Der Flug von Frankfurt nach Athen klappt abgesehen von der streikbedingten Verspätung reibungslos. Wir haben in Flughafennähe über Air Bnb ein preiswertes Apartment gebucht und werden vom Vermieter am Airport abgeholt. Kurz vor Mitternacht liegen wir müde in Bett. Schon um 5:15 Uhr bringt uns unser Gastgeber am nächsten Morgen wieder zum Flughafen zurück, dort befindet sich auch der Regionalbahnhof. Um kurz nach 6:00 Uhr geht auf die Sekunde pünktlich unser Zug. Eine tolle Verbindung mit Umsteigen in Kiato. Dort wartet der Anschlusszug schon am selben Gleis und bringt uns nach Diakopto, dem Startpunkt der Wanderung.
1.Etappe auf dem E4 von Diakopto nach Kalavytra, 25 Kilometer (17.10.20)
So richtig startet unsere Tour also am 19.10.. Gegen 9:00 Uhr stehen wir am Ausgangspunkt unserer Wanderung am Bahnhof der Kleinstadt Diakopto im Norden des Peloponnes. Noch einen stärkenden Tee zum Wachwerden in einem Café und es geht los.
Eine Markierung des Wanderweges braucht man hier noch nicht, er verläuft ab dem Bahnhof Diakopto direkt auf den Gleisen einer Schmalspurbahn, die in die Berge führt und bei den Wochenendausflüglern sehr beliebt ist. Eigentlich ist das Betreten der Gleise verboten, aber das stört hier keinen und immerhin geht die Route des E4 ja auch offiziell genau hier entlang. Den Fahrplan sollte man beim Wandern im Kopf haben, damit man den Zug nicht gerade an einer Engstelle trifft. Nach der dritten Begegnung auf der Strecke grüßt uns der Lokführer bereits freundlich.
Das Gleiche machen die gut getarnten, großen Krebse, die im Gleisbett wohnen und ihre Scheren empor recken, wenn man sich nähert. Von weitem sehen sie aus wie ein brauner Stein und wenn sich der dann plötzlich bewegt, animiert das Dreamwalker zu wahren Stepptanzeinlagen und mich zu Lachkrämpfen.
Die Landschaft ist einfach superschön. Es geht durch eine phantastische Felsschlucht, die sich schließlich zu einer richtigen Klamm verengt und die man über die Eisenbahnbrücken quert. Neben der Bahnstrecke gurgelt der Wildbach. Manchmal laufen wir auch durch kurze Tunnel. Wir sind total begeistert. Die Strecke ist teilweise mit bis zu 28 % sehr steil, hier wird die Bahn mit Zahnrädern gezogen.
Wir schwitzen ordentlich und freuen uns nach 12 Kilometern über eine schöne Taverne unter schattigen Platanen am Bahnhof Kato Zachlorou. Hier schlemmen wir ausgiebig herrlichen Salat, gebratenen Käse, Pommes und Brot mit Oliven. Der Kellner schleppt einfach alles heran, was für Vegetarier essbar ist. Danach wälzen wir uns wieder träge auf die Schienenstrecke. Es geht unter wunderbaren alten Wald, der sich langsam bunt färbt, entlang des Flusses. Das Tal ist nun weit mit schönen Wiesen. Überall blühen Alpenveilchen.
Das Gehen im Gleisbett ist mühsam, man hat die Wahl zwischen groben Steinen oder den Schwellen, die aber nicht im Schrittabstand liegen. Die letzten 5 Kilometer laufen wir daher auf der parallelen Schotterstraße und erreichen so zügig die Kleinstadt Kalavytra, wo die Bahnstrecke nach insgesamt 24 Kilometern endet.
Der hübsche Ferienort liegt zwischen grünen Bergen und ist vor allem ein Wintersportziel. Ein großes Mahnmal auf einem Hügel hoch über der kleinen Stadt erinnert an eines der grausamsten Kriegsverbrechen, das in Südosteuropa im 2. Weltkrieg verübt wurde. Für die Ermordung von als Geiseln genommene Soldaten durch Partisanen Ende 1943 nahm die deutsche Wehrmacht schreckliche Rache. Alle 511 männlichen Einwohner Kalavytras zwischen 15 und 65 Jahren wurden erschossen, in anderen Orten der Provinz weitere 185 Männer und Jungen. Die Stadt und die umliegenden Dörfer wurden zerstört. Obwohl ich fast 20 Jahre später geboren wurde, fühle ich eine Mischung aus Scham und Trauer darüber, welche entsetzlichen Gräueltaten Menschen einander antun können.
In Kalavytra folgen wir ab dem Bahnhof der gelben Raute mit dem Zeichen E4 in die schmucke Fußgängerzone. Es gibt viele Andenkengeschäfte und gut besuchte Restaurants. Der Wanderweg ist ab hier sehr gut ausgeschildert und führt uns schließlich über schmale Trampelpfade stetig bergauf. Einige Kilometer oberhalb des Ortes finden wir auf einer kleinen Wiese unsere erste Zeltstelle und genießen den Sonnenuntergang über den Bergen.
2.Etappe von Kalavytra nach Agios Nikolaos, 22 + 4 Kilometer (18.10.20)
Morgens wird es erst gegen 7:30 Uhr hell. Die Luft ist noch sehr kühl, das Gras ist von Tau überzogen und das Tal tief unter uns hängt im Nebel. Doch rasch klettert die Temperatur auf 20 Grad.
Durch einen grünen Tannenwald, der uns eher an die Alpen erinnert, geht es bergauf. Unsere erste Begegnung mit einem Hütehund überstehen wir schadlos. Nach dem ersten Pass, wo wir mit wunderbarer Fernsicht frühstücken, führen uns schmale Hirtenpfade durch eine hügelige, offene Landschaft mit wunderbaren uralten Olivenbäumen und Eichen. Auf den kargen Weiden grasen Ziegen und Schafe, wieder gut bewacht durch eifrige Hunde, die wir uns aber gut vom Hals halten können, wenn wir genügend Abstand halten und Steine aufheben, die wir wie zum Wurf empor halten. Diese Geste kennen sie und verziehen sich.
Der Weg führt uns durch urige winzige Dörfer, die sich harmonisch in die Landschaft einpassen. Viele Häuser werden nur im Sommer bewohnt oder sind auch dauerhaft verlassen. Hier ist nichts modernisiert oder touristisch aufgehübscht, sondern ist absolut authentisch und alt, manchmal auch verfallen. Zentrum des Dorflebens ist immer der Kirchplatz mit uralten Platanen, einem Brunnen, dem Kafenion oder der Taverne – Treffpunkt der alten Männer, die aufgereiht reglos auf ihren Stühlen in der Sonne sitzen und über das Leben nachdenken.
Heute, am Sonntag, ist auch der in traditionellen schwarzen langen Gewand gekleidete Pope dabei. Da sind zwei durch das Dorf wandernde Frauen eine tolle Abwechslung für die Altherrenriege. Wie immer werden wir von allen sehr freundlich gegrüßt, man will uns zum Kaffee einladen und der weitere Weg wird genau erklärt, auch wenn wir gar nicht danach fragen. Als wir mit Händen und Füßen versuchen deutlich machen, dass wir außer „guten Tag“ und „Danke“ kein Wort Griechisch verstehen, tut das der Fürsorge für uns keinen Abbruch. Dann erklärt man das Ganze einfach nochmal etwas lauter, vielleicht sind die Wanderer ja nur schwerhörig. Oder liegt es daran, dass wir vergessen haben, dass eifriges Kopfnicken in Griechenland „nein“ bedeutet und „ne“ auf Deutsch „ja“ heißt? Jedenfalls wird viel gestikuliert und vor allem herzlich gelacht. Es macht Spaß durch die Dörfer zu laufen.
Planitero ist so ein typisches Bergdorf, das sich wie aus dem Bilderbuch hoch oben an einen Steilhang schmiegt. Schmale Gassen, durch die kaum ein Auto passt, die Häuser türmen sich übereinander, in Kübeln und Autoreifen davor gedeihen Blumen oder Gemüse. Weinranken verschatten die Terrassen. Unten im Tal gibt es einen Fluss mit einem phantastischen Platanenwald, ein beliebtes Ausflugsziel.
Hier verpassen wir den richtigen Abzweig unseres Weges und müssen 4 Kilometer sowie ein paar Höhenmeter zusätzlich bewältigen. Über sehr schmale, fast zugewachsene Pfade geht es steil hoch in das winzige Dorf Armpounas und dann über einen sehr mühsamen, felsigen Ziegenpfad am Hang weiter bergauf. Ständig müssen wir auf den Weg achten, obwohl der Blick ins Tal grandios ist.
Stachlige Büsche zerkratzen uns Arme und Beine. Endlich geht es bergab, kurz vor Agios Nikolaos wird der Pfad bequemer und geht dann in einen schattigen Feldweg durch dichten Kastanienwald über. Ca. 2 Kilometer hinter dem Ort zelten wir auf einer Wiese hinter der Mauer einer ziemlich vergammelten Kapelle. Kein schöner Platz, aber es ist schon 18:00 Uhr und kurz danach geht es schon wieder durch Gestrüpp bergauf.
3. Etappe von Agios Nikolaos nach Pangrati, 20 Kilometer (19.10.20)
Wie nicht anders erwartet, finden wir morgens direkt unterhalb von unserer Zeltstelle und im weiteren Verlauf des Weges gute Möglichkeiten zum Übernachten. So ist das ja immer.
Nach einigen hundert Metern aber geht es wieder für 45 Minuten Wegzeit auf einen stark zugewachsenen Pfad steil bergauf auf einen Sattel mit sehr schöner Aussicht, der ideale Platz fürs Frühstück.
Auch hier hätte man gut zelten können. Bergab nehmen wir dann den Feldweg, denn der Wanderpfad ist total von Gestrüpp überwuchert. In Lykouria, dem nächsten Ort, verpassen wir den richtigen Abzweig des Pfades und bitten wir an einem Haus um Wasser. Natürlich füllt uns die alte, schwarzgekleidete Frau gerne unsere Wasserflaschen und geleitet uns wortreich wieder auf einen Trampelpfad zwischen zwei Häusern, den wir Greenhorns nicht als Wanderweg erkannt haben.
Der weitere Weg führt als Saumpfad durch frisch gepflügte Felder und dann entlang der Straße. Dort können wir die griechische Art der Müllentsorgung bewundern, ganze Wohnungseinrichtungen könnte man sich hier zusammenstellen. Doch schon nach einer halben Stunde laufen wir wieder über Wiesen und dann endlich über einen weichen Waldpfad durch einen Hohlweg den Berg hinauf bis Pangrati. Kopfgroße Pilze wuchern auf dem Boden, Wildschweine haben ihre Spuren und wahrhaft gigantische Kothaufen hinterlassen. Für sie sind die Wälder mit ihren Eicheln und Esskastanien ein Schlemmerparadies. Mittlerweile ist es drückend schwül und von den Bergen rücken schwarze Wolken drohend näher.
In Pangrati fassen wir am Dorfbrunnen neues Wasser, dann geht es wieder bergauf. Glücklicherweise sind wir gerade auf dem Sattel, nur 30 Minuten oberhalb des Ortes, als der Regen einsetzt. Denn dies ist die einzige Stelle für die nächsten 5 Kilometer bis kurz vor Dara, die sich zum Zelten eignet. In Windeseile ist unser mobiles Zuhause aufgebaut und so liegen wir schon um 17:30 Uhr auf der faulen Haut.
4. Etappe von Pangrati nach Vytina, 23 Kilometer (20.10.20)
Morgens liegt das Tal zu unseren Füßen noch im Dunst, doch es wird wieder ein sonniger Tag. Ein schöner und relativ bequemer Hirtenpfad mit herrlichen Blicken in die Ebene bringt uns rasch nach Dara, einem größeren Bergdorf. Danach geht es bergab in ein weites Tal mit Feldern und Olivenhainen, dazwischen weiden Ziegen und Schafe auf Karstwiesen. Viele Walnussbäume säumen den Weg, Dreamwalker macht das Eichhörnchen und hat bald alle Außentaschen am Rucksack gefüllt. Wir sind in Arkadien, dem Sehnsuchtsland der deutschen Klassik.
Es ist schön, nach den bergigen Etappen nun einmal in der Ebene unterwegs zu sein. Leider laufen wir den ganzen Tag auf zwar fast verkehrsfreien Straßen, aber mit Asphalt. Die wenigen Autofahrer, die vorbei kommen, halten stets an, um uns mitzunehmen und lachen kopfschüttelnd, wenn wir gestikulieren, dass wir lieber zu Fuß gehen. Die spinnen, die Deutschen.
Hinter Kamenitsa geht es lange Zeit gut bergauf. Dann ist schon gegen 15:00 Uhr der bei Griechen beliebte Urlaubsort Vytina erreicht. Der Ort sieht deutlich anders aus, als die entlegenen Dörfer in den Bergen. Hier geht es sehr touristisch zu, denn in der Nähe, im Melanongebirge, liegt ein Skigebiet. Es gibt etliche Hotels und Pensionen, die Fußgängerzone besteht nur aus Andenkenläden und Restaurants in „ordentlich“ restaurierten Häusern. Auch die Preise in den Lokalen sind deutlich höher als sonst. Wir kaufen ein, gönnen uns trotzdem ein gigantisches Stück Kuchen und nehmen in einer netten Privatpension am Marktplatz ein Zimmer. Denn wir stinken mittlerweile wie die Wildschweine, brauchen ganz dringend endlich mal eine Dusche und müssen unsere vom Schweiß salzverkrustete Kleidung waschen. Außerdem soll es wieder Gewitter geben, da wird es in den Bergen nachts ungemütlich.
5. Etappe von Vytina bis ins Tal hinter Kapsia, 26 + 4 Kilometer (21.10.20)
Morgens um 8 Uhr gehen wir wie gewohnt los, plaudern munter, laufen daher erstmal einen Kilometer in die falsche Richtung und müssen ganz zurück in den Ort. Typisch für uns, wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt. Später machen wir nochmals einen Kilometer Umweg, so dass wir heute auf stolze 30 Kilometer kommen.
Ca. 30 Minuten hinter Vytina beginnt der Aufstieg in die Berge. Ein steiler, anfangs felsiger Pfad geht durch einen herrlichen Tannenwald. Mächtige Bäume ragen empor, dicht behangen mit langen grauen Bartflechten.
Merkwürdige Pilze sprießen in Massen aus dem Boden. Grüne Moose überwuchern die Felsen und am Boden liegenden Stämme. Ist das hier wirklich Griechenland oder sind es nicht doch die Alpen? Was für ein Kontrast zur gestrigen Etappe, die uns durch klassische mediterrane Landschaft führte. Dieser E4 sorgt für tägliche Abwechslung und Überraschungen.
Es ist völlig bewölkt und ziemlich kühl, die fast 2.000 Meter hohen Gipfel des Melanongebirges hängen komplett in den Wolken. Trotzdem sind wir bald nass geschwitzt. Nach gut 1,5 Stunden Aufstieg erreichen wir eine Hochebene mit Moorflächen und saftigen Almwiesen. Bei dem nebligen Wetter ein wunderschöne Stimmung. Der Boden ist übersät mit unterschiedlichen Pilzen, es riecht feucht nach Herbst. Auch hier muss es sehr viele Wildschweine geben, wir sehen große Flächen, die regelrecht umgepflügt sind. Kurze Zeit später begegnen wir Jägern, die mit Hunden zur Treibjagd ausrücken. Nach einem längeren Abstieg geht es einige Zeit bergab und dann relativ eben über herrlich weiche Waldpfade und dann noch einmal sehr steil bergauf. Eine herrliche Strecke, aber man kommt sehr heftig ins Schnaufen. Wofür haben wir gestern eigentlich geduscht?
Wir erreichen nach über 900 Höhenmetern den höchsten Punkt der Etappe auf ca. 1700 Metern. Hier weht ein unangenehmer, kalter Wind. Eine Teerstraße führt uns leicht bergab zum Skigebiet. Eigentlich gibt es einen Wanderpfad, der uns in Tal bringen soll. Er ist im oberen Bereich jedoch total zugewachsen und nicht begehbar, so dass wir teilweise der Straße folgen müssen. Wir kommen in Kardaras an, nur eine Ansammlung von wenigen Häusern, 690 Höhenmeter tiefer. Hier gibt es ein teures Hotel und eine Taverne, alles ist verlassen. Erst hier machen wir eine verspätete Mittagsrast auf der Gartenmauer eines leerstehenden Hauses. Bei nur 12 Grad eine leicht fröstelnde Angelegenheit. Knapp 6 Kilometer sind dann über Asphalt bis Kapsia zu laufen, die letzte halbe Stunde über eine stark befahrene Landstraße. Gott sei Dank gibt es einen breiten Seitenstreifen. Trotzdem sind wir froh, als endlich der Ort erreicht ist. Im Gegensatz zu den idyllischen Bergdörfern erscheint Kapsia ziemlich trist mit vielen verwahrlosten Häusern, dazu kommt der heftige Autoverkehr, der mit hohem Tempo durch den Ort fährt.
Wie wunderschön ist dann der Weg durch ein weites Tal Richtung Westen. Auf verschlungenen Ziegenpfade wandern wir leicht bergauf über steinige Wiesen und durch verfallene Obst- und Olivenhaine. Bald verebbt der Lärm der Straße und der kläffenden Hunde aus dem Dorf. Es ist ein echter Genuss ist es, durch die friedvolle, uralte Kulturlandschaft zu laufen. Wir sind begeistert, eine verdiente Entschädigung für den Straßenabschnitt zuvor. Gegen 18:00 Uhr bauen wir unser Zelt in dieser ländlichen Idylle auf. Ein roter Sonnenuntergang beschließt den Tag und beim Einschlafen hören wir leise aus der Ferne die Glocken von Schafen läuten. Besser könnte es uns nicht gehen
6. Etappe vom Tal hinter Kapsia bis zur Passhöhe oberhalb von Ano Doliana, 23 + 3 Kilometer (22.10.20)
Wolkenloser Himmel verwöhnt uns am Morgen beim Frühstück. Über Ziegenpfade erreichen wir bald eine einsame Kapelle mit einer wirklich majestätischen Eiche davor. Danach beginnt ein Feldweg, der bald an einem einsamen Gehöft vorbei führt und dann hinunter ins Tal läuft. Es geht über terrassierte Felder und Weiden, uns begegnen Ziegen und Schafsherden mit zugehörigen Hütehunden, die aber friedlich bleiben, wenn man ihnen genug Platz zum Vorübergehen lässt.
Nach 2 Stunden erreichen wir das erste Dorf. Von allen Seiten stürmen wütend kläffende große Hunde herbei, die aber Gott sei Dank hinter Zäunen sind. Es ist ein wahres Spießrutenlaufen, doch uns tun die spindeldürren, an einer Kette liegenden Tier wirklich leid, Dreamwalker würde sie am liebsten alle retten.
Rasch nähern wir uns der Zivilisation, man merkt das an der Müllmenge, die im Straßengraben liegt. Bis zur Hauptstraße brauchen wir eine halbe Stunde und noch einmal die gleiche Zeit bis ins Zentrum von Tripoli.
Was für ein Kontrast ist die lebhafte Universitätsstadt mit ihren Autoverkehr, den vielen Geschäften und Menschen gegenüber dem ruhigen Bauernland. Wir kaufen im Supermarkt Lebensmittel, bummeln durch die nette Fußgängerzone und verspeisen genüsslich Spinat-Feta-Pasteten und frischen Apfelkuchen aus einer Bäckerei. Zum Abschluss gibt es noch einen Kaffee in einem wunderbar stilvollen Kaffeehaus aus der Jahrhundertwende, dem Megalo Kafenio, direkt gegenüber der Hauptkirche am Platz Athanasiadou. Hier genießen die etwas älteren, gepflegt gekleideten Honoratioren der Stadt die Spätsommersonne oder spielen Karten. Da sind wir natürlich mit Rucksack, unseren abgetragenen Wanderklamotten und zerkratzen Armen und Beinen ein gewisser „Fremdkörper“, der Aufmerksamkeit erregt. Ein alte Dame, die einigermaßen gut Englisch spricht, kann ihre Neugier nicht zähmen und will wissen, woher wir kommen und gehen. Sie ist ziemlich fassungslos, das wir rund 260 Kilometer zu Fuß mit Zelt wandern und fünf Minuten später sind alle anderen Gäste auch über unsere Reise informiert. Wir ernten anerkennendes Kopfnicken ringsumher.
Unser Wanderführer empfiehlt ab Tripoli per Taxi bis Psili Vrisi zu fahren, um rund 15 Kilometer zum Teil stark befahrene Straße zu sparen. Genau das machen wir und sind nach ca. 25 Minuten rasanter Fahrt unter ignorieren sämtlicher Überholverbote in dem beschaulichen Dorf am Rand der Berge. Die Fahrt kostet einige Nerven und 18 Euro. Hinter Psili Vrisi laufen wir durch lila blühende Heide, unzählige Bienen summen darin und sammeln den guten griechischen Honig. Dann geht es mühsam durch ein trockenes und sehr steiniges Bachbett ca. 3 Kilometer bergauf und schließlich steil über schmale Pfade bis zum Bergdorf Ano Doliana.
Der komplett unter Denkmalschutz stehende Ort liegt wunderschön am Berg mit großartigem Blick über die weite Ebene bis Tripoli. In einer Taverne wollen wir eigentlich nur um Wasser bitten, können aber dem verlockenden Kuchen nicht widerstehen. Zusätzlich bekommen wir von einem Gast ein stärkendes Schnäpschen spendiert. Der alte Mann hat einen Sohn, der in Deutschland lebt, und will wohl einfach nur nett zu uns sein. Auch unseren Kuchen zahlt er. Zufrieden sitzt er mit der Würde seines Alters auf seinem Stuhl, die Arme auf den Gehstock gestützt und lächelt uns freundlich nickend zu. Wir danken gestenreich mit „Efacharistó“ und sind sehr berührt von dieser gastfreundlichen Geste. Was für ein schönes Erlebnis.
Mittlerweile ist der Nachmittag schon fast vorbei und wir müssen etwas Gas geben. Denn es geht weiter steil hoch bis auf 1230 Meter. Der Wanderweg verläuft teils auf einer schmalen Straße, teils kürzt er die Serpentinen über Pfade ab. Letztere sind jedoch so mit dorniger Macchia zugewachsen, dass kein Durchkommen ist und man eben doch die Straße nehmen muss, auch wenn das ca. 3 Kilometer zusätzlich bedeutet. Auch Zelten ist hier absolut unmöglich, bald wird es dunkel werden. Zwei Stunden laufen wir ab dem Dorf bergauf und finden an der Passhöhe oberhalb von Ano Doliana gegen 19:00 Uhr kurz vor Sonnenuntergang endlich eine sehr gute Zeltstelle unter Kastanienbäumen. Der Mond scheint schon hell, als wir endlich unseren kalten Instant-Kartoffelbrei löffeln und danach ziemlich müde in den Schlafsack fallen.
7. Etappe von der Passhöhe oberhalb von Ano Doliana bis zum Fluss unterhalb von Vresthina, 32 Kilometer (23.10.20)
Wolkenloser Himmel verspricht einen warmen Tag. Im frühen Morgenlicht auf dem Kamm zu laufen ist wunderbar, der Blick reicht weit über die Berge.
Über Asphalt geht es an Esskastanienwäldern und Walnüssbäumen vorbei, dann folgt für den Rest des Tages undurchdringliches Macchia- Gestrüpp. Es geht in vielen Kurven über die Straße bergab zum Bilderbuchort Agios Petros. Die im Wanderführer versprochene Abkürzung über einen Pfad ist nicht gehbar, denn der Weg führt über ein Privatgrundstück, das von zähnefletschenden Hunden bewacht wird. Wir treten heldenhaft den Rückzug an. Die Straße ist praktisch nicht befahren, zieht sich aber, bis wir endlich im Ort sind. Am Dorfplatz wird aus dem Brunnen neues Wasser gezapft, in der Bäckerei können wir den Spinatkäsepasteten natürlich nicht widerstehen. Sie wandern bis zur Mittagsrast in den Rucksack. Die Straße führt stetig bergauf. Auf der Kammhöhe wechseln wir endlich auf einen Schotterweg. Man hätte sich auch den Schlenker hinunter ins Dorf und wieder hinauf vermeiden können, indem man auf dem Kamm auf einem Feldweg geblieben wäre und dabei etliche Kilometer Asphaltstraße und viele Höhenmeter gespart, aber das bemerken wir auf unserer Karte erst nachträglich. Außerdem hätten wir dann die Bäckerei verpasst…
Nun geht der Weg über eine Schotterstraße stetig bergab. Es ist heiß, staubig und auf Dauer auch etwas langweilig auf dem breiten Weg durch den immer gleichen Macchia-Urwald zu laufen.
Richtig schön ist aber dann das große Dorf Karies mit urigen Bruchsteinhäusern und einem herrlichen Dorfplatz, wo unter uralten Platanen einladende Tavernen sind. Hier können wir unsere Pasteten genießen, wie so oft streichen die Dorfkatzen schmeichelnd um unsere Beine und bekommen ihre Streicheleinheiten. Ungefähr fünf Kilometer weiter auf staubiger, heißer Straße kommen wir an einer kleinen Kirche vorbei. Der Innenraum ist offen und herrlich kühl, davor eine schattige Wiese – Zeit für eine weitere Rast.
Immer weiter windet sich die Schotterstraße bergab. Mittlerweile sind wir ganz schön müde. Schließlich erreichen wir ein ausgetrocknetes Flussbett, ca. 1,5 Kilometer vor Vresthina. Hier endlich gibt es sehr schöne, ebene Stellen unter Esskastanienbäumen, das wird unser heutiger Zeltplatz. Es ist noch früh, erst 17:00 Uhr, und so können wir noch lange einfach nur faul vor dem Zelt ausruhen und lesen. Ungewohnt, aber auch mal entspannend. Als es dämmert bekommen wir Besuch von einigen kleineren Wildschweinen, die sich aber rasch wieder verziehen, als Dreamwalker gekonnt anfängt zu bellen.