Kurz hinter Tan-Tan biegen wir am 11. Mai von der N1 ab und steuern den nur über eine Piste zu erreichenden Camping Ksar Tafnidilt an, wo wir bereits vor unserem Abstecher in die Westsahara übernachtet haben und es uns so gut gefallen hat. Außer uns steht jedoch dieses Mal ein weiterer VW-T6 hier. Paul und Madelon aus den Niederlanden sind ein ungemein nettes Paar, etwa in unserem Alter und auch ähnlich reiselustig. Es ist immer sehr schön, unterwegs auf Leute zu treffen, die genauso ticken wie wir. Und so vergeht die Zeit wie im Flug bei einem regen Gedankenaustausch – vielen Dank an Euch, Paul und Madelon, für den guten Kaffee und den schönen Vormittag.
Unser nächstes Ziel ist die Oase Amtoudi. Die Straße N 1 führt von der Küste fort, es wird endlich wieder hügeliger und ab und zu gibt es nun auch wieder ein paar größere Sträucher oder sogar vereinzelte Bäume. Wir kommen durch die Stadt Guelmin, die früher berühmt war für den größten Kamelmarkt in Nordafrika. Der hat aber heute seine Bedeutung verloren, weil die Dromedare als Nutztiere kaum noch gebraucht werden. Durch den Westsahara-Konflikt in den 1970er Jahren sind viele Nomaden zwangsweise sesshaft geworden und Karawanen ziehen schon lange nicht mehr durch die Wüste. Dromedare transportieren oder nur noch Touristen oder landen im Kochtopf. In Guelmin gibt es im Gegensatz zu den sonst üblichen Souks oder Tante-Emma-Läden auch einen großen Diskounter weit draußen vor der Stadt. Marjane ist die einzige Supermarktkette, die auch im Süden vertreten ist und im Besitz des marokkanischen Königs, der so den kleinen Einzelhändlern Konkurrenz macht. Die Läden sind aber gähnend leer, außer den Wohnmobiltouristen und ein paar wohlhabenden Einheimischen kauft hier keiner ein.
Bis nach Amtoudi führt uns dann eine schmale Straße in die einsame Gebirgswelt des Anti-Atlas. In den Tälern sehen wir nun häufiger Palmen, die roten Granitberge sind natürlich kahl, haben aber oft phantastische, wellenartige Gesteinsformationen. Der winzige Ort Amtoudi liegt malerisch in einer Palmenoase, hier endet die Straße in einem engen Tal. Zu beiden Seiten steigen die Felswände steil empor. Wie Adlerhorste wachen auf Felsvorsprüngen zwei mächtige Agadire über das Dorf. In diesen 900 Jahre alten Speicherburgen wurden nicht nur Vorräte aufbewahrt, sondern auch alle Wertgegenstände des jeweiligen Berberstammes. Außerdem dienten sie als Zufluchtsort bei Überfällen. Wir unternehmen zunächst eine Wanderung in das enge Tal hinter den Agadiren. Erst geht es sehr idyllisch an schmalen Bewässerungskanälen durch den dichten Palmenhain, fast wie ein Urwald. Dann verengt sich das Tal zu einer phantastischen Schlucht mit senkrechten Felswänden von ca. 200 Metern Höhe, meist laufen wir über das Bett des trockenen Bachlaufs. Ab und zu kommt der Bach wieder ans Tageslicht und bildet kleine Tümpel, umstanden von Oleander, Arganienbäumen und Palmen. Diese Minioasen mitten zwischen den schroffen, roten Granitwänden sind äußerst fotogen und Olaf startet eine wahre Fotoorgie. Das Gequake der Frösche und Vogelgezwitscher wird von den Felswänden laut reflektiert, ein merkwürdiges Konzert. Schließlich versperren Felsstürze den Weg, wir dürfen etwas klettern und werden dafür im oberen Teil der Schlucht mit herrlichen Gumpen überrascht, die der Bach in die Felsen gewaschen hat und in denen man wunderbar zusammen mit den dort lebenden Fischen schwimmen kann.
Sehr schön ist auch am nächsten Tag eine vierstündige Wanderungen zu den Agadiren über die Berge. Auf schmalen, felsigen Pfaden geht es zunächst 200 Höhenmeter hinauf zum großen Agadir Id Aissa, den wir auch von innen besichtigen. Gebaut aus Bruchsteinen ist er von der Umgebung kaum zu unterscheiden. Von hier oben reicht der Blick weit ins Land, der Felsen geht senkrecht nach unten und dürfte wohl uneinnehmbar gewesen sein. In mehreren Stockwerken sind würfelförmig übereinander Vorratsspeicher, Wohnräume und Ställe untergebracht. Drei tiefe Zisternen sicherten die Wasserversorgung. Unser Pfad führt uns dann in einigem Auf und Ab weit über den Höhenkamm. Hier oben wachsen nur sehr große, kugelförmige Kakteen mit extrem langen Stacheln. Schließlich geht es an der Felswand der Schlucht entlang, mit schönem Blick auf die Oase, zum zweiten Agadir, der deutlich kleiner, aber nicht minder eindrucksvoll ist, und dann wieder hinunter ins Tal. Amtoudi ist wirklich eine märchenhafte Idylle, fast wie eine Filmkulisse, und damit natürlich Ziel vieler Touristen. Doch erstaunlicherweise sind der Ort und seine Einwohner dadurch bisher nicht beeinflusst worden. Es gibt keine Andenkenläden, selbst ernannte Fremdenführer oder bettelnden Kinder. Im Gegenteil, die Einheimischen sind so höflich-freundlich wie sonst überall auf dem Land.
Uns beschäftigen aber dann doch zunehmend andere Dinge. Immer alarmierender werden die Nachrichten, die uns über das Internet zur Coronavirus-Epidemie erreichen. Die ganze Welt ist mittlerweile betroffen, besonders nun aber Europa. Wir treffen eine italienische Familie, die über eine frühzeitige Rückreise nachdenkt. Sollen wir auch den Heimweg antreten? Vor allem sorgen wir uns um unsere ja schon etwas älteren Mütter. Zunächst scheint es dann so, als ob uns die Entscheidung abgenommen wird. Aus der Webseite des deutschen Botschaft in Rabat erfahren wir, dass ab 15. bis zunächst 31. März sämtliche Fährverbindungen zwischen Marokko und Europa eingestellt sind, auch Flüge nach Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es nicht mehr. Auch die Grenzen von Spanien, Frankreich und sogar nun auch Deutschland sind geschlossen. Dann lesen wir aber auf den Webseiten der Fährbetreiber, dass der Schiffsverkehr doch aufrechterhalten wird. Widersprüchliche Informationen, wir sind ziemlich verunsichert und wissen nicht, was wir tun sollen.
Zunächst setzen wir aber unsere Reise fort. Die weitere Fahrt bringt uns auf der Straße R107 quer durch den Anti-Atlas nach Izerbi und dann nach Tafraoute. Anfangs ist das Flusstal, dem wir folgen, noch relativ breit. Das Gebirge ist keine Idylle, wer blühende Bergwiesen und rauschende Tannenwälder liebt, wird dieser steinigen, rauhen Gegend, die oft eher dem Mars oder Mond ähnelt, nichts abgewinnen können. Doch uns fasziniert gerade die Kargheit der Granitberge mit ihren bizarren Gesteinsformationen, Umso beeindruckender ist der Kontrast zu den dunkelgrünen Palmenoasen und den winzigen Orten, die im Talgrund liegen. Je weiter sich die Straße in die Berge hochschlängelt, desto enger rücken die Talwände zusammen. Senkrecht ragen die leuchtend roten Felswände mehrere hundert Meter empor. Schließlich führt die Straße aus der atemberaubenden Schlucht über viele Serpentinen hinaus und über eine kahle Hochfläche, um sich dann wieder in vielen Kurven hinunter in die Hochebene von Tafraoute zu winden. Um Tafraoute herum gibt es tolle einzelstehende Felsen, auch sind große rund geschliffene Brocken in der Ebene verstreut, als ob ein Riese mit Murmeln gespielt hätte. Eine wirklich epische Landschaft und eine phantastische Strecke, mit Sicherheit einer der Höhepunkte unserer bisherigen Tour.
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Wegen der sich stetig verschärfenden Lage in Deutschland beschließen wir am nächsten Tag unsere Reise abzubrechen. In Tafraoute suchen wir daher zunächst die Gendarmerie Royale auf, um verlässliche Informationen über die Ausreisemöglichkeiten zu bekommen. Es bestätigt sich, dass momentan die Grenze zu ist. Da nützt es uns auch nichts, dass die Fähren zwischen der spanischen Exklave Ceuta und Algeciras noch verkehren, weil ja auch der Grenzübergang nach Ceuta geschlossen ist. Es heißt, die Bundesregierung würde über eine Lösung für die Ausreise von Touristen verhandeln. Also müssen wir bis auf weiteres doch im Land bleiben.
Olaf geht anschließend erst einmal zum Friseur. Und ich dachte immer, dass nur Frauen so etwas machen, um sich in Krisenzeiten abzulenken, quasi als Ersatzhandlung zum angeblich genetisch bedingten zwangshaften Einkauf von Schuhen. Habe mich wohl geirrt. Jedenfalls sind die Haare danach so kurz, dass der nächste Friseurbesuch erst in ca. 6 Monaten fällig wird. Tafraoute ist eine nette Kleinstadt mit vielen Touristen, so gibt es hier natürlich zahlreiche Cafés in denen man sehr entspannt sitzen kann. Nachmittags fahren wir in das südlich der Stadt gelegene Ait Mansour. Dachten wir gestern noch, die Schönheit der Landschaft sei nicht mehr zu übertreffen, werden wir hier eines besseren belehrt. Das Tal erreichen wir nach 30 Kilometern Fahrt durch wüstenartiges Bergland. Es ist eine sehr enge Schlucht, durch die sich in vielen Kurven eine einspurige Straße an einem Bach entlang und durch einen urwaldartigen dichten Palmenwald schlängelt. Ab und zu ist auch Platz für eine Handvoll Häuser, die dann schon teilweise in die mehrere hundert Meter senkrecht aufragenden roten Felswände gebaut sind. Wir lassen das Auto stehen und gehen absolut fasziniert ein ganzes Stück zu Fuß durch diese märchenhafte Oase. Nach ca. 25 Kilometern endet das Tal, der Bach verschwindet und schon befinden wir uns wieder in der kahlen Schotterwüste des Anti-Atlas. Mitten im Nirgendwo stellen wir den Bus für die Nacht ab. In der stockfinsteren, klaren Nacht leuchten die Sterne besonders schön.
Beim Frühstück lesen wir in den Mitteilungen des Auswärtigen Amtes, dass die Grenze nach Ceuta offen ist. Also fahren wir durch ein weiteres, sehr schönes Felsental nach Tafraoute zurück, um ein Ticket für die Fähre zu buchen und es uns dort in einem Hotel ausdrucken zu lassen. Wenn alles klappt, werden wir also in einigen Tagen auf dem Schiff sein. Wir sind ziemlich traurig, dass wir nicht weiter durch dieses herrliche Land reisen können.