Von Aberdeen nach Newcastle-upon-Tyne
Nun haben wir den letzten Abschnitt unserer Radtour von Aberdeen nach Newcastle-upon-Tyne zurückgelegt. Rund 5.550 km sind wir in den vergangenen 12 Wochen geradelt. Begonnen haben wir in Straßburg, sind entlang vieler französischer Kanäle auf dem Paneuropa-Radweg beschaulich, aber bei großer Hitze, nach Paris gekurbelt und weiter auf dem französischen Fernradweg V40 nach Le Mont Saint Michel am Ärmelkanal, der berühmten Abtei auf der Felseninsel mit unzähligen Touristen. Wir folgten dann der Kanalküste nach Roscoff auf dem windungsreichen Eurovelo 4 mit unzähligen steilen, kurzen Anstiegen und Abfahrten und setzten schließlich mit der Fähre nach Plymouth über.
In Plymouth begann unsere „eigentliche“ Radtour mit der Befahrung des Eurovelo 1. Dieser zweitlängste europäische Fernradweg beginnt in Portugal und führt über Spanien, folgt im weiteren der Atlantikküste in Frankreich, England, Wales, Irland und Schottland bis zum Nordkap in Norwegen. Den landschaftlich sehr abwechslungsreichen Abschnitt des Eurovelo 1 durch Norwegen haben wir bereits früher gemeistert und nun sind wir den Eurovelo über die britischen Inseln geradelt. Es fehlt also nur noch der südliche Teil des Radweges von Portugal bis Frankreich, den wir sicher auch noch befahren werden.
Auf den britischen Inseln endet der Eurovelo 1 in Edinburgh, wo eine Fähre nach Bergen die Weiterfahrt auf dem Fernradweg entlang der norwegischen Küste ermöglicht. Wir sind stattdessen von Edinburgh 600 Kilometer entlang der Nordsee nach Newcastle auf dem britischen Fernradweg 1 gekurbelt und haben dessen Route als Rückweg nach Deutschland genutzt. Von Newcastle gibt es eine bequeme Fährverbindung nach Amsterdam, der wir einem Flug mit den Fahrrädern den Vorzug geben. Mit den sperrigen Rädern empfinden wir das Fliegen immer als sehr stressig. Zudem katapultiert uns ein Flug zu schnell von der Reise zurück in den heimischen Alltag.
Die 600 Kilometer von Aberdeen nach Newcastle gliedern sich in zwei gleichgroße Abschnitte, Aberdeen – Edinburgh und Edinburgh – Newcastle. Während der 300 Kilometer nach Edinburgh bleibt der Radweg weitgehend an der Nordseeküste, ist aber trotzdem auch mit einigem gut spürbaren Auf und Ab verbunden. Wir radeln auf schmalen Teerstraßen durch Weideland, in der Regel einige Kilometer abseits des Meeres, und schaffen diese Etappe in nur drei Tagen. Es geht über viele „rolling hills“ hoch und runter, und wir sind wieder einmal sehr froh, dass wir durch unsere Richtungswahl über den Eurovelo nach Norden meist Rückenwind haben. Um größere Straßen zu umgehen, macht die Radroute hin und wieder einen wahren Zick-Zack-Kurs. Und manchmal gibt es auch Überraschungen. So stehen wir einmal unvermittelt vor einem Bauzaun mit dem Schild „Road closed“. Aber sollen wir wirklich wegen einer lächerlichen Baustelle, die zudem am Sonntag nicht in Betrieb gewesen ist, einen großen Umweg über unzählige Hügel machen? Nach dem Motto „Reiseradler kommen überall durch“ quetschen wir uns durch den Bauzaun, laden die Räder ab, hieven sie und das Gepäck in Etappen über Schutthügel und schieben schließlich tapfer durch tiefen Schlamm, der noch tagelang an den Packtaschen und Rädern kleben wird.
Es ist bereits herbstlich kühl, und so fallen die Mittagspausen immer ziemlich kurz aus. Nach spätestens 20 Minutens sitzen wir in der Regel wieder fröstelnd auf dem Rad. Bei der nächsten Steigung werden wir dann aber rasch wieder warm.
An der Küste fahren wir an zahlreichen imposanten Burganlagen vorbei, die meist auf einem Felsen hoch über dem Meer thronen. Besonders beeindruckend ist die Burg Dunnottar Castle, die nur über eine schmale Landbrücke zu erreichen ist und daher nie erobert wurde. Immer wieder haben wir sehr schöne Ausblicke auf das Meer und die Steilküste oder radeln durch schöne Fischerdörfchen, deren winzige, einfache Häuser sich unterhalb der Klippen um den Hafen schmiegen. Es gibt aber auch wunderschöne Sandstrände mit hohen Dünen dahinter. Sehr schön ist auch die traditionsreiche, kleine Universitätsstadt St. Andrews mit ihren grauen Granithäusern und der riesigen Ruine einer mittelalterlichen Kathedrale.
Als richtig anstrengend erweist sich die letzte Etappe vor Edinburgh. Hier kurbeln wir einen weiten Bogen durchs Landesinnere mit vielen Steigungen von jeweils hundert Höhenmetern und vergießen dabei etliche Schweißtropfen. Die herrliche Landschaft und ein – endlich – wirklich sonniger Tag machen aber die Anstrengungen wett. Ziemlich platt kommen wir 25 Kilometer vor Edinburgh zum anvisierten Campingplatz, der aber leider nicht mehr existiert. So radeln wir notgedrungen weiter und erst bei Sonnenuntergang landen wir nach über 100 Kilometern auf dem Zeltplatz in Edingburgh. Leider hat der viele Regen der letzten Wochen die Zeltwiese des Campingplatzes wie einen Schwamm voll Wasser gesogen, wir waten durchs Wasser zu unserem Zelt und vor dem Zelteingang bildet sich bald eine große Schlammpfütze.
Für Edinburgh nehmen wir uns zwei Tage Zeit und schlendern bei ganz gutem Wetter stundenlang durch die sehr sehenswerte Neu- und Altstadt. Die „Royal Mile“ in der mittelalterlichen Altstadt ist die Flanierzone der zahlreichen Touristen aus aller Welt. Natürlich haben wir uns in der Altstadt auch das Café „The Elephant House“ angesehen, wo J.K. Rowling an den „Harry Potter“-Romanen gearbeitet hat – und stoßen in Gedanken mit einem Butterbier auf Harry und alle an, die mit ihm aufgewachsen sind. Direkt nebenan findet man die gewundene, schmale Victroia Street mit vielen urigen Läden, die Inspiration für die “Winkelgasse“ war. Die Neustadt ist auch schon über 100 Jahre alt und mit ihren städtebaulich harmonischen viktorianischen Straßenzügen und Plätzen zu Recht als „UNESCO-Weltkulturerbe“ geadelt.
In Edinburgh tauscht Olaf den Mantel seines Hinterrades aus, der einen großen Riss hat und mit dem 100 Kilometer mit viel Glück bis Edinburgh gefahren ist. Nach den zwei Ruhetagen geht es weiter. Doch vorher säubern wir noch den total verschlammten Zeltboden. Eine Aufgabe, die Annette mit einer großen Menge Klopapier und – da am Boden unzählige kleine Regenwürmer wimmeln, vor denen ihr graust -mit Todesverachtung erledigt.
Südlich von Edinburgh macht der Radweg erneut einen Bogen durchs Landesinnere und führt uns 300 Meter hoch über die Moorfood Hills zum River Tweed. Eine wunderschöne Landschaft, die uns stark an das Farmland in Neuseeland erinnert – kahle Berge, viele Schafe und sehr einsam. Was für ein Kontrast zum nur 50 Kilometer entfernten lebhaften Edingburgh. In den Bergen trifft uns bei sehr starkem Gegenwind heftiger Regen und begleitet uns für 20 Kilometer bis zum nächsten Campingplatz am Tweed. Uns wird auf dem Rad bei der langen Abfahrt durch den Regen ins Tal erbärmlich kalt und erst unter der heißen Dusche am Zeltplatz tauen wir wieder auf. Am nächsten Tag haben wir bei sonnigen und warmen Spätsommer-Wetter eine wunderschöne Fahrt durch das Tal mit dem Fluss Tweed entlang der schottisch-englischen Grenze zum Meer. Die Laubwälder mit ihren uralten Buchen und Eichen färben sich schon herbstlich bunt, es gibt wunderschöne mittelalterliche Dörfer sowie zahlreiche Ruinen von Klöstern und Burgen.
Auf Grund der Abstände der Campingplätze fahren wir an dem Tag erneut eine sehr lange und auf Grund Gegenwind anstrengende Etappe. Entlang der Nordseeküste gibt es viele Campingplätze, die keine Zelte aufnehmen, sondern sich auf Wohnmobile und Caravans beschränken. Oft geht das aus den Webseiten der Plätze nicht hervor oder veraltete Seiten bieten fälschlich noch Zeltmöglichkeiten an. So stehen wir auch in Berwick upon Tweed nach hundert Kilometern abends vor solch einem Platz, der uns abweist. Zum Glück finden wir dann doch nach nur fünf weiteren Kilometern kurz vor Einbruch der Dunkelheit einen schönen Zeltplatz mit Meerblick. Die weitere Strecke bis Newcastle ist durch viele kilometerlange, breite Sandstrände gekennzeichnet. Jetzt in der Nachsaison sind die Strände wunderbar leer. Und es gibt viele Burgen und Burgruinen zu besichtigen, die oft sehr fotogen auf Klippen am Meer liegen. Während der letzten eineinhalb Tage fahren wir durch klassischen englischen Küstennebel, der die Landschaft in ein gespenstisches Grau taucht, und wir können die herrlichen Strände nur noch erahnen.
Ja, und dann ist plötzlich schon der letzte „echte“ Radlertag da, denn auch 12 Wochen sind irgendwann vorüber. Und so rollen wir dann am 25.09. abends mit unseren treuen Stahlrössern in die Auffahrt unserer Pension in einem Ferienort am Meer, ca. 10 Kilometer vor Newcastle. Zum Abschluss gönnen wir uns noch einmal eine Übernachtung in „richtigen“ Betten und ein ausgiebiges Frühstück am nächsten Morgen, bevor es nachmittags auf die Fähre nach Amsterdam geht.
Während der Seereise begleiten uns wieder dichter Nebel und eine unruhige See, die uns in unserer Kabine in den Schlaf geschaukelt hat. Am 27.09. gehen wir morgen in Ijmuden bei Amsterdam an Land, bauen auf dem 10 Kilometer entfernten Zeltplatz unser mobiles Heim auf und fahren mit Bus und Zug in die Amsterdamer Innenstadt. Gemeinsam mit vielen Touristen aus aller Welt und noch mehr Radfahrern erkunden wir die idyllischen Grachten der schönen Stadt und genießen einen warmen Spätsommertag mit wolkenlosem Himmel. Am nächsten Tag geht es dann Nachmittags mit dem Fernbus ab Amsterdam Sloterdijk heim nach Darmstadt.
Nachlese
Oft werden wir gefragt: „Wenn man drei Monate unterwegs ist – ist man dann des Radfahrens nicht überdrüssig oder wird es nicht sogar langweilig, jeden Tag in die Pedale zu treten?“ Die Antwort ist eindeutig: „Nein.“ Denn es ist einfach herrlich, stets etwas Neues zu erleben und zu sehen. Natürlich sind die Etappen grob vorbereitet, man schaut im Internet nach Campingplätzen und Einkaufsmöglichkeiten. Aber trotzdem hat jeder Tag seine Überraschungen und oft genug kommt es ganz anders, als wir es geplant hatten. Und genau das lieben wir an diesem Nomadendasein. Eine einzige Woche auf dem Rad steckt so voller neuer Eindrücke, dass uns diese Zeitspanne viel länger vorkommt. Wir erleben die wertvolle Ressource „Zeit“ sehr intensiv und ausgefüllt – was für ein Kontrast zur häuslichen Routine – und fühlen uns dadurch unendlich reich.
Natürlich ist das Leben im Zelt recht spartanisch. Wir haben jeden Tag die gleiche Kleidung an, kochen mehr oder weniger immer dass gleiche und wohnen auf sehr beengtem Raum auf unseren 3,5 Quadratmetern. Jeder Gang zur Toilette oder zum Waschen ist mit einem Spaziergang über den Zeltplatz verbunden, auch bei Regen. Aber dafür haben wir auch keinerlei häusliche Arbeiten oder Routinen zu erledigen.
Das Radfahren selbst ist nach einer gewissen Eingewöhnungszeit relativ leicht geworden, wir haben uns einfach an die andauernde Bewegung gewöhnt und im Normalfall ist es keine Anstrengung mehr – Ausnahmen, wie z.B. extreme Steigungen, bestätigen die Regel- den größten Teil des Tages im Sattel zu verbringen. Im Gegenteil – es ist herrlich, wenn die Reifen surren, die Straße unter einem dahingleitet und die Landschaft wie in einem Film vorbei zieht. Wir erleben in solchen Momenten ein herrlichesw Gefühl von Freiheit und sind dankbar, so „einfach“ leben zu dürfen.
Die Tour war sehr abwechslungsreich. Frankreich hat uns mit gutem Kuchen, Sonne und gemütlichen Strecken an Kanälen oder auf Bahnradwegen verwöhnt, aber auch mit steilen Etappen an der schönen Küste der Bretagne gefordert, wo der Radweg Eurovelo 1 jede denkbare Steigung mitnimmt. Südengland hat uns dann aber wirklich einiges abverlangt mit extremen und zahlreichen Steigungen, wunderschön waren die idyllischen Cottages und Dörfchen, in denen die Zeit stehen geblieben scheint und die einsamen Hochmoore in Devon oder die herrliche Permbrokeshire Coast in Wales, deprimierend dagegen die teilweise sehr grauen und verwahrlosten Industrieorte an der südwalisischen Küste. Irland hat es uns mit dem sehr ausdauerndem Regen nicht leicht gemacht – die unglaubliche Dichte an gemütlichen Pubs bietet Gelegenheit, nicht nur von außen feucht zu werden. Im Rückblick fallen uns die Cliffs of Moher, Connemara und ganz besonders die Causewayküste in Nordirland als landschaftliche Höhepunkte ein. Und zum Schluss noch ein großes Dankeschön an die äußerst rücksichtsvollen irischen Autofahrer! Schottland schließlich hat den Nässerekord von Irland leider getoppt. Dagegen erwiesen sich dort die Steigungen der Strecke als sehr moderat. Die Landschaft war bergiger und abwechslungsreicher als in Irland, sehr schön vor allem natürlich die Highlands, aber auch die Küsten bleiben in guter Erinnerung. Überraschend interessant schließlich die Fahrt zum Schluss durch Northumberland mit seinen imposanten Burgen und den schönen weiten Sandstränden.
meine hochachtung vor den zwei fleißigen stramplern! es klingt nach einer unvergesslichen tolle zeit, freue mich wenn ihr mir nächste woche mehr davon erzählen und zeigen könnt..