Mit der Fähre geht es von Larne an der Nordküste Irlands in zwei Stunden nach Stranraer im äußersten Südwesten Schottlands. Damit beginnt wieder ein neuer Abschnitt unserer Tour und die Überfahrt lässt uns Zeit, die schöne Etappe auf dem Eurovelo 1 durch Irland Revue passieren zu lassen und uns gedanklich auf Schottland einzustellen.
Am ersten Tag in Schottland haben wir noch herrliches Sommerwetter. Wir fahren entlang der schottischen Südküste und sonnen uns an den Stränden der einsamen Luce Bay. Wir radeln an leuchtend grünen Weiden vorbei, lustig sehen die gestreiften Galowayrinder aus: vorne und hinten schwarz, in der Mitte weiß. Die einspurige Straße ist gesäumt von moosbewachsenen Bruchsteinmauern und wunderbaren Allen mit uralten knorrigen Eichen und Buchen, durch die wir wie durch einen grünen Tunnel fahren.
Dann geht es kräftig hoch in die Berge in den Galloway Forest Park. Es wird Herbst, viel Laub liegt bereits auf der Straße, die Birken färben sich golden, und es wird regnerisch und kalt. Trotz der geringen Temperaturen von nur ca. 13 Grad und Nieselregen ist es in unserer Regenkleidung sehr warm. Der Schweiß fließt uns am Rücken runter und bald sind wir von Innen klatschnass, trotz „atmungsaktiver“ Goretex-Kleidung und obwohl uns der sturmartige Wind kräftig die langen und anstrengenden Steigungen hoch schiebt.
Schottland ist voll von wunderbaren alten Burgen, Schlössern und Landsitzen. Besonders beeindruckend ist das riesige Culzean Castle, das lange Zeit im Besitz der aus Schottland und Irland stammenden Familie des US-Präsidenten Kennedy war. Auch Eisenhower hat gerne in diesem neogotischen Protzgebäude Urlaub gemacht.
Die weitere Fahrt entlang der Westküste verläuft durch viele Orte, auch durch Industriegebiete. Es regnet ausgiebig. Wir versuchen, die Regengüsse unter Bäumen oder in Cafés auszusitzen, was aber nicht immer gelingt. Unangenehm sind dann die relativ rücksichtslosen britischen Autofahrer, die ungebremst durch tiefe Pfützen an uns vorbei jagen und uns zusätzliche Duschen bescheren. Ab und an gönnen wir uns eine Übernachtung in einem Hostel. Es ist herrlich, nach einem Regentag in einem warmen, trockenen Zimmer zu sein. Wir schaffen es, jeden noch so gepflegten Raum in kürzester Zeit in ein mittleres Chaos zu verwandeln, indem wir unsere Wäscheleine quer durchs Zimmer spannen, um unsere Sachen zu trocknen und das nasse Zelt ausbreiten.
Über die interessante Stadt Glasgow – wo wir in einem Hostel ein gigantisches schottisches Frühstück genießen, dass uns bis zum Mittag wie ein Stein im Bauch liegt – geht es weiter nach Norden am Loch Lomond vorbei. Trotz des mehr als wechselhaften Wetters haben wir im Trossachs/Queen Elisabeth Nationalpark Glück und fahren relativ trocken und mit stundenweisem Sonnenschein an wunderschönen Seen entlang durch die herrliche Bergwelt, nachdem wir zuvor einen kompletten Regentag im Zelt ausgesessen haben. Die Landschaft erinnert mit ihren dichten Nadelwäldern teilweise an den Schwarzwald.
Das Städtchen Pitlochry ist das Tor zu den Highlands. Zufällig finden gerade während unserer Durchreise hier „Highland Games“ statt. Bei diesen traditionellen Festen im Spätsommer gibt es nicht nur Wettbewerbe im Baumstamm-Weitwurf oder Tauziehen. Wir erleben auch einen Umzug von Pipes and Drums Bands, die in ihren schönen Kilt-Trachten mit Dudelsack, Trommeln und Pfeifen schottische Marschmusik spielen und durch die Hauptstraße von Pitlochry ziehen.
Unsere Route geht an vielen Schlössern, Burgen und Landsitzen vorbei. Noch mehr als diese prächtigen Gemäuer gefallen uns die schlichten, kleinen Häuser in den Dörfern, die entweder weiß verputzt oder aus rohem Granitstein gebaut sind. Die tief gezogenen Dächer, Erker und Gauben geben ihnen ein sehr gemütliches Aussehen. Neben den Supermärkten gibt es noch viele kleine Tante Emma-Läden mit Schaufenstern und Ladenschildern wie aus dem letzten Jahrhundert.
Zwei Tage radeln wir durch das Highland mit seinen einsamen Hochmooren, Lochs und Glens. Unsere Route führt über mehrere Passhöhen. Ab ca. 350 m Höhe über dem Meer ist bereits die Waldgrenze erreicht. Die Berghänge sind teilweise völlig bedeckt mit lila blühender Heide, ein herrlicher Anblick. Nördlich von Pitlochry haben wir ausnahmsweise mal wieder Glück mit dem Wetter und sehen die Berge in der Sonne leuchten. Aber das Regenwetter dominiert weiterhin unsere Tour. Wir passen unsere Etappen dem Wetterbericht an und fahren in nur drei Tagen mit vielen Steigungen rund 285 Kilometer, um die Zeit bis zur nächsten Regenphase effizient zu nutzen. Die dunklen Regenwolken sitzen uns immer im Nacken. In Inverness kommen wir an die Ostküste und der nördlichste Punkte unserer Tour ist nach 4654 Kilometern erreicht. Inverness ist die größte Stadt im Norden Schottlands, das Stadtzentrum ist aber sehr überschaubar. Bei Kälte und Regen flüchten wir uns dann auch bald in ein warmes Café.
Unsere weitere Route führt uns nun nach Westen entlang der Küste. Ein guter Rückenwind aus Nordwest schiebt uns voran, aber er bringt noch kühlere Temperaturen und vor allem weiteren Regen. An einem Tag hält uns Dauerregen bis mittags im Zelt fest, danach ist es zwar weitgehend trocken, doch müssen wir durch richtigen Seen auf den teilweise gefluteten Straßen fahren. Die Wasserflächen sind so tief, dass wir Schuhe und Strümpfe ausziehen, um zu vermeiden, dass uns das Wasser beim Kurbeln von oben in die Schuhe läuft. Die Küste ist hier zwischen den Orten Ellgin und Banff jedoch sehr schön: winzige Fischerdörfer liegen geduckt in geschützten Buchten, Sandstrände und zerklüftete Steilküsten wechseln einander ab.
Bei Banff verlässt unsere Route die Küste und wendet sich nach Süden. Wir radeln auf einspurigen Sträßchen über endlose „rolling hills“ bergauf und bergab vorbei an Weiden und großen Feldern, auf denen noch der Weizen und Hafer steht. Neben dem sehr angenehmen Rückenwind macht sich jetzt aber auch unsere doch ganz gute Kondition bemerkbar. Wir erklimmen die zahlreichen Hügel mit recht wenig Mühe. Zahlreiche Regenschauer zwingen uns weiterhin in unsere Regenkleidung, unsere Radlerpausen fallen wegen Nässe und Kälte sehr kurz aus. Allerdings beschert uns das Wetter auch jeden Tag mehrere Regenbögen. Und wenn dann doch einmal für eine Stunde die Sonne heraus kommt, freuen sich die Schotten wie Schneekönige und versichern uns es sei „a lovely sunny day“.
In Aberdeen flüchten wir für zwei Tage vor dem Regen in ein Hotelzimmer, waschen nach zehn Tagen endlich unsere müffelige Wäsche und genießen den Luxus einer trockenen, warmen Behausung. Hier endet unsere Radtour über den Eurovelo 1, auf dem wir ab Plymouth gefahren sind. Die nächsten 600 Kilometer werden wir über den Nordseeküstenradweg nach Newcastle radeln, dessen Route zwischen Inverness und Aberdeen auch vom Eurovelo 1 genutzt wird.