Am 8. August fahren wir bei recht gutem Wetter, immerhin regnet es nicht, von Skagaströnd nach Blönduos, einem größeren Ort mit guten Einkaufsmöglichkeiten. Von dort folgen wir der Ringstraße 1 nach Südwesten durch das weite Tal des wasserreichen Gletscherflusses Blanda. Das Langidalur ist eindeutig Pferdeland. Die großen saftiggrünen Weiden zwischen den Höfen sind bevölkert mit Herden von Islandpferden in allen Farben. Auch viele Fohlen sind dabei, die auf ihren langen Beinen der Mutter hinterherstaksen oder im Gras liegen und schlafen.
Im Austurdalur
Kurz vor dem Ort Varmahlið biegen wir nach Süden ab auf die Straße 752. Die fast 200 Jahre alte Torfkirche von Vídímýri inmitten eines schlichten Friedhofs gilt als die schönste des Landes und lohnt unbedingt einen Stopp. Dach und Außenwände sind aus Torf, der Rest wurde aus Treibholz gebaut. Die 752 ist fast verkehrsfrei und führt durch ein weites fruchtbares Tal mit Bauernhöfen, fast wie im Allgäu. Die ersten 24 Kilometer sind geteert, dann folgt eine sehr gute Schotterstraße.
Schließlich biegen wir ab in das Tal Austurdalur. Steil führt die Piste hinunter zum Fluss und nach einer Brücke in engen Kurven aufwärts, der sich im Schotterbett einen tiefen Canyon gegraben hat. Nach den letzten Höfen wird das Tal nun eng und wild, von Idylle keine Spur mehr. Schwarze Schuttberge ragen steil empor, an den Hängen wächst nur noch spärlich neonfarbiges Moos. Nur im Talgrund gibt es noch Gras und Heideflächen, auch hier hat sich das strudelnde graue Gletscherwasser eine Schlucht gegraben. Eine dramatisch schöne Landschaft. An einer schmalen Brücke über die Schlucht Merkigil parken wir und laufen auf der anderen Talseite über eine sehr holperige, steinige Piste hoch oberhalb des Flusses noch fünf Kilometer weiter bis zu dem winzigen, einsamen Kirchlein Abaer. Mehrere Gruppen Reiter begegnen uns, begleitet von jeweils einem Handpferd pro Person. An der Kirche treffen wir auf fünf ältere Einheimische aus Akureyri, die mit ihrem Auto hierher gekommen sind und nun picknicken. Sie haben auch den Schlüssel für das Kirchlein dabei, so können wir einen Blick ins Innere werfen. Wir erfahren, dass hier bis in die 1950er Jahre eine Ansiedlung war. Es ist schon erstaunlich, wo in Island überall Menschen wohnten. Allerdings sind die meisten dieser sehr entlegenen Orte, so wie dieser hier, seit Jahrzehnten aufgegeben. Auf unserem Rückweg treffen wir die fünf in ihrem Range Rover wieder. Sie müssen einen ihrer filigranen Straßenreifen austauschen, der den groben Steinen nicht gewachsen war.
Der Platz vor dem Kirchlein wäre für uns als Stellplatz für die Nacht genau richtig. Also rollen wir zwei Stunden später über die Brücke, die gerade in ihrer Breite und mit einer Begrenzung auf 3 Tonnen noch für unseren Bus ausreicht. Ab hier geht es für normale Pkw nicht weiter. Langsam rumpeln wir hoch und runter über den teils steinig n, teils erdigen Weg und haben dann eine perfekte einsame Übernachtungsstelle erreicht. Es ist mal wieder schlechtes Wetter angekündigt. So verzichten wir auf unser Schlafzimmer im Dachgeschoss.
Thermalbad am Wasserfall
Am nächsten Morgen bläst ein heftiger Wind und es schüttet wie aus Eimern. Wie herrlich ist es, geschützt und trocken vom warmen Schlafsack aus in das wilde Tal zu schauen, während schwere Tropfen gegen die Autoscheiben trommeln und starke Böen unseren Bus schaukeln. Einige Überwindung kostet jedoch dann der Gang in Sturm und Regen zur Freilufttoilette, denn unser Chemie-WC nutzen wir, außer in absoluten Notfällen, nur fürs “kleine Geschäft“. Aber was sein muss, muss sein; und zwar in absoluter Rekordzeit und unter Beachtung der Windrichtung. Am späten Vormittag kommt im strömenden Regen wieder eine Gruppe auf Pferden am Bus vorbei. Die mehrstündigen Ausritte mit Touristen werden bei jedem Wetter gemacht. In Island darf man nicht zimperlich sein. Wir fahren ein Stück aus dem Tal heraus und hocken den ganzen Tag im Bus. Am späten Nachmittag endlich hört der Regen auf. Ich starte zu einem kleinen Spaziergang, kehre aber schon nach 100 Metern wieder um. Es ist einfach unmöglich gegen den Wind zu laufen. Dann schenkt uns dieser Regentag aber doch noch ein Highlight. Wir folgen einem Tipp aus unserem ausgezeichneten Reiseführer (Sadler, C./Willhardt, J. “Island“, Michael-Müller-Verlag) und entdecken an der Straße 753 den idyllischen Wasserfall Reykjafoss und direkt daneben die aus Stein und Torf hergestellte Badestelle Fosslaug, in der eine heiße Quelle und das kalte Flusswasser vermischt werden. Ersteres versetzt Olaf bei bestem Abendlicht in einen wahren Fotorausch, während ich mich in dem herrlich warmen Wasser mit Aussicht auf die sonnenbeschienenen Berge vergnüge. Danach bin ich so aufgeheizt, dass die kalte Luft beim Umziehen nicht stört.
Über die Alte Kjöllur-Piste und die Halbinsel Vatness
Über die Straße F756, die “alte“ Kjöllurroute geht es am nächsten Tag ein Stückchen hinauf ins Hochland. Es ist teils eine bergige, mit Heide bewachsene, teils eine steppenartige und sehr weite Landschaft, die wir durchfahren. Der Wind kann sich hier ungebremst austoben und bläst uns mit Macht entgegen. Das ist uns nur allzu gut noch von unserer Island-Radtour bekannt, als wir auf der Kjöllurpiste solchen Gegenwind hatten, dass wir kaum auf dem Rad bleiben konnten. Eigentlich wollten wir auf der F35, der Kjöllurpiste, weiter nach Süden fahren und einige Tage mit Wanderungen bei den Geothermalgebieten Hvreavellir und Kerlingarfjöll verbringen. Und ich habe ja noch eine 3-Tagestour auf dem Kvellvegur, der alten Pferderoute über den Kjöllur, auf meiner Wunschliste. Aber das Wetter steht auf Regen und Sturm für die nächsten Tage.
Eine Alternative wäre es, zunächst einige Zeit in den Westfjorden zu verbringen. Wir haben uns am Vortag lange mit der Entscheidung über die weitere Route gequält. Zum einen ist die Wetterprognose nicht immer sehr zuverlässig und im September können die Pisten auch schon wieder wegen Schnee gesperrt sein. Andererseits haben Wanderungen bei schlechtem Wetter wenig Sinn und in den Thermalquellen drängeln sich in der Hochsaison die Touristen. Die Kjöllurroute ist ziemlich populär, denn es ist die einzige Hochlandstrecke, die dank der Verrohrung aller Gewässer keine Furten hat und sehr gut ausgebaut ist. Eigentlich schon keine Piste, sonden eher eine normale Schotterstraße mit vielen Wellblechabschnitten.
Entgegen unserer ursprünglichen Planung entscheiden wir uns dann doch für die Westfjorde. Also biegen wir auf der F35 wieder nach Norden zum Meer ab. Über das grüne Svinadalurtal geht es auf den ungeteerten, aber sehr guten Straßen 731 und 726 zur Ringstraße 1 und am Meer entlang nach Südwesten. Eine schöne Strecke durch grünes Farmland, mit hohen Bergen und Fjorden. Kurz vor der Halbinsel Vatness scheuchen wir den Sandfloh über kurvige Schotterstraßen (716/717) mit viel Wellblech und etlichen kurzen, aber sehr knackigen Anstiegen und Abfahrten (14-18%) zur Felsenburg Borgarvirki. Weithin sichtbar auf einem Hügelrücken gelegen, umfassen 10-15 Meter hohe Basaltsäulen eine kleine Senke, teilweise wurde dieser natürliche Wall im zehnten Jahrhundert durch Steinmauern ergänzt. Ob dies einst eine Verteidigungsanlage oder letztlich doch nur ein Viehpferch war, ist unklar. Doch auf jeden Fall hat man von hier oben eine phantastische Sicht in alle Richtungen, vor allem auf das Meer. Hier hat sich durch die Ablagerungen von schwarzem Lavasand ein Haff gebildet. Auf den Sandbänken an der Mündung der Lagune räckelt sich eine Robbenkolonie in der Sonne bei Rekordtemperaturen von 19 Grad. Wenn man auf der Straße 711 bis zur Jugendherberge Ósar auf der Halbinsel Vatness fährt und dort einem kleinen Pfad zum Strand folgt, kann man mit dem Fernglas die Tiere sehr schön beobachten. Entlang des Strandes laufen wir von den Robben zum 15 Meter hohen Vogelfelsen Hvitserkur, der einer Legende nach ein versteinerter Troll sein soll. Am Leuchtturm an der Spitze der Halbinsel Vatness finden wir schließlich einen guten Übernachtungsplatz. Abends regnet es natürlich schon wieder und nachts stürmt es so sehr, dass ich im hochgestellten Dachzelt fast wegfliege.
Eine kleine Odysee
Überraschung: Wir sind am nächsten Tag nicht in den Westfjorden, sondern in Reykjavik. Seit zwei Tagen scheint der Sandfloh Verdauungsprobleme zu haben. So hört sich zumindest das Glucksen an, was abends im Ruhezustand aus der Motorhaube dringt. In der Autowerkstatt Hvammstangi tippt man auf harmlose Geräusche aus der Klimaanlage. Aber da das Diagnosegereät einen Fehler am Zylinder 3 meldet, läßt es Olaf keine Ruhe, also machen wir uns im Dauerregen auf den Weg in die rund drei Fahrstunden entfernte Hauptstadt, denn nur dort gibt es eine Vertragswerkstatt von Volkswagen. Der Verkehr auf der teilweise vierspurigen Ringstraße 1 wird immer stärker, je näher wir dem Großraum Reykavik mit seinen angrenzenden Städten kommen. Hier leben rund 225.000 Menschen, ca 65% der Gesamtbevölkerung, Die Stadtautobahn mit vielen Autos, die Einkaufszentren und gesichtslosen Wohnblocks sind ein wahrer Kulturschock, auch wenn die Region im Vergleich zu mitteleuroäischen Metropolen ein Zwerg ist. Aber was für ein irrer Kontrast zu den Gegenden in denen wir uns bisher aufgehalten haben, den verschlafenen Fischerorten und menschenleeren Fjorden oder der absoluten Einsamkeit des Hochlandes.
Erst am nächsten Tag kann sich ein Mechaniker den Bus anschauen. So fahren wir noch eine knappe Stunde weiter zum 50 Kilometer entfernten Grindavik auf den Campingplatz. In Reykjavik sind die Übernachtungskosten nicht nur in Hotels, sondern auch auf dem Campingplatz fast doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Auf dem Weg dorthin fahren wir durch die großen Lavafelder der Halbinsel Reykjanes. Neongrüne Moospolster haben die schwarzen Lavaskulpturen überwuchert, eine surreale Landschaft, die einem Gemälde von Dalí entsprungen sein könnte.
In Grindavik bekommen wir eine erste Ahnung, was für ein Rummel an den Hot Spots der Südküste, dem Hauptziel der meisten Touristen, sein muss. Der Platz ist stark belegt, darunter viele große Leihwohnmobile, die abseits der Ringstraße kaum zu sehen sind. Um Mitternacht baut eine kommunikationsfreudige italienische Reisegruppe neben uns ihre Zelte auf und setzt bereits morgens kurz nach 6 Uhr ihre vom Schlaf unterbrochenen Gespräche lebhaft fort. Wir sind von der Abgeschiedenheit im Norden verwöhnt und fühlen uns zwischen den weißen Kisten, dem Trubel und den vielen Menschen gar nicht wohl. Ein wahrer Genuss aber sind die ultraheißen Duschen und – absoluter Luxus – die Fußbodenheizung in den Waschräumen. Mit Energie kann hier verschwenderisch umgegangen werden, denn die Wärme kommt auf der Halbinsel Reykjanes in weißen Dampfsäulen direkt aus dem Boden und wird durch Geothermalkraftwerke genutzt.
Man wagt es kaum zu sagen – doch nach reiflicher Überlegung kommt Olaf zu dem Schluss, dass die glucksenden Geräusche unseres Sandflohs, der übrigens seit gestern keinen Ton mehr von sich gegeben hat, wohl doch von der Klimaanlage stammen müssen und wir wieder ohne einen Werkstatt-Check weiter reisen können. Und für diese Erkenntnis haben wir eine Ehrenrunde von 400 Kilometern gedreht, oh Mann.
Zum Trost macht uns der launische Wettergott Islands am nächsten Tag ein wunderbares Geschenk. Wir erleben zumindest für einige Stunden einen total wolkenfreien Himmel. Das muss genutzt werden und so fahren wir entlang der im Sonnenschein herrlichen Steilküste zum Ort Hveragerði, der für seine zahlreichen Geothermalgebiete bekannt ist, und starten dort eine kleine Wanderung. Es geht in das schönes Tal Reykjadalur hinauf, wo viele Schlammtöpfe und kochend heiße Quellen blubbern. Die Luft duftet dezent nach Schwefel. Ein Bach wird durch die heißen Zuflüsse auf Badewannentemperatur erwärmt und ist eine der bei Touristen beliebtesten Badestellen in Island. So planschen wir in Gesellschaft von Franzosen, Spaniern und vielen Deutschen. Am Nachmittag ist der Sommer schon wieder vorbei, der Himmel trägt sein gewohntes graues Kleid. Wir rollen über die autobahnähnlich ausgebaute Ringstraße zurück nach Reykjavik und dann die Küste entlang nach Norden.
Nördlich des schönen Fjords Hvallfjödur übernachten wir auf dem einfachen Campingplatz, der sehr schön und ruhig an einem See liegt. Mit Moosflächen bedeckte grüne Berge säumen die Ufer. Tiefhängende, dunkle Wolken tauchen die melancholische Landschaft in verwaschenes Grau-Grün. Ein erholsamer Ort nach dem gestrigen Rummel.
Fahrt in die Westfjorde
Heftiger Sturm aus Süd-West pustet uns am nächsten Tag weiter nach Norden. Bei Borganes scheint die Welt im Regen unterzugehen. Der Himmel ist blauschwarz, das aufgewühlte Meer trägt weiße Schaumkronen und über allem spannt sich ein Regenbogen. Die Anzeigetafel am Ortsausgang informiert nicht wie bei uns über Staus und Verkehrslage, sondern zeigt das Wetter auf der Strecke an. “SV 27“ steht dort zu lesen, d.h. Südwest 27 m/sec, also eine Windgeschwindigkeit von rund 100 km/Stunde. Selbst unser Sandfloh hat Mühe die Spur zu halten. Nachdem wir die stürmische Hochfläche der Holtafördurheidi überquert haben, biegen wir von der Ringstraße 1 ab auf die Straße 61, die uns in die Westfjorde bringt. Sie führt stets unmittelbar an der Küste entlang und bietet wunderbare Landschaftsbilder.
Der Sturm zerzaust die Wolken, die in dramatisch-malerischen Formen über den Himmel jagen. Immer wieder bricht ein Bündel Sonnenstrahlen durch und erhellt wie ein Scheinwerfer die Berge oder glitzert über dem Meer. Der ständige Wechsel von Licht und Farben ist faszinierend, wieder einmal sind wir hingerissen von der wilden Schönheit Islands. Die Straße wechselt zwischen Asphalt und Schotter und umrundet einen Fjord nach dem anderen. Dazwischen sind etliche steige Anstiege und Abfahrten mit 10-12% zu bewältigen. Im Auto alles kein Problem, aber für Radler eine sportliche Herausforderung und bei diesem Wahnsinnswind heute eine echte Tortur und kaum machbar. Im winzigen 75-Seelen-Fischerdorf Drangsnes sind wir die einzigen Gäste auf dem sturmumtosten Campingplatz oberhalb des Ortes.
Lieber Olaf, Liebe Annette,
Vielen Dank für das mich teilhaben lassen an Eueren beeindruckenden farblichen, landschaftlichen und wettermäsigen Erfahrungen.
Ich war vor zwei Jahren in Island, vorallem im Hochland wandern und Rund um den goldenen Cirkel. Ich war mit einer Gruppe unterwegs.
Was ihr jetzt macht wurde ein Traum für mich vor zwei Jahren. Ich möchte unbedingt zurück nach Island. Am liebsten in Kombination mit VW Bus und Fahrrad. Doch ob das was wird? Doch träumen tut gutUnd Euch lesend zu folgen,tröstet
Ich wünsche Euch weiterhin viel Flexibilität und Einlassen können in die Vielfalt und Wechselhaftigkeit von Island!
Viele Grüße zu Euch
Sandra
Maisch