Bis nach Zamora sind es 77 Kilometer zu strampeln, die erste Hälfte stramm gegen der Wind. Rechts und links der Straße endlose Felder. Da hilft es, auf Autopilot zu schalten und die Gedanken auf Reise zu schicken. Und bloß nicht dauernd auf den Tacho schielen, der erbarmungslos anzeigt, wie langsam wir trotz anstrengendem Treten vorankommen. Nachmittags biegen wir auf eine kleinere Straße ab. Es gibt jetzt etliche Hügel, aber der Wind kommt nun nicht mehr frontal von vorne. Die Felder malen geometrische Muster in die weite Landschaft: Pastellgrün oder bereits goldgelb ist das Getreide. Die schon abgeernteten und gepflügten Flächen leuchten in Rot oder Ockerbraun. Dazwischen stehen dunkelgrün vereinzelte Baumreihen. Über allem spannt sich der weite hellblaue Himmel. Es ist, als würden wir über eine riesige Farbpalette radeln.
Gegen 16.00 Uhr erreichen wir unser simples Hostel, die Räder übernachten bei uns auf dem Zimmer in der dritten Etage, Olaf darf sie hochschleppen, da sie auch nicht hochkant in den winzigen Aufzug passen. Wir erkunden die Altstadt sowie die mittelalterliche Zitadelle und Kathedrale. Abends füllen sich die am Nachmittag ausgestorbenen Straßen wieder, es ist richtig viel los. Die Cafeterias sind voll, überall wird geschwatzt, getrunken und gegessen. Auch die Kleinkinder turnen noch spät munter durch die Gegend.
Wir genießen den Trubel, auch wenn wir kein Wort Spanisch verstehen. Unsere mehr als rudimentären Sprachkenntnisse führen oft zu lustigen Situationen. Einmal z. B. fragt uns ein Radfahrer im Vorbeifahren, wohin wir wollen und Olaf antwortet mit einem herzhaften “ Gracias“. Mister Bean läßt grüßen….
Auch der nächste Tag führt uns fast 90 Kilometer durch weite Ackerfluren. Der Wind ist gnädiger als gestern, wir kommen gut voran. Da ist auch wieder eine Stunde Siesta mit cafe con leche auf der Plaza Major in irgendeinem namenlosen Ort drin. Total tiefenentspannt hängen wir dort ab, sehen Schwalben und Störchen zu und genießen mal wieder unser herrliches Radlerdasein. Hier im Süden ist das Leben so herrlich leicht: Jeden Tag scheint die Sonne, alle 10 Kilometer gibt es eine Cafeteria, die Straßen sind praktisch ohne Verkehr. Campingplätze gibt es in dieser touristenfreien Gegend nicht, dafür preiswerte kleine Hotels. Wunderbar. Am späten Nachmittag kommen wir in Medina de Rioseco an, nehmen ein Zimmer in einem Hostal und bummeln abends noch durch die sehr belebten Straßen.
Von Medina aus führt der Eurovelo 1 am Canal de Castilla entlang. Anfangs ist der Schotterweg sehr gut und es geht sehr schön durch den dichten Schatten der Pappeln immer direkt am kühlen Wasser vorbei. Doch bald rutschen wir nur noch über holprigen, groben Schotter, das Ganze ist äußerst mühsam und irgendwann wechseln wir auf die Straße. Noch immer radeln wir durch endlose Felder der zentral spanischen Hochebene, der Meseta. Auch an diesem Abend landen wir nach 90 Kilometern in einem kleinen Hotel, das sehr nett am historischen Dorfplatz liegt. Direkt gegenüber steht natürlich die Kirche, auf deren Turm zahlreiche Störche in mehreren Etagen übereinander nisten.
Rasch ist am nächsten Tag Fromista erreicht, wo der Eurovelo 1 auf den Camino de Santiago, den Jacobsweg, trifft. Und es ist wirklich der Wahnsinn, was hier los ist. Ganze Scharen von Wanderern strömen uns entgegen, wir müssen regelrecht Slalom um sie herum fahren.
Alle Altersklassen sind vertreten, aber überwiegend sind es ältere Leute. Manche schleppen riesige Rucksäcke, was erstaunlich ist, übernachten die Wanderer doch in Herbergen und Proviant auf Vorrat braucht man hier auch nicht. Sehr viele haben aber nur einen Tagesrucksack mit und lassen ihr Gepäck per Shuttlebus transportieren. Manche haben sich als Schutz gegen die Wärme mit Handschuhen, Kopftuch und Hut sowie Mundschutz vollkommen verhüllt, was wir trotz der über 30 Grad etwas übertrieben finden. Man hört Spanisch, Französisch, Englisch und Deutsch, überraschend ist die große Anzahl Asiaten. Wie eine Ameisenstraße zieht sich der Pilgerstrom über den Camino.
Die Landschaft wird nun endlich abwechslungsreicher, die große Hochebene ist durchquert, wir sind in Castilien und es wird sehr hügelig. Auf den 911 m hohen Tafelberg Alto de Mostellares geht es sogar mit 18 % extrem steil hoch und auf der anderen Seite über Schotter ebenso steil nach unten. Als Belohnung für die Plackerei genießen wir einen herrlichen Ausblick, auch auf den sehr schönen Ort Castrojeriz, wo wir Mittagsrast halten. Urige kleine Bruchsteinhäuser säumen die schmalen Gassen, die sich steil am Berg entlangziehen, oben thront natürlich ein Castillo. Die Orte am Wegrand haben sich vollkommen auf den Pilgertourismus eingestellt. Überall gibt es Herbergen, Lokale und Rastplätze.
Uns wird das Auf und Ab auf den Schotterwegen ein bisschen zu viel und wir weichen auf die nahegelegen Alternativrouten auf der Straße aus. Sehr schön geht es mit vielen Steigungen und langen Abfahrten durch die hügelige Landschaft, große Felder sind blutrot von Mohnblumen. Nach fast 100 Kilometern rollen wir abends mit etwas lahmen Beinen in Burgos auf den Campingplatz. Hier werden wir einen Tag bleiben, entlang der schattigen Flußpromenade schlendern, die schöne Altstadt und vor allem die riesige gotische Kathedrale mit ihren prachtvollen Türmen und Fassaden bewundern.
Von Burgos aus fahren wir über die verkehrsreiche Nationalstraße nach Osten. Gott sei Dank gibt es einen breiten Seitenstreifen und die spanischen Autofahrer überholen uns langsame Radler ja in der Regel mit sehr großen Abstand, sonst wäre der starke Schwerstlastverkehr wirklich nicht ungefährlich. So sind die vorbeidonnernden LKW nur lästig. Es geht gut bergauf bis auf den 1150 m hohen Pass Puerto de la Petraja, danach rollen wir für drei Kilometer mit 6 % bergab, mit gut angezogenen Bremsen, um nicht den LKWs hinter uns in die Quere zu kommen. Die Landschaft wird stetig grüner, es gibt Waldstücke und kleine Flüsse, die sogar Wasser führen. Auch hinter Villafranka rollen wir überwiegend bergab, von ein paar kleinen Steigungen abgesehen. Allerdings folgen wir, wie zahlreiche andere Radler auch, nicht dem offiziellen Radweg, der über die Berge im Zickzack und ständigem Auf und Ab führt, sondern bleiben weiter auf der Nationalstraße. Große Weinberge entlang der Hügel säumen nun die Straße, die Provinz Rioja ist weltberühmt für ihre Rotweine.
Nett ist das Städtchen Santo Domingo, mit seiner mächtigen Kathedrale und den schönen Altstadtgassen. In den Cafes sitzen Caminopilger aus allen Nationen. Wir lauschen den auf englisch geführten Gesprächen, die sich um das Leben auf dem Wanderweg drehen, und fast bekomme ich etwas Heimweh nach der Hikercommunity auf dem Continental Divide Trail im letzten Jahr. Hier ist eine in Ansätzen ähnliche Atmosphäre wie in den Trailtowns im Westen der USA. Allerdings ist der Camino als Wanderroute bei weitem nicht so reizvoll, läuft man doch ständig durch mehr oder weniger besiedelte Gegend und auf breiten Schotterwegen. Das lange Stück von Burgos bis Pamplona geht z. B. meist sehr dicht entlang der Nationalstraße oder der Autobahn. Bei der Routenwahl stand ja früher bei einem Pilgerweg nicht die landschaftlich reizvolle Strecke, sondern ein möglichst gut gehbarer und (im Mittelalter) sicherer Weg für die frommen Wandersleute an vorderster Stelle.
Wir beenden die Etappe nach 95 Kilometern in Najera. Hier übernachten wir auf einem winzigen Campingplatz, der sehr originell in der ehemaligen Stierkampfarena des Städtchens liegt.
Der Weg am nächsten Tag bis Estella in der Provinz Navara ist 87 Kilometer lang und führt uns durch viele schöne mittelalterliche Orte, man hat oft den Eindruck in einer Filmkulisse für einen Hollywood-Ritterfilm zu sein. Navarrete und Viana sind wunderschöne Städtchen, immer spektakulär hoch oben auf dem Bergrücken gelegen.
Wir fahren wieder auf der Nationalstraße, die aber nun dank der nahen Autobahn fast verkehrsfrei ist. Sie führt uns streckenweise hoch in die Berge, mit knackigen und sehr schweißtreibenden Anstiegen, aber auch wunderbaren Abfahrten, bei denen man das Rad rollen lassen und den kühlenden Wind genießen kann. Am Nachmittag ziehen sich die Wolken immer mehr zusammen, es wird drückend und als wir in Estella ankommen hören wir Gewittergrummeln, es regnet sogar für ca. 10 Minuten. Danach kühlt die Luft sehr deutlich ab und wir sitzen erstmals seit drei Wochen abends leicht fröstelnd mit Jacke vor dem Zelt.
Nachts regnet es dann heftig und es hört am anderen Tag erst gegen Mittag auf. Das Thermometer zeigt nur noch schlappe 14 Grad. Aber wir sind ja ganz entspannte Reisende und leisten es uns, einfach einen Tag länger in Estella zu bleiben, in einer Cafeteria abzuhängen und besseres Wetter abzuwarten.
Am nächsten Morgen stehen wir schon um 6.00 Uhr auf, weil Sturm angekündigt ist. Mittags machen wir Stadtbummel in Pamplona und radeln Richtung Pyrenäen, wobei uns der Sturm das Tal hoch schiebt.
Toller Bericht!