssen bewältigt werden. Von oben reicht der Blick weit über die Stadt Aalen, das dichtbesiedelte Umland und die Autobahn, deren Lärm bis hier oben hinauf dröhnt. 

Blick vom Aalbäumle
Aussichtsturm Aalbäumle

Hinter dem Aalbäumle geht es auch schon wieder bergab in ein sehr schönes Wiesental und danach direkt recht steil munter bergauf zur bewirtschafteten SAV-Hütte Volkmarsberg, die jedoch heute ebenso wie der Aussichtsturm, geschlossen hat. Die Hütte liegt wunderschön auf einer weiten Wiesenfläche mit einfach großartigen, uralten Buchen, deren Äste sich wie ein Zelt bis auf den Boden neigen. Leider ist der Genuss weicher Wiesenwege sehr kurz, dann laufen meine armen Füße – man ahnt es schon – wieder bergab auf hartem Schotter.

Weg zum Tauchenweiler
Gasthof Tauchenweiler

Auch der sehr schön am Wald- und Feldrand gelegene Gasthof Tauchenweiler hat heute leider geschlossen. Dennoch laden die Bänke im schattigen Biergarten unter den großen Kastanien zur Mittagspause ein. Hinter Lauterburg steigt der Weg wieder bergauf zur Burgruine Rosenstein, die äußerst malerisch auf einem Felssporn liegt. Auch der Panoramaweg dorthin direkt am Albtrauf ist eine wirklich schöne Strecke. In der Waldschenke am Rosenstein gibt es eine erfrischende Saftschorle und für mein Handy neuen Strom. In der Zwischenzeit lausche ich interessiert den Unterhaltungen der anderen Gäste in der für mich sehr exotischen schwäbischen Mundart und verstehe nur sehr wenig.

Panoramaweg Rosenstein
Typisch Albsteig – wurzelige Waldwege
Blick auf Heubach von der Burgruine Rosenstein
Biwak 4 am Naturfreundehaus Himmelreich

Über viele Serpentinen wandere ich sehr steil  hinunter nach Heubach. Wirklich erstaunlich ist der krasse Temperaturunterschied zwischen der Alb, wo stets ein frischer Aufwind am Albtrauf weht, und der drückenden Schwüle im Tal. Eine guter Grund, um sich in der italienischen Eisdiele in Heubach noch eine Erfrischung zu gönnen. Natürlich geht es danach wieder sehr steil und schweißtreibend hinauf auf die Alb, und endlich, endlich über schöne weiche Waldpfade. Es ist bereits kurz vor 20 Uhr, als ich in der Abendsonne in der Nähe des Naturfreundhauses Himmelreich mein Zelt aufschlage.   

Tag 5: Naturfreundehaus Himmelreich bis Wasserberghaus (33 km)

Auf dem Weg nach Weißenstein

Heute ist einfach ideales Wanderwetter, sonnig und 23 Grad Celsius. Und wieder wird es ein Tag mit vielen steilen Auf- und Abstiegen. Beschwingt geht es ab 7.00 Uhr überwiegend über Wiesen- und Waldpfade sehr steil ins Tal hinab nach Weißenstein. Wirklich sehenswert sind das wunderschön restaurierte Schloss und die schöne Barockkirche mit dem winzigen Marktplatz. Informationstafeln berichten ausführlich über die Geschichte des Ortes. Etwas versteckt an der Kirche entdecke ich dann eine erst 2022 errichtete Gedenktafel für die über 60 jüdischen Bürger, die in der Nazizeit aus ihren Wohnungen in Stuttgart vertrieben und im Schloss zwangsweise untergebracht wurden, bevor sie in Konzentrationslager deportiert wurden. Welche entsetzliche Vergangenheit hat dieser jetzt so romantische Ort und wie beschämend, dass dies in keiner der Infotafeln auch nur erwähnt wird. Das geht mir beim Wandern lange Zeit nicht aus dem Kopf.

Schloss Weißenstein
Weg vom Schloss zum Albtrauf

Der schmale Waldweg bringt mich zum Schloss und dann sehr steil wieder die üblichen 350 Höhenmeter hinauf auf die Alb und führt dort auf einem herrlichen Pfad immer am Albtrauf entlang. Von vielen wunderschönen Aussichtpunkten, wie dem Messelstein, kann ich den Panoramablick weit über das Ländle genießen. Genauso hatte ich mir den Albsteig / HW 1 vorgestellt. Im Prinzip wird der Wanderweg ungefähr ab Heubach erst interessant. Etwas getrübt wird heute die Freude durch ein längeres, sehr ermüdendes Wegstück über Asphalt im Bereich des Flugplatzes Donzdorf. 

Blick vom Messelstein

Hinter dem kleinen Ort Kuchalb folgt der nächste steile Abstieg nach Gingen a.d.Filz. Interessant ist der große Unterschied zwischen den noch immer sehr traditionellen Bauerndörfern auf der Alb und den Orten im Tal, die eher industriell geprägt sind. Gingen ist wirklich keine Perle mit seiner lauten Durchgangsstraße zwischen Geislingen und Esslingen. Jedoch gibt es eine Bäckerei direkt am Wanderweg, wo ich freundlicherweise mein Handy aufladen kann, während ich im nahen Netto-Markt eine kühle Limo und 500 Gramm Joghurt erstehe, um fit zu sein für die letzten Anstiege des Tages zum Wasserberghaus. Es ist ein sehr schöner Weg durch Wald und Wiesen voller Wildblumen und Schmetterlingen zum Talbach-Brunnen und der Kohlheck-Schutzhütte, die im milden Abendlicht sehr einladend aussieht.

Kuchalb
Auf dem Weg zum Talbach-Brunnen

An der Kohlheck-Schutzhütte könnte ich wunderbar übernachten, sogar ausnahmsweise mit fließendem Wasser. Äußerst verführerisch. Doch ich bleibe standhaft und stelle mich der nun allerletzen Steigung, die es allerdings wirklich in sich hat. Ein sehr schmaler Pfad kraxelt am Steilhang entlang, durch Windbruch liegen etliche Bäume auf dem Weg, die irgendwie zu umklettern sind. Erst später sehe ich in meinen Notizen, dass es genau hier eine Umleitung des Albsteigs über einen Fahrweg gibt, die aber vor Ort nicht beschildert ist.

Biwak 4 am Wasserberghaus

Schnaufend wieder auf der Alb angekommen, geht es auf bequemem Waldweg weiter und bald ist mein Tagesziel, das bewirtschaftete SAV-Wanderheim Wasserberghaus, erreicht. Es ist zur Zeit wegen Betriebsferien geschlossen. Ein Glück für mich, denn dadurch ist hier heute Abend kein Mensch und ich kann in aller Ruhe auf der Grill-Wiese ungefähr hundert Meter vor dem Gasthaus mein Zelt aufschlagen.       

Tag 6: Wasserberghaus bis Ochsenwang (32 km)

Der große Tag ist gekommen, für heute ist eine Übernachtung in der Zivilisation geplant. Im Landgasthaus „Krone“ in Ochsenwang habe ich ein Zimmer reserviert und freue mich schon sehr auf eine Dusche. Nach den zurückliegenden Wandertagen ist das auch dringend nötig, nach meinem Eindruck dufte ich ziemlich intensiv. 

Kurz vor 7.00 Uhr ist Abmarsch vom Wasserberghaus. Am nahen Gairenhof wird erst einmal Wasser gezapft. Meine letzten Reserven reichen so gerade noch zum Frühstück für mein Porridge und einen Becher kalten Instantkaffee, meinen üblichen Wachmacher am Morgen. So früh am Tag kann ich natürlich an keiner Haustür klingeln, doch der Bauernhof hat am Stallgebäude einen jederzeit zugänglichen Wasserhahn, welch ein Glück. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich heute für die nächsten 30 Kilometer keine Wasserquelle haben, also fülle ich auch meinen Wassersack. Der Rucksack ist nun 4 Kilogramm schwerer, das merke ich sehr deutlich beim steilen Aufstieg zum schönen Aussichtsfelsen Fuchseck. Es ist nicht die letzte Steigung des Tages, heute steht ein steter Wechsel zwischen kurzen, knackigen Anstiegen und erholsamen, ebenen Passagen an. 

Blick vom Fuchseck
Auf dem Weg zum Boßlerhaus

Beeindruckend ist immer wieder der fast senkrechte Abfall des Albtraufs. Am Fuß befinden sich ausgedehnte Streuobstwiesen, am steilen Abhang wachsen Buchenwälder mit gigantischen Bäumen und die oberste Kante des Abbruchs wird oft gekrönt von senkrechten Kalkfelsen. Besonders schön ist es hier bestimmt auch im Herbst, wenn das Laub bunt ist oder im Frühjahr zur Blüte der zahlreichen Kirsch- und Apfelbäume. Wirklich wunderbar präsentiert sich aber auch jetzt der schmale Pfad entlang des Albtraufs mit vielen schönen Ausblicken. Allerdings trübt für längere Zeit der Höllenlärm der Autobahn A8, die auf einer Brücke gequert wird, den Eindruck der abgeschiedenen Idylle.

Ausblick vom Boßler

Es folgt in der heißen Mittagssonne ein langer Aufstieg über einen schattenlosen Schotterweg zum Boßlerhaus. Überraschend ist das Naturfreundhaus geöffnet, obwohl das Hinweisschild im Tal etwas anderes verkündet hat. Eine Schulklasse verbringt hier Projekttage. Und ich schleppe literweise Wasser durch die Gegend! Aber welch ein Genuß mit einer kühlen Saftschorle auf der Holzliege im Schatten auszuruhen, auch wenn noch die Autobahn als Hintergrundrauschen dröhnt.  

Typischer Pfad am Steilhang des Albtraufs
Auf dem Weg zum Reußenstein

Hinter dem Boßlerhaus verläuft der Albsteig / HW 1 ohne erkennbare Markierung längere Zeit über blühende Wiesen direkt am Albtrauf entlang, so viele Schmetterlinge und Bienen habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Eine sehr schöne Strecke. Nächste Station ist die Domäne und der Gasthof Reußenstein. Auch hier ist nur am Wochenende geöffnet, doch es gibt eine jederzeit zugängliche Verkaufsstelle für Produkte des Hofes (Wurst, Fleisch, Marmelade) und Eis. Es versteht sich von selbst, dass ich natürlich letzteres unbedingt probieren muss. Das Geld wird einfach in einen Kasten geworfen, Wechselgeld kann man sich aus der gut gefüllten offenen Schale daneben nehmen. Sogar ein Taschenrechner liegt aus, damit man korrekt die Beträge ermitteln kann. Toll, dass so etwas auf Vertrauensbasis funktioniert.

Burgruine Reußenstein

Natürlich verpasse ich nach der Pause den Abzweig des Albsteigs mal wieder und laufe auf der Fahrstraße bis zum Wanderparkplatz Reußenstein. Da ich aber die bekannte Burg auf keinen Fall auslassen will, geht es dann nochmal einen Kilometer zurück zum Wanderweg. Es hat sich gelohnt. Wie auf einem Adlerhorst thront die mächtige Ruine sehr beeindruckend auf dem weißen Felssporn, der senkrecht ins Tal abbricht. Wie eine Modelleisenbahnlandschaft liegen die Dörfere und Wiesen 400 Meter tief unter mir. Ein Blick wie aus dem Flugzeug.

Rastplatz an der Hindenburghütte

Auch der wurzelig-felsige Pfad im weiteren Verlauf, der sich wunderbar leicht laufen läßt, bietet immer wieder spektakuläre Ausblicke und auch die für die Alb typischen Höhlen, die eigentlich eher Felsklüfte sind und in die man hinein klettern kann. Der Panoramablick vom Rastplatz an der Hindenburghütte ist ein weiteres Highlight. Wenn nicht die Dusche im Ochsenwang locken würde, würde ich hier in der Schutzhütte mein Lager aufschlagen. Ein herrlicher Biwakplatz.

Panoramablick von der Hindenburghütte

Am Ende des Tages führt der Weg durch den sehr idyllischen Biobauernhof Ziegelhof. Auch hier gibt es einen Hofladen und Automaten zum Erwerb der hofeigenen Produkte. Über Trockenwiesen, vorbei an einer in der Alb häufig anzutreffenden Ziegenherde, geht es dann im Endspurt hinauf zum Dorf Ochsenwang, das ich um 18.00 erreiche. Und hier treffe ich dann tatsächlich wieder echte Albsteigwanderer. Ein junges Pärchen ist, wie ich, mit Rucksack und Zelt unterwegs. Natürlich entspinnt sich unter Gleichgesinnten sofort eine intensive Unterhaltung, leider wandern die beiden in Gegenrichtung. Es wäre sehr schön gewesen, eine Strecke gemeinsam zu laufen.

Ziegenherden trifft man oft auf der Alb
Biwak 6 in der „Krone“/Ochsenwang

Das Landgasthaus „Krone“ in Ochsenwang ist schon ein wenig in die Jahre gekommen, aber mit 51 € für das Einzelzimmer incl. Frühstück preiswert. Frühstück gibt es erst ab 8.00 Uhr. Doch da bin ich längst unterwegs und bekomme daher 6 € Preisnachlass. Ich bin der einzige Übernachtungsgast. Mein Zimmer ist klein und sehr einfach eingerichtet, aber okay. Vor allem hat es einen großen Balkon, auf dem ganz wunderbar mein Zelt und der Schlafsack lüften können und er ist auch zum Trocknen meiner frisch gewaschenen Kleidung einfach ideal. Ist schon bemerkenswert, wieviel Dreck in einem Paar Wandersocken stecken kann. Ausgiebiges Duschen ist die Krönung des Tages. Endlich fühle ich mich wieder sauber und nach mehrmaligem Einseifen verschwindet auch die letzte Staubschicht von Füßen und Beinen. Leckere Maultaschen mit einer Riesenportion Salat, die ich schließlich auf der Terrasse genieße, sind ein würdiger Abschluss und, von einem halben Liter Apfelmost leicht beschwipst, schlafe ich wie eine Prinzessin in meinem weichen Bett.

Ist schon erstaunlich, wie alltägliche Dinge nach kürzester Zeit zum wahren Luxus werden können und man wieder lernt, sie Wert zu schätzen. Auch eine der vielen guten Erfahrungen beim „Wild-Campen“. Was für ein schöner, perfekter Wandertag! 

Tag 7: Ochsenwang bis Hohe Warte (36 km)

Natürlich schlafe ich länger als sonst und komme erst um 7.00 Uhr los. Da sind die Kinder im Dorf bereits unterwegs zum Schulbus. Der Weg zur Burg Teck ist mit einigen kräftigen Steigungen recht anstrengend. Gut, dass ich nicht dort im SAV-Wanderheim übernachtet habe und gestern noch den Anstieg leisten musste, wobei eine Nacht in der mächtigen Burganlage wirklich sehr reizvoll gewesen wäre. Doch eine Reservierung war nicht möglich, weil an den beiden vorangehenden Tagen wegen „Ruhetag“ niemand erreichbar war. Außerdem wäre die heutige Etappe auf 42 Kilometer angewachsen und ziemlich heftig geworden. Und ich hätte dieses schöne Wegstück zwischen Ochsenwang und der Burg nicht wirklich genießen können.

Schöner Waldpfad zur Burg Teck

Natürlich verpasse ich auf dem Waldweg wieder einmal den hier ziemlich rudimentär beschilderten Wanderweg und klettere auf einem sehr steilen Trampelpfad über den Felsabsturz der Ruine Rauber, bis ich wieder auf dem Albsteig lande. Der führt steil auf wurzeligem Pfad durch Wald hinunter zum Sattelbogen, ebenso steil auf der anderen Seite wieder hoch auf die Alb. Bei Nässe können diese für den Albsteig typischen Pfade sehr rutschig sein, Wanderstöcke und Schuhe mit gutem Profil sind da wirklich eine große Hilfe. Schließlich geht es auf relativ ebener Strecke vorbei an schönen Kalksteinformationen durch den Buchenwald bis zum Abzweig nach Burg Teck. Natürlich mache ich den kleinen Umweg zur wahrhaft majestätischen Burg, die wirklich wie aus dem Bilderbuch aussieht und sehr eindrucksvoll hoch über dem Tal thront.

SAV-Wanderheim Burg Teck

Auf steilem Weg ist der freundliche Ort Owen im Tal rasch erreicht. Im Raiffeisen-Markt am Bahnhof füllt man mir gerne meine Wasserflaschen und als Wegzehrung bekomme ich sogar eine Tüte Gummibärchen geschenkt. Dabei ist der weitere Weg durch die Obstplantagen hinauf zur Alb bereits ein süßer Genuss. Die Bäume sind zwar bereits abgeerntet, doch es hängen noch genügend pralle Schwarzkirschen in den Zweigen, so dass ich mich satt daran essen und zusätzlich meine Schraubdose füllen kann. Es ist ein wahres Fest und ich fühle mich reich wie eine Königin!

Owen mit der Burg Teck

Der Pfad zum 300 Meter höher gelegenen Albdorf Erkenbrechtsweiler ist steil und anstrengend, wie nicht anders erwartet. Auf einer Bank im Ort lade ich meinen Rucksack ab und klingele mal wieder an einer Haustür, um neues Wasser zu erbitten. Dieses Mal bin ich verwundert über die doch sehr reservierte Haltung der Dame des Hauses. Man füllt zwar die Wasserflasche, doch die Tür wird in der Zwischenzeit verschlossen. Merkwürdig. Erst später fällt mir ein, dass ich ja nicht als harmloser Wanderer zu erkennen war, da ich Rucksack und Stöcke abgelegt hatte. Selber schuld.

Weiter geht es entlang des Albtraufs über die nun schon gewohnten schmalen, wurzelig-felsigen Pfade, die einfach herrlich sind, aber wirklich Aufmerksamkeit beim Laufen erfordern. Zum Genießen der immer wieder schönen Ausblicke, wie zum Beispiel zur stattlichen Burg Hohenneuffen, sollte man besser stehen bleiben. Interessant sind auch die Felsklüfte entlang des Weges. Manchmal handelt es sich um geheimnisvolle Höhlen oder auch um abgrundtiefe Löcher. Nun ist es nicht mehr weit bis Bad Urach, wo ich meinen Proviant nachfüllen will. Doch der Weg zieht sich und erst gegen 16.30 Uhr stehe ich nach einem sehr steilen Abstieg in dem lebhaften Städtchen mit seinen hübschen Fachwerkhäusern.

„Höllenlöcher“ vor Bad Urach
Burg Hohenneuffen
Marktplatz Bad Urach

Bad Urach ist mit Abstand der größte Ort am Albsteig und bietet sehr gute Einkaufsmöglichkeiten. Neben neuem Proviant leiste ich mir im Supermarkt im Eisach-Einkaufszentrum eine erfrischende Wassermelone und einen Joghurt zum sofortigen Verzehr und wenig später in der Eisdiele am schönen Marktplatz einen Erdbeermilkshake. Genau das Richtige an diesem warmen Wandertag.

Erst gegen 18.00 Uhr breche ich nach einem kleinen Stadtrundgang wieder auf. So langsam werden die Füße nach bereits gewanderten 30 Kilometern müde und die Jugendherberge am Stadtrand wäre ein guter Übernachtungsplatz. Doch nein, mein Tagesziel ist nun nicht mehr weit entfernt. Überflüssig zu erwähnen, dass natürlich zunächst ein wieder einmal längerer Anstieg ansteht. Zwischendurch passiert der Wanderweg die Uracher Wasserfälle, die jedoch von oben nicht besonders spektakulär sind. Wirklich sehr schön präsentiert sich jedoch nach einem weiteren sehr steilen Anstieg der Blick in der Abendsonne auf Bad Urach.

Biwak 7 in der Nähe der „Hohen Warte“

Ziemlich viele Radler sind zu später Stunde hier noch unterwegs. Eigentlich hatte ich gehofft, am Rutschfelsen zu übernachten, aber bei dem Betrieb ist das unmöglich. Außerdem ist dies Naturschutzgebiet, ein Biwak also ein absolutes Tabu. Also quäle ich mich weiter bis zum Aussichtsturm Hohe Warte. Dort hatte ich mich schon auf einen feinen Fernblick im Licht der untergehenden Sonne gefreut. Aber der Turm ist wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen. Die saftig grüne Wiese würde mir durch den Morgentau ein klatschnasses Zelt bescheren, also schlage ich im Wald auf trockenem Laubboden, ca. 100 Meter entfernt, müde gegen 20.30 Uhr mein Lager auf. Ein anstrengender, aber schöner Tag.

Tag 8: Hohe Warte bis Bolberg (38 km)

Stattliche Linden auf dem Weg zum Schafhaus

Die Nacht war ruhig, bis auf den Besuch von einem Fuchs und einem Reh im Morgengrauen. Gegen 7.00 Uhr sitze ich bereits im Tal auf einer Bank am Gestütshof St. Johann und genieße mein Frühstück in der Sonne. Wie liebe ich diese frühen Morgenstunden, wenn die Welt wie neu ist und die Füße noch frisch! Leider dominieren heute breite Schotterwege, die mich auf ebener Strecke zunächst zum SAV-Wanderheim Eninger Weide bringen und dann zum sehr schönen „Schafhaus“, einer Außenstelle des Gestüts. Ansonsten erweist sich die Strecke als eher eintönig und flach durch Wald verlaufend. Es ist nun bewölkt und leicht gewittrig, Regen liegt in der Luft. 

 

Am Greifenstein

Erst nach rund 10 Kilometern wird es nach dem Aufstieg zum Greifenstein am Albtrauf wieder interessanter. Kurz darauf, am Ortseingang von Holzelfingen, frage ich an einem Haus wegen Wasser und einer Möglichkeit, um mein Handy aufzuladen. Beide Bitten werden gerne erfüllt (aha … ich habe mit voller Ausrüstung auf dem Buckel wieder den Wandererbonus!) und prompt werde ich auf die Terrasse zum Kaffee eingeladen. Gut 1,5 Stunden unterhalte ich mich angeregt mit meinem freundlichen Gastgeber, der etwa in meinem Alter, ebenso wie wir, häufig im Westen der USA unterwegs ist und von einer Reise mit einem ausgebauten Geländewagen durch Südamerika träumt. Klar, dass uns der Gesprächsstoff nicht ausgeht. Immer wieder bin ich erstaunt, wie viele Leute doch mit solch einem „freien“ Leben als Reisende liebäugeln. Doch häufig scheinen die vermeindlichen Zwänge unüberwindbar, wie Hausbesitz und berufliche Verpflichtungen. Mir wird dann immer wieder klar, dass unsere Entscheidungen in dieser Hinsicht für uns richtig waren. Es ist eine sehr anregende und schöne Begegnung. 

Hinter Holzelfingen wird der Albsteig dann richtig schön. Er führt auf schmalen Wegen direkt an den steilen Kalkfelsabbrüchen entlang und bietet immer wieder Ausblicke zum Märchenschloss Lichtenstein auf der gegenüber liegenden Talseite. Es ist schon witzig, auf dem Weg dorthin treffe ich ein Pärchen etwa in meinem Alter, die sich ebenfalls von einem „Ausstieg“ aus dem normalen Alltag sehnen. Scheint wohl ein Midlife-Crisis-Syndrom zu sein. 

Schloss Lichtenstein

Das romantische Schhloss Lichtenstein wurde im neugotischen Stil in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert auf dem Felssporn des Albtraufs gebaut und ist ein sehr beliebtes Auflugsziel. Der Albsteig führt mich direkt daran vorbei. Mir liegt dieser historizierende Kitsch nicht so wirklich, außerdem herrscht ein ganz schöner Rummel hier. So bin ich froh, als ich wieder alleine im Wald bin.

Nur wenig später treffe ich einen Wanderer, der ebenfalls einen HMG-Rucksack hat, und mich daher anspricht. Diese US-Marke hat in Deutschland Seltenheitswert, ist aber unter den Langstreckenwanderern in den USA äußerst beliebt. Und es ist kaum zu glauben, der junge Mann ist den Pacific Crest Trail im gleichen Jahr wie meine Tochter Susanne gewandert und will sich als nächstes den Continental Divide Trail  vornehmen, den Susanne und ich im Jahr 2018 gelaufen sind. Klar, dass ein intensiver Erfahrungsaustausch folgt und erst nach einer Stunde wandere ich weiter. Zum Abschied empfiehlt mir „Sherpa“, so sein Trailname, noch die Hütte auf dem Bolberg als Übernachtungsort. Das sind noch gut 15 Kilometer und ein ganzes Stück weiter als der ursprünglich geplante Biwakplatz bei Genkingen.

Und der Weg zieht sich wirklich endlos, denn es geht nun ausschließlich über Schotter oder Asphalt, das ist brutal. Zwischendurch passiere ich die Nebelhöhle, eine bekannte Tropfsteinhöhle mit regem Besucherverkehr. Davon zeugen die großen Parkplätze ringsum und das Waldlokal „Maultaschenwirt“. Der Nieselregen ist ein gutes Alibi, um dort eine Limo zu trinken. In Genkingen fasse ich nochmals Wasser und setze zum Endspurt an. Es regnet nicht mehr, doch ich bin nun ehrlich müde und die Füße brennen. Lange Zeit wandere ich durch den Wald bergab, nur um dann wieder die letzten zwei Kilometer zum Bolberg hinauf zu krabbeln. Dieser teilweise sehr steile Anstieg am Ende des langen Wandertages ist eine echte Herausforderung. Endlich ist der Bolberg kurz nach 19.00 Uhr erreicht. Doch statt der erwarteten Einsamkeit sind schon zwei größere Gruppen dort, um hier zu übernachten. Klar, es ist mal wieder Samstag und eine Nacht in dem großen Blockhaus auf dem Bolberg scheint „Kult“ in der Region zu sein. 

Biwak 8 auf der Wiese vor dem Blockhaus am Bolberg

Die eine Gruppe aus ca. 10 Erwachsenen ist lautstark dabei zu grillen und hat ihre Ausrüstung bereits in der großen Hütte ausgebreitet. Die andere Gruppe ist eine Familie aus Tübingen, sie feiert hier den Geburtstag der vierzehnjährigen Tochter mit 6 gleichaltrigen Freundinnen. Sie sind etwas „alternativ“ drauf und singen am Lagerfreuer fromme Lieder im Kanon. Ein wenig skurril, aber sehr nett. Einige Zeit nach mir kommt noch ein deutsch-nepalesisches Paar hinzu. Mit ihnen sitze ich bis 22.20 Uhr am Feuer und es ergeben sich sehr interessante Gespräche über die Herausforderung eines multi-kulturellen Lebens, das sie wechselweise in Nepal und der Schwäbischen Alb führen. Interessante Begegnungen! Soviel wie heute habe ich die gesamte letzte Woche nicht geredet, was für ein verrückter Tag.

Auf der Wiese vor dem Blockhaus baue ich mein Zelt auf, das ist viel besser als in der nun doch sehr vollen Hütte. Die Mädchengruppe samt Eltern schläft ebenfalls draußen. Wirklich von Feinsten sind der Blick bis zum Schwarzwald und den Vogesen und vor allem der Sonnenuntergang. Ja, der Bolberg ist wohl der mit Abstand schönste Übernachtungsplatz am Albsteig. Was bin ich froh, mich noch bis hierhin geschleppt zu haben, auch wenn die Füße nachts noch so schmerzen, dass ich erst nach einer Ladung Ibuprofen einschlafen kann. 

Sonnenuntergang am Boilberg

Tag 9: Bolberg bis Hangender Stein (ca. 33 km)

Gestern Nacht war es für meine Verhältnisse wirklich extrem spät geworden. So komme ich erst gegen 8.00 Uhr los. Alle anderen schlafen noch fest. Heute früh ist die Luft besonders schön, die frisch gemähten Wiesen duften. Es geht bergab, die Füße haben sich erholt und laufen wie von alleine. Wieder einmal überkommt mich dieses ungeheure Glücksgefühl von Freiheit, das ich nur beim Wandern habe. An der Schutzhütte Riedernberg liegen drei Wanderer noch in den Schlafsäcken und schnarchen. Hüttenübernachtungen scheinen ja hier äußerst populär zu sein.

Der freundliche Ort Talheim, die Teilzeit-Heimat des deutsch-nepalesischen Paares von gestern, ist nach knapp 2 Stunden erreicht. Der Albsteig führt direkt am Friedhof vorbei. Zeit für eine Rast und zum Wasser fassen. In der öffentlichen Toilette des Friedhofs kann man sich sogar etwas waschen, welch ein Luxus. Die gute Bäckerei im Ort bietet „heiße LKW“ an, darauf hatte mich schon der perfekt schwäbisch schwatzende Nepalese hingewiesen. Das sind aber keineswegs rasende Lastwagen, sondern „Leberkäsweckle“. Doch halte ich mich lieber an zwei richtig gute fleischlose Hefeteigschnecken. 

Blick auf Talheim
Bergrutsch am Hirschkopf

Natürlich folgt nach dem Besuch im Tal wieder der steile Aufstieg auf die Alb. Interessant ist der gewaltige Bergrutsch am Hirschkopf. Vor 40 Jahren sind dort vier Millionen Kubikmeter Geröll abgegangen und hinterließen eine Urlandschaft, die nun als Naturschutzgebiet Heimat vieler seltener Pflanzen und Tiere ist. Sogar Sumpfschildkröten sollen dort nun leben. Heute am Sonntag sind hier viele Tageswanderer unterwegs. 

Der Weg folgt wieder einem schmalen Pfad am Albtrauf entlang, der durchzogen ist von Wurzeln und Felsstücken. Ich muss echt aufpassen beim Laufen und komme nicht schnell voran. Ist aber auch gut so, denn die Ausblicke vor allem auf die ferne Burg Hohenzollern, die wie gemalt auf einem Bergkegel thront, verdienen es, dass man sich Zeit nimmt. Doch der Weg zieht sich bis Jungingen. Nach einen sehr steilen Abstieg in den Ort (kürzester Weg: rote Raute), gönne ich mir im Gasthof wieder ein kühlendes Getränk. Heiß ist es hier im Tal, während oben stets ein kühler Aufwind bläst. Außerdem fülle ich nun vier Liter Wasser nach, das muss bis morgen Abend reichen. 

Biwak 9 (Wiese in Nähe von Nägelehaus/Hangender Stein)

Danach steht der Aufstieg an, der wie immer kurz und knackig steil ist. Dafür ist der Weg dann oben auf der Alb ohne nenneswerten Höhenunterschied sehr bequem und verläuft zudem ausnahmsweise auf weichem Waldboden. Allerdings macht sich mein durch den Einkauf in Bad Urach und einen großen Wasservorrat ziemlich schwerer Rucksack bemerkbar. Es wird Zeit, einen Biwakplatz zu finden. Kurz vor dem Aussichtspunkt „Hangender Stein“ biege ich vom Weg ab, laufe etwas querfeldein und finde eine schöne Heidefläche, wo ich, gut getarnt durch die hier typischen Wacholderbüsche, gegen 19.00 Uhr mein Zelt aufbaue.        

Tag 10: Hangender Stein bis Schutzhütte Schafberg-Lockenstein (32 km)

Wie immer stehe ich kurz nach 6.00 Uhr auf und bin eine halbe Stunde später schon unterwegs. Der Weg entlang des Albtraufs ist zu dieser Zeit traumhaft. Der „Hangende Stein“  ist wirklich einer der spektakulärsten Aussichtpunkte und besonders schön im Morgenlicht. Unbedingt sollte man sich auch den 1,5 Kilometer Umweg zum Zeller Horn gönnen. Um dorthin zu kommen, braucht man ab dem Aussichtpunkt „Hangender Stein“ nur der Beschilderung des „Traufgänger“ folgen. Auf dem Rückweg biegt man dann an der Schranke des Kiesweges nach rechts ab und trifft kurz vor dem Zollsteigerhof wieder auf den Albsteig. 

Aussichtspunkt „Hangender Stein“

Nur vom Zeller Horn genießt man den unschlagbaren Postkartenblick auf die Burg Hohenzollern, das beste Fotolicht hat man am frühen Morgen. Der Stammsitz des preussischen Königshauses ist wohl eine der imposantesten Burganlagen in Deutschland. Er wurde im Jahr 850 im neugotischen Stil errichtet und scheint mit den vielen Türmen und Erkern sowie der einmaligen Lage auf dem perfekt kegelförmigen Zollerberg direkt der Disney-Phantasiewelt entsprungen zu sein. Es ist wirklich ein absolutes Rätsel, warum der Albsteig nicht direkt an diesem einmaligen Aussichtpunkt entlang geführt wird. 

Postkartenblick vom Zeller Horn auf Burg Hohenzollern

Der Zollsteigerhof ist ein größerer Gasthof und Hotel. Sehr schön läuft es sich anschließend weiter über Wiesen und durch Wald – leider auf Schotterwegen – mit einigem Auf und Ab zum Aussichtsberg Böllat, allerdings ist die Hohenzollernburg nicht mehr zu sehen. Ein netter Zwischenstop ist der hübsche Ort Burgfelden mit einem Café. Über einen schmalen Felsrücken und dann steil ins Tal hinunter gelange ich in den Ort Laufen. Die Füße brennen von der obligatorischen Asphaltstraße, es ist seit dem späten Vormittag gewittrig schwül. Kündigt sich da schon der für den Abend angesagte Starkregen an?

Zur Mittagszeit erreiche ich Laufen und ich bin wieder reif für eine erfrischende Saftschorle in einem Gasthof. Das gibt Energie für den sehr steilen Aufstieg zurück auf die Alb. Bereits die Straße im Ort hat eine Steigung von 20 %, zum Hörnle gehts es in vielen Serpentinen dann für kurze Zeit extrem steil rauf. Die Belohnung am Hörnle sind neben der tollen Aussicht die wunderschönen Wildblumenwiesen. Mittlerweile hat sich der Himmel verdunkelt, ab und an nieselt es. Hinter dem Lochenpass führt ein felsiger, rutschiger Pfad auf den Lochenstein, einen markanten Felsabsturz. Die mühsame Kraxelei kann man sich aber schenken und auf dem gekiesten Wanderweg bleiben, denn die Aussicht unterscheidet sich nicht von der des Hörnle.

Blick vom Lochenstein
Biwak 10 (Schutzhütte Schafberg-Lockenstein)

Ab dem Lochsattel schaue ich nach einer geschützten Zeltstelle, das Gelände ist aber alles andere als ideal. Per Zufall finde ich dann weiter bergab in Richtung Plettenberg an einer Wegkreuzung im Waldstück Schafberg-Lochenstein die angesicht des erwarteten Unwetters perfekte Schutzhütte mit einem separaten Schlafraum und Holzboden. Phantastisch, wenn sich alles plötzlich so gut fügt. Müde und zufrieden sitze ich abends auf den Holzstufen vor der Hütte.       

Tag 11: Schutzhütte Schafberg-Lockenstein bis Kreuzsteighütte (24 km)

Natürlich hat es nachts nur ein wenig genieselt. Doch für die zweite Tageshälfte sind heute schwere Gewitter, Sturm und Starkregen angesagt. Mein letzter „echter“ Wandertag kann also etwas ungemütlich werden. Daher ist frühes Aufstehen angeraten, um es noch im Trockenen bis zum Ort Gosheim zu schaffen. Dort könnte ich das Unwetter aussitzen und dann in aller Ruhe bis zum meinem Ziel, der Kreuzsteighütte, wandern. Von dort ist es dann nicht mehr weit bis Tuttlingen, wo ich morgen Mittag in den Zug steigen will. Außerdem würde mein Zelt bei einem Hüttenbiwak trocken bleiben, ganz angenehm für die Zugfahrt. Mal sehen, ob alles so wird wie geplant. 

Kalksteinbruch Plettenberg
Ammonit (fossile Schnecke)

Beeindruckend häßlich ist nach dem Aufstieg der Blick auf den großen Steinbruch am rund 1000 Meter hohen Plettenberg, das passt so gar nicht zu den Vorstellungen der Ländle-Idylle. Interessant jedoch, dass der Steinbruch auch eine bedeutende Fundstätte für Fossilien ist. Über eine Seilbahn wird der Kalkstein ins Tal zu einem Zementwerk transportiert. Der Albsteig geht in einem kleinen Tunnel unter der Seilbahn durch. 

Wenig später passiere ich den Sendeturm Plettenberg, es geht anschließend hinab zur bewirtschafteten SAV-Plettenberghütte, die natürlich unter der Woche geschlossen hat. Der Wanderweg führt dann über sehr steile, im Nieselregen ziemlich rutschige Felspfade an der Burgruine Plettenberg vorbei. Gut, dass an einigen Passagen ein Geländer Halt gibt. Hier oben braust nun ein richtiger Sturm den Albtrauf hinauf, der die Bäume ordentlich durchschüttelt. Angesichts des noch recht frischen Windbruchs ringsumher fühle ich mich nicht besonders wohl und bin froh, als ich den schützenden Wald hinab nach Ratshausen erreiche. Kurz vor dem Ortseingang befindet sich ein schöner Grillplatz mit Schutzhütte, das wäre auch ein perfekter Schlechtwetter-Biwakplatz gewesen. 

Die Wolken werden immer drohender, ich sollte Gas geben. Umso ärgerlicher, dass in Ratshausen in einem Neubaugebiet die Wegweisung verschwindet, was wohl den Straßenbauarbeiten geschuldet ist und mir wieder einmal einen kleinen Umweg beschert. 

Mit gutem Tempo wird der sehr steile Weg hoch zum Oberhohenberg bewältigt. Die kümmerlichen  Reste der Burgruine sind aber nicht so interessant, dass der Aufstieg gelohnt hätte, denn direkt danach geht es schon wieder steil bergab. Im Wald merke ich den leichten Nieselregen nicht, doch es ist nun richtig dunkel geworden. Vorsichtshalb spare ich mir einen Kilometer und lasse den kurzen Aufstieg zum Aussichtsturm auf den Lemberg aus. Eigentlich eine Schande, ist der Lemberg doch mit 1015 Metern der höchste Berg der Alb und damit natürlich auch der höchste Punkt des Albsteigs, mit Fernblicken bei klarem Wetter weit in die Alpen hinein. Allerdings wäre das wohl bei dem drohenden Gewitter genau der falsche Aufenthaltsort, zumal die dortige SAV-Hütte heute geschlossen hat.

Gosheim (nach dem Gewitter)

Besser mit Volldampf hinab ins Tal nach Gosheim. Genau mit den ersten schweren Regentropfen erreiche ich den Ortsrand und flüchte an einem Einfamilienhaus sofort unter das große Dach eines Carports am Hauseingang. Keine Sekunde zu früh, denn nun scheint die Welt unterzugehen. Blitz und Donner sind eins, eine wahre Sintflut stürzt vom Himmel, so dass ich keine paar Meter weit sehen kann. Das nenne ich Timing – oder einfach nur großes Glück. Nach einer knappen Stunde kehrt das Tageslicht zurück. Doch ich schaffe es nur bis zur Kirche im Ortszentrum, bevor die nächste Dusche vom Himmel kommt. Halleluja, die Tür ist offen und so wird das Gotteshaus für die nächsten 2 Stunden mein Asyl. Hier ist es warm und trocken, es gibt sogar eine Steckdose zum Aufladen meines Handys.

Erst gegen 15.00 Uhr ist Aufbruch, noch einen Kilometer geht es quer durch den Ort und dann hinauf in den Wald. Schon zieht das nächste Gewitter heran, der heftige Regen läßt sich gut auf einem Jägerhochtand aussitzen. Nun trieft der Wald vor Nässe, Nebelschwaden ziehen aus dem Tal hoch. Es nieselt noch eine ganze Weile, so dass erstmals neben der Goretex-Jacke auch der Regenrock zum Einsatz kommt. Meine aus einem Müllsack selbstgebastelte Kreation wird wie ein Wickelrock mit einem langen Schnürsenkel um die Taille befestigt. Schön luftig im Gegensatz zu einer Regenhose, bei der man oft durch schwitzen mehr nass wird als durch Regen. Doch beim Gehen oder durch Wind schiebt sich der Rock gerne an den Oberschenkeln hoch. Also nichts für Sturm und richtig mieses Wetter.

Biwak 11 (Kreuzsteighütte)

Oben auf der Alb ist es auf rund 1000 Metern Höhe in meiner kurzen Hose nun recht frisch. Auf ebenem Weg ist das Gasthaus Klippeneck rasch erreicht. Ein warmer Tee wäre nun nett, doch natürlich ist heute Ruhetag. Aber bereits 20 Minuten später ist schon um 17.00 Uhr das Tagesziel, die Kreuzsteighütte, erreicht. Eine schöner Biwakplatz mit toller Aussicht, hübsch ist auch die kleine Kapelle direkt daneben. Dann klart es sogar auf und es wird noch ein richtig sonniger Abend. Ich kann wirklich zufrieden mit diesem Regentag ein.

Tag 12: Kreuzsteighütte bis Tuttlingen / Abreise (21 km)

Schafherde am Albtrauf

Alles ist feucht und klamm, als ich morgens schon kurz vor 6.00 Uhr starte. Heute gibt es keine nennenswerten Steigungen mehr. Breite Forststraßen und wurzelige, rutschige Waldpfade wechseln ab. Wiesenwege sind selten, so bleiben die Füße in meinen luftigen Trailrunnern trocken. Der Weg ist nicht besonders aufregend, aber nett – ein steter Wechsel aus Wiesen und Buchen – oder Nadelwald. Selten gibt es Aussichtspunkte vom Albtrauf, bei klarem Wetter soll man von hier das Alpenpanorama sehen können. Die Gasthäuser in den Weilern Risiberg und Rußberg sind geschlossen. Mit meinem Wasser- und Essensvorrat komme ich so gerade aus, immerhin ist der Rucksack jetzt federleicht.

Am frühen Morgen nach einer regenreichen Nacht
Bauernhaus in Rußberg

Im Laufe des Vormittags wird es immer sonniger. Schließlich führt der Weg sanft bergab nach Tuttlingen und bereits kurz nach 11.00 Uhr stehe ich am Marktplatz. Hier endet der Albsteig / HW 1.  Gestalterisch sind der Platz und die angrenzende Fußgängerzone mit zu den Altstadthäusern ziemlich unpassendem Betonplattenbelag und modernen Brunnen leider nicht besonders ansprechend gestaltet. Das reizt mich nicht zu einem längeren Aufenthalt. Also zügig im Bus zum Hauptbahnhof am Stadtrand, mit dem Zug auf wunderschöner Strecke quer durch den Schwarzwald und über Karlsruhe nach Hause.

Tuttlingen – Ende des Albsteigs / HW 1

Fazit

Auf der Heimfahrt ist genug Zeit, um die Wanderung auf dem Albsteig / HW 1 Revue passieren zu lassen. Rund 360 Kilometer sind in 10 kompletten und zwei halben Wandertagen geschafft, mit der durschnittlichen Tagesleistung von 35 Kilometern (incl. 5% Zusatzstrecken) kann ich mehr als zufrieden sein. Abgesehen von der extremen Hitze an den ersten zwei Tagen und dem Regenguss gestern, war das Wanderwetter einfach ideal. Auch war es wirklich sehr leicht, gute Biwakplätze zu finden, eine ideale Tour fürs Wildcampen. Der Weg selbst ist technisch einfach, etwas Trittsicherkeit bei den wenigen felsigen Passagen und ein Paar Wanderstöcke schaden nicht. Ein wenig Kondition sollte man für die knackigen, doch meist kurzen Anstiege mitbringen. Hinsichtlich der Beschilderung des Albsteigs / HW 1 ist allerdings streckenweise noch deutlich Luft nach oben.

Kann man eine Wanderung auf dem Albsteig empfehlen? Ja, unbedingt. Die charakteristische Landschaft des Albtraufs mit ihren Burgen, den Felsabstürzen und wunderschönen Ausblicken ins „Ländle“ lohnt die Tour auf jeden Fall. Daneben punkten die „kleinen“ Highlights, wie die Trockenrasenwiesen mit ihren Wildblumen (wahre Paradiese für Insekten und Schmetterlinge), die naturbelassenen Pfade, die majestätischen Buchen- und Lindenbäume und vieles mehr. Am besten gefallen hat mir der Abschnitt zwischen der Burg Teck und dem Zeller Horn. Als Startpunkt empfehle ich frühestens Unterkochen oder Heubach und somit das erste doch etwas langweilige Drittel des Weges mit den unendlichen Schotter-Forststraßen auszulassen.

2 Kommentare

  1. Hallo Annette,
    mit großem Interesse habe ich deinen Bericht gelesen und die Bilder genossen. Ich gehe jedes Jahr im Mai/Juni mit einer Freundin eine Woche Rucksackwandern, allerdings immer in vorgebuchten Unterkünften. Den Albsteig HW1 haben wir in 14 Tagesetappen, verteilt auf zwei Wanderwochen im jahr 2022 und 2023, erwandert (Einstieg allerdings erst ab Harburg). Dabei hatten wir absolutes Wetterglück – kein Tropfen Regen, nur Sonnenschein und ein paar Wolken, bei etwa 20 bis 28 °C. Auch wir empfanden die Ausblicke vom Albtrauf in die Ebene fantastisch und die immer leichte Brise, die oben wehte, war total wanderfreundlich, während es unten in den Orten oft drückend heiß war. Auch wir verfluchten häufig die oft nicht enden wollenden geschotterten Wege, die wohl leider immer mehr werden in den Wäldern…
    Das Tolle am Weitwandern ist, dass man mit wenig Dingen auskommt und merkt, was wirklich wichtig ist und die Schwierigkeiten, die sich im Laufe des Wanderns auftun, die überwindet man irgendwie immer. Auch dass man nie weiß, was heute auf einen zukommt, wie der Weg sein wird, welche Begegnungen man vielleicht haben wird, usw. ist das absolut Schöne am Wandern. Und die Natur lässt einen einfach ruhig und zufrieden werden.
    So wir du mit einem Zelt ist das alles natürlich noch ursprünglicher und freier und ich zolle dir meinen uneingeschränkten Respekt für die Art und Weise, wie du wanderst und auch für die zurückgelegten Tageskilometer. Ich habe mir vor zwei Jahren die Ausrüstung zum „Wildcampen“ gekauft und werde irgendwann einmal zumindest eine Tour mit ein oder zwei Übernachtungen im Wald ausprobieren… Bei uns im Frankenwald gibt es hierzu mehrere Trekkingplätze, die im Abstand von ca. 25 km zueinander stehen, sodass man sogar einen Grundkomfort wie einen ebenen Platz, Getränke, Bioklo und Feuerstelle hätte… Mal sehen, irgendwann werde ich das mal angehen… In der Zwischenzeit nehme ich meine Ausrüstung zum 3 km entfernten Tal mit Teichen und campiere dort, wenn mir danach ist und wenn gutes Wetter vorhergesagt ist.
    Jedenfalls bin ich jetzt in Gedanken noch einmal auf dem Albsteig gewesen und habe deine Beschreibungen und Eindrücke genossen.
    Ich wünsche dir weiterhin genussvolles Wandern und immer wieder eine sichere Heimkehr.
    Liebe Grüße
    Sabine aus Franken

    1. Hallo Sabine,
      vielen Dank für deine Nachricht. Es ist immer schön, von Leuten zu hören, mit denen man seine Wanderleidenschaft teilt. Ja, die Überraschungen am Wegesrand und vor allem die Begegnungen mit netten Menschen sind auch für mich zunehmend ein wichtiges Motiv beim Wandern. Tipp zum Wildcampen: Probiere es einfach mal aus. Da sind die Trekkingplätze ideal, zumal du da am Wochenende mit großer Wahrscheinlichkeit nicht allein sein wirst. Es ist wirklich noch einmal ein echter Zusatzgenuss, über mehrere Tage ausschließlich draußen zu sein. Viel Spaß bei deinen weiteren Touren.
      Viele Grüße
      Annette aus dem Odenwald

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