Anchorage – oder „Geduld du haben musst“ (7.9.  – 15.9.2022, 300 km)

In Geduld haben wir uns ja in Halifax schon üben müssen. Nachdem wir nun den Pazifik erreicht und damit den Kontinent gequert haben, wiederholt sich das Spiel. Grund ist unsere defekte Standheizung.

Anchorage – wir sind am Pazifik (Kartengrundlage: Milepost)

Tag 1

In Anchorage geht es am 7.9. mittags direkt zu Alaska Campervan Conversions, der Werkstatt von Charly Reynolds. Fast vier Stunden bemühen sich ein Mitarbeiter und schließlich der Chef persönlich um unsere Heizung. Der bei Travis Duft von Advance Diesel Service gekaufte Filter wird eingebaut, das Wellrohr um die Benzinleitung entfernt, die gesamte Benzinzufuhr gesäubert und die Benzinzufuhr vom Tank abgekoppelt und testweise aus einem Behälter entnommen.  Zwischendurch telefoniert Charly mehrfach mit Travis und der für Nordamerika zuständigen Vertretung für Eberspächer Heizungen. Kurzum – man tut alles, was möglich ist. Leider vergeblich.

Advance Diesel Service

Gemeinsam beschließen wir, morgen früh die Heizung durch Charly ausbauen zu lassen und zu Travis zu bringen, weil nur er die notwendigen Messgeräte hat, um die Heizung auf einem Prüfstand zu checken. Charly stimmt auch das mit Travis ab. Und als wir fragen, was wir für seine Arbeit zahlen dürfen, lächelt er nur.  Das ist unglaublich. Klar freuen wir uns darüber, viel Geld gespart zu haben. Was uns aber viel mehr berührt, ist das ehrliche Bemühen, wirklich alles zu tun, um uns zu helfen.

Tag 2

Kostenlose Stellplätze sind rar in Anchorage, seitdem Walmart die Übernachtung auf seinen Parkplätzen im Stadtgebiet verboten hat. Doch im Süden von Anchorage gibt es den Jagd- und Angelausrüster Cabela’s, dessen Parkplatz nun zum Treffpunkt der Overlander geworden ist. Dort verbringen wir eine kurze Nacht. Zum einen ist es nicht gerade ruhig. Wir hören die Eisenbahn und einige Camper mit riesengroßen Fahrzeugen lassen ihre Kompressoren dröhnen. In der Hinsicht ist man hier ziemlich schmerzfrei. Zum anderen klingelt um 5.30 Uhr schon unser Wecker, denn wir müssen um 7.00 Uhr bei Charly sein. Da sagt noch einer, eine Reise sei der reinste Urlaub. Nach dem Ausbau geben wir bei Travis unsere Heizung mit zugehöriger Benzinpumpe ab und haben für den Rest des Tages frei. Bis mittags hängen wir in einer sehr komfortablen Laundry zum Wäsche waschen und nutzen ausgiebig das kostenlose Internet der Laundry. Anschließend geht’s zum Duschen in ein Freizeitzentrum. Endlich macht der Dauerregen eine Pause. Zeit für einen Spaziergang durch den Earthquake Park am Meer. Anchorage wurde 1964 bei einem sehr starken Erdbeben schwer zerstört. Im Park kann man sehr gut die dadurch verursachten Bodenverwerfungen sehen. Das vor dem Beben ebene Gelände sieht nun aus wie eine BMX-Bahn mit ein bis zwei Meter hohen, wellenförmigen Hügeln. Beängstigend und beeindruckend zugleich.

Blick auf die Innenstadt vom Earthquake Park

Bei Starbucks gibt es neben der bräunlich-warmen Brühe, Kaffee möchte man es nicht nennen, auch Wifi – wir haben immer noch keine SIM-Karte für die Staaten. Travis teilt uns per Mail mit, dass die Software der Heizungssteuerung nicht kompatibel zur Pumpe sei. Ggf. kann er das mit Hilfe der Eberspächer Vertretung Nordamerika (ESPAR) neu programmieren. Morgen geht die unendliche Geschichte also weiter. Abends stehen wir wieder im strömenden Regen bei Cabela’s.

Tag 3

Auch der nächste Tag bringt nichts Neues. Dauerregen und die Meldung von Travis, dass er dabei ist die Steuerung neu zu programmieren. Immerhin muss das Gerät nicht per Post zur Zentrale nach Minnesota geschickt zu werden. Bei REI, einer großen Outdoorausrüstungskette, kaufen wir eine neue Liegematte für mich. Die alte Matte hat eine Blase gebildet, die täglich größer wird. Außerdem erwerben wir für 55 Dollar eine SIM-Karte von GCI-Mobile, die mit Olafs Handy kompatibel ist, endlich sind wir auch ohne WiFi erreichbar und können einfacher mit Travis und Charly kommunizieren.  Ansonsten hängen wir im Auto ab und übernachten wieder mit ca. 30 anderen RV auf dem Parkplatz von Cabela’s. Wenigstens gehen heute ab 22.00 Uhr die Generatoren unserer Nachbarn aus.

Autostadt Anchorage – Hauptstraße in Downtown

Tag 4

Schon ist Samstag – und ewig grüßt das Murmeltier. Travis meldet, dass die Heizung trotz Software-Update nicht fehlerfrei läuft. Sie arbeitet nur mit einem Viertel ihrer Kapazität. Er ist mit seinem Latein am Ende. Jetzt will er am Montag wieder mit der Nordamerika-Zentrale ESPAR von Eberspächer telefonieren. Wir sprechen mit CustomCamper in Warendorf, der die Heizung eingebaut hat, um ggf. das ganze Gerät auf Garantie austauschen zu können. Dort will man ebenfalls am Montag mit Eberspächer in Deutschland reden. 

Endlich gutes Brot – dank der Bakery Fire Island

Doch es geschieht doch noch ein Wunder. Nicht mit der Heizung, nein: Der Dauerregen ist vorüber. Herrlich blauer Himmel und milde 15 Grad sind wie Balsam für unsere Nerven. Und um unser Glück komplett zu machen, entdeckt Olaf auf TripAdvisor eine Bäckerei in Anchorage mit richtigem Brot. Fire Island Rustic Bakeshop in der Innenstadt ist auch ein Café, wo man sogar  sehr schön draußen sitzen kann. Der Laden ist rappelvoll. Und es gibt wirklich tolles, dunkles Brot. Ganz frisch und einfach köstlich, genau wie die Blaubeer-Rhabarber-Scones. Allerdings mit bis zu 14 Dollar fürs Brot und 4,90 Dollar für ein Scone auch ziemlich teuer, aber genau das, wonach wir uns seit Halifax sehnen.

Blick vom Rendezvous Peak

Gut gerüstet begeben wir uns auf eine kleine Bergtour. Der Rendezvous Peak, 1246 Meter über Anchorage, ist unser Ziel. Bis auf ca. 800 Meter Höhe fahren wir über die Arctic Valley Road bis zum Parkplatz am Ende der Straße. Die restlichen Höhenmeter wandern wir schön über einen Kamm sehr steil bergauf mit tollen Fernblicken über das Meer bzw. auf die verschneiten Gipfel der Chugach Mountains. Ein kalter Wind fegt hier oben, trotzdem können wir an geschützten Stellen wunderbar im Heidekraut liegen, Sonne, Kuchen und Tee genießen.  Ahh… das tut unendlich gut nach dem Rumhängen im Auto und Stadtlärm. Bee(ä)ren gibt es hier auch, in Blau, Braun und Schwarz. Verrückt, wir sind gerade mal 15 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Unser Parkplatz erweist sich auch als ein wunderbarer Stellplatz für die Nacht. Also bleiben wir hier oben. Endlich wieder in der Natur und Ruhe.

Chugach Mountains

Tag 5

Den nächsten Tag, ein Sonntag, es regnet mal wieder, verbringen wir bis nachmittags im Auto. Dann halten wir es nicht mehr aus und fahren in die Innenstadt. Laufen im Nieselregen durch die öden Straßen. Die zufällige Reihung von Bürogebäuden, Parkhäusern und Malls, aufgelockert durch als Parkplatz genutzte Freiflächen, ist furchtbar trist. Immerhin ist es hier wärmer als in den Bergen und bei McDonald’s gibt’s Wifi und labbrige, weiße Pommes. So tief sind wir schon gesunken. Abends geht es wieder über die Arctic Valley Road hinauf in die Berge. Kurz vor unserem Stammplatz sehen wir auf der Straße eine Schwarzbären-Mutter mit drei süßen kleinen Jungen, das Highlight des Tages.

Tag 6

Montag gibt es noch immer keinen Fortschritt mit unserer Heizung. Immerhin hat sich jetzt der Eberspächer Mitarbeiter in Deutschland, mit dem wir inzwischen Mailverkehr haben, mit seinem Kollegen in USA kurz geschlossen – nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Also heißt es weiter „Geduld du haben musst“.

Wir fahren an Meer zum Earthquake Park und laufen ca. zwei Stunden, in denen es mal nicht regnet, an der Küste lang bis zu einem Aussichtspunkt an einer Klippe. Bei klarem Wetter könnten wir von hier sogar den Denali sehen. Uns bleibt nur der Blick über die Bucht hinüber zur Stadt und auf die von Wolken verhangenen Berge. Es ist Ebbe und der Tidenhub ist mit 11 Metern hier so stark, dass der Strand aussieht wie am Wattenmeer unserer Nordsee. Eigentlich ganz nett hier, wären da nicht die Flugzeuge, die über uns hinweg dröhnen. Denn direkt in der Nähe liegt der internationale Flughafen von Anchorage. Trotz des Fluglärms leben auch hier Bären und Elche mitten im Naherholungsgebiet. Unmittelbar neben dem Fußweg steht eine Elchkuh. Abends fahren wir zum Übernachten mal wieder zu Cabela’s. Es geht quer durch das Stadtgebiet, dass uns nun schon vertraut ist.

Da wir nun schon so oft in Anchorage herum gefahren sind, fallen uns immer mehr Details auf. Offensichtlich ist für uns der doch ziemlich geringe durchschnittliche Lebensstandard. Natürlich gibt es auch schicke Villenviertel an den Berghängen der Chugach Mountains und zu deren Füßen am Stadtrand die Mittelschicht-Siedlungen mit sterilen Standard-Fertighäusern.

Typisches Einfamilienhaus in Downtown

Aber in den einfacheren Wohngebieten in Downtown zwischen den Einkaufszentren und Gewerbeflächen ähneln die simplen Spanholz-Gebäude eher Schrebergartenhäusern oder Baracken, häufig umgeben von jeder Menge ausrangiertem Krempel. An den Kreuzungen der Hauptstraßen sehen wir häufig Bettler stehen. Meist ältere Inuit, die im Rollstuhl sitzen und von den haltenden Fahrzeugen einen Dollar erbitten. Auch sehen wir auffallend viele Obdachlose. Wie mögen sie Alaskas kalten, langen Winter überleben? Und selbst wirklich gebrechliche, alte Menschen müssen oft noch arbeiten. So wie die Serviceleute bei Walmart, die am Eingang jeden Kunden rührend freundlich begrüßen und verabschieden oder an der Kasse die Einkäufe einpacken. Irgendwie geht es uns im alten Germany mit seinen umfangreichen Sozialsystemen vergleichsweise doch sehr viel besser. Da ist ein Blick über den Tellerrand sehr erhellend.

Einfache Mietwohnungen in Downtown

Tag 7

Wir verbringen einen weiteren Tag in der fast wohnlichen Stadtbücherei mit sehr gutem WiFi. Blöd, dass wir sie erst kürzlich entdeckt haben. Und direkt nebenan gibt es sogar einen großen Bio-Supermarkt. Endlich kann Olaf sich hier ein Sixpack Eier kaufen. Bisher gab es überall nur Mindestmengen von 12 Stück oder mehr. Olaf vergnügt sich am Nachmittag wieder im Internet der Bücherei, während ich auf dem belebten Parkplatz Master Yodas Innenleben vom Dreck der vergangenen Wochen befreie. Ganz nebenher lerne ich andauernd nette Leute kennen, die mich ansprechen. Die Amis sind große Liebhaber des Smalltalk. Und wie immer ist auch heute wieder einer dabei, der von seiner Zeit als US-Soldat in Germany schwärmt und Deutschland in den höchsten Tönen lobt.

Schöner Wohnen auf Rädern

Abends lernen wir auf dem Cabela’s Parkplatz dann noch die Overlander-Veteranen John und Linda aus Homer kennen, die mit ihrem selbstgebauten Tinyhouse-Wohnmobil nach Mexiko unterwegs sind. Sie sind schon weit jenseits der 75 und seit über 40 Jahren auf allen Straßen der Welt unterwegs. Tolle Menschen trifft man auf einer Reise.

Tag 8

Seit über einer Woche hängen wir nun schon in Anchorage fest. Heute ist ausnahmsweise mal das Wetter schön. Gute Gelegenheit für einen mehrstündigen Spaziergang durch den unmittelbar am östlichen Stadtrand gelegenen Far North Bicentennial Park im Vorgebirge der Chugach Mountains. Im Park gibt es ein dichtes Wanderwegenetz, es ist quasi der Stadtwald von Anchorage. Also keine einsame Wildnis. Trotzdem ist hier jeder Besucher mit Bärenspray ausgerüstet! Es tut echt gut wieder draußen zu sein, ganz bunt sind die Wälder nun auch hier.

Far North Bicentennial Park – schöne Spazierwege am Stadtrand
Bärenwarnung im Stadtwald – für Europäer etwas ungewöhnlich

Am Parkplatz bietet eine etwas abgelegene Bank die gute Gelegenheit, Olaf mal wieder die Haare zu schneiden. Als Frisörumhang dient ein großer Müllsack, den wir unten aufschneiden. So passt der Kopf gut durch und die Kleidung bleibt frei von Haarschnipseln, auch wenn Olaf nun wie die Wurst in der Pelle steckt. Ein wohl etwas merkwürdiger Anblick, aber ich kann mich für solche unorthodox- praktischen Lösungen immer begeistern.

Wieder einmal entwerfen wir verschiedene Handlungsoptionen, um trotz defekter Heizung endlich die Fahrt fortsetzen zu können. Sogar die Mitnahme des defekten Gerätes nach Deutschland und den Austausch beim Hersteller ziehen wir in Betracht. Dann erreicht uns plötzlich eine Mail von Travis. Er hat mit einer neuen Steuereinheit (ECU) die Heizung wieder ans Laufen bekommen. Nun muss nur noch der Garantieanspruch mit Eberspächer geklärt werden. Was für eine Erleichterung!

Tag 9

Am 15.9. ist dann der große Tag gekommen. Wir holen unsere Heizung bei Travis ab. Eberspächer Deutschland hat uns hinsichtlich unseres Garantieanspruchs an die Zentrale von ESPAR in USA verwiesen, was wir merkwürdig finden. Leider verweigert die Nordamerika-Niederlassung von Eberspächer zunächst die Garantieleistung und will stattdessen die defekte ECU zur Prüfung und ggf. Reparatur zugeschickt bekommen. Das wäre wieder mit erheblichen Zeitaufwand und Versandkosten von 80 Dollar verbunden, die wir in jedem Fall selber zahlen müssten. Die Arbeitskosten von Travis will ESPAR auch nicht übernehmen. Wir nehmen die defekte Steuerung daher mit und werden versuchen, unseren Garantieanspruch mit Eberspächer Deutschland zu klären. Schließlich haben wir das Gerät ja auch dort gekauft. Vorerst kostet uns der Spaß bei Travis rund 600 Dollar. Und dabei haben wir noch großes Glück, dass er eine Steuerung auf Lager hatte und uns nur einen Bruchteil der geleisteten Stunden in Rechnung stellt. Die ECU kostet schon ca. 400 Dollar.

Alaska Campervan Conversions – in Charly’s Werkstatt wird die Heizung wieder eingebaut

Anschließend feiern wir im Café Fire Island bei Scones und Kaffee die erfolgreiche Reparatur unserer Heizung. Danach geht es zu Charly, dessen Jungs uns die Heizung wieder einbauen, dieses Mal auch mit korrekter Neigung der Pumpe, was noch ein paar Umbauten erfordert. CustomCamper hatte die Pumpe ohne die von Eberspächer vorgeschriebene Neigung von 15 Grad eingebaut. Im Rahmen der Fehlersuche wurde von allen Beteiligten, insbesondere Eberspächer darauf hingewiesen, dass die fehlende Neigung der Pumpe zu Problemen führen kann. Also montieren die Männer von Charlie noch auf die Schnelle ein Blech am Rahmen unseres Fahrzeugs, damit die vorgeschriebene Neigung eingehalten wird. Die gesamte Arbeit ist kostenfrei, einfach sagenhaft. Wir bedanken uns mit einem Beitrag für die Kaffeekasse der Mannschaft. Nachdem wir im Freizeitzentrum geduscht haben, sind wir bereit für die weitere Reise. Vorausgesetzt die Heizung besteht den Praxistest heute Abend auf dem Parkplatz bei Cabela’s, wo wir noch einmal übernachten.

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