Westweg von Basel nach Pforzheim – Tourbericht, Etappe Hausach – Pforzheim

Vom 26. August bis 7. September 2024 geht es auf den Westweg im Schwarzwald. Normalerweise läuft man die 286 km lange Wanderung von Nord nach Süd mit Start in Pforzheim. Ich starte jedoch am Endpunkt in Basel, nehme die Westvariante über den Feldberg nach Titisee und komme nach insgesamt 13 Tagen in Pforzheim an.

Route Westweg im Schwarzwald
Route Westweg im Schwarzwald – Westvariante

Zu der eigentlichen Wanderstrecke kommen natürlich immer ein paar Extra-Kilometer, z.B. durch Umleitungen wegen Forstarbeiten, kleine Abstecher, Umwege durch Verpassen der „richtigen“ Abzweigung (sehr beliebt) oder zum Einkaufen. Insgesamt liegen am Ziel dann wunderbare 329 km hinter mir.

Der zweite Teil meines Tourberichts umfasst die 153 km lange Etappe von Hausach nach Pforzheim, wo der Abschluss der Wanderung mit einem großen Eisbecher gefeiert wird, bevor ich in den Zug heim nach Bad König steige.

Westweg zwischen Hausach und Pforzheim
Westweg zwischen Hausach und Pforzheim

Montag, 2.9.24
Tag 8: Von Kandern zur Haaghütte (28 km)

Vor dem Abstieg nach Kandern übernachte ich in der urigen Hasemann-Hütte. Doch es wird eine unruhige Nacht. Bis um 1.00 Uhr hält mich das heftige Gewitter wach, es scheint sich zeitweise direkt über der Hütte auszutoben. Der Farrenkopf ist der höchste Punkt in der Umgebung. Vielleicht wäre es doch klüger gewesen, in einer der tiefer gelegenen Schutzhütten zu übernachten. Danach tobt die Mäuse-Party auf dem Dachboden. Und irgendwann später höre ich ein größeres Tier mit Hufen über den Kies knirschen. Die Tür der Hütte hatte ich weit offen gelassen, aber der mysteriöse Besuch bleibt draußen. Erst nachdem ich mit meinem Lager von der doch recht schmalen Sitzbank auf einen der breiten Tische umgezogen bin, finde ich ein paar Stunden Schlaf.

Mein Nachtlager in der Farrenkopfhütte
Abstieg durch den Nebelwald vom Farrenkopf nach Hausach

Dennoch ist pünktlich um 7.15 Uhr Abmarsch. Das Tal liegt noch komplett von Wolken verhüllt, der Wald trieft vor Nässe. Nebelschwaden steigen empor, manchmal blitzt aber auch schon die Sonne heraus. Eine sehr schöne Stimmung. Der 5 km lange Weg bis Hausach ist stellenweise ganz schön steil und rutschig, also langsam machen. Rund 450 Höhenmeter sind es bis ins Tal. Die nächsten beiden Hütten entpuppen sich als sehr zugige Unterstände, die bei dem Unwetter der vergangenen Nacht ziemlich ungeeignet gewesen wären. Wieder mal Glück gehabt und alles richtig gemacht, ein befriedigendes Gefühl. Kurz vor 9 Uhr sind der Edeka-Markt sowie die dort integrierte Bäckerei in Hausach erreicht, pünktlich zu einem üppigen zweiten Frühstück mit Käsebrötchen, Cappuccino, Joghurt und Banane. Mein Handy lädt man dort auch gerne auf.

Hausach mit lärmender Umgehungsstraße und kanalisierter Kinzig – auch das ist Schwarzwald

Der Westweg läuft durch den gesamten Ort, der bemerkenswert unattraktiv ist. Die Leerstände bei Gastronomie, Einzelhandel und Wohnhäusern sind erschreckend, der Verkehrslärm durch die vielen LKW allgegenwärtig, die Kinzig durchfließt die „Idylle“ als schnurgerader Kanal. Ein echter Kulturschock nach dem Waldfrieden der letzten Tage. Da bin ich froh, als der Pfad endlich steil wieder aus dem Tal hinauf zum Spitzfelsen führt, auch wenn der Schweiß wieder in Strömen fließt. Einen tollen Blick hat man von hier oben. Noch hängen Wolkenreste im Tal, doch es ist schon wieder drückend heiß.

Blick vom Spitzfelsen auf Hausach
Endlich ist wieder Ruhe – friedvolle Seitentäler der Kinzig

Wenig später im schönen Mischwald verstummt auch endlich der Straßenlärm. Ich genieße wieder schöne Weitblicke in die Täler mit den einsamen Einzelgehöften, das ist wieder Schwarzwald wie aus dem Bilderbuch. Doch bald wird das idyllische Bild durch das Knattern eines Hubschraubers gestört. Heute wird hier der Wald gekalkt, um den Boden vor Versauerung zu schützen. Es ist schon ein Irrsinn, den wir mit der Natur treiben. Und wie unerschütterlich ist unser Glaube, menschengemachte Probleme wirklich lösen zu können. Oft genug schaffen wir dabei wieder neue.

Luxusschlafraum an der Hohenlochenhütte

Sehr schön führt der Weg durch den Wald hinauf zur liebevoll gestalteten Hohenlochhütte, wenn auch begleitet vom ohrenbetäubendem Lärm des Hubschraubers. Neben einem traumhaften Blick ins Tal bietet sie einen Brunnen, Trockentoilette und eine tonnenförmige Schlafplatz mit Holzpritschen als kostenlose Unterkunft für müde Wanderer. Am Wochenende ist die Hütte bewirtschaftet, doch heute treffe ich niemanden hier an. Ideale Gelegenheit, sich am eiskalten Brunnen komplett zu waschen.

Weitblick beim Hof Erlets

Oben auf dem Höhenkamm ist der Westweg wegen der Kalkarbeiten gesperrt. Eine Umleitung ist nicht ausgeschildert, aber es gibt einen Forstweg, der etwas tiefer parallel zum Westweg über den Hof Erlets verläuft. Auf diese Weise lerne ich den „Weitblick Erlets“ kennen, einen von den Hofbesitzern phantasievoll gestalteten Unterstand mit geschnitzten Sesseln und Bänken, Tischen sowie einem Schrank mit Getränken zur Selbstbedienung. Hier könnte man auch großartig übernachten, aber auch die Mittagsrast in einem der Liegesessel ist sehr erholsam. Immer wieder bin ich begeistert über diese in Eigeninitiative entstandenen Rastplätze entlang des Wanderweges.

Liebevoll gestalteter Rastplatz am Hof Erlets
Endlich wieder mal ein schmaler Wanderpfad auf dem Weg zur Hohenlochenhütte
Bemooster Urwald

Bald darauf bin ich wieder auf dem Westweg, der nun häufiger abweichend von meinem GPX-Track etwas unterhalb der Kammlinie verläuft. Auf der Höhe mußte wohl Platz gemacht werden für die zahlreichen Windräder. Der Weg zur Kreuzsattelhütte zieht sich, auch wenn er teilweise auf Pfaden durch sehr schönen Wald mit pelzig bemooosten Felsen führt. Die restlichen Kilometer des Tages verlaufen dann überwiegend auf breiten Schotterwegen ohne nennenswerte Höhenunterschiede. Eine Abwechslung bietet der einsam zwischen Weiden mit glücklichen Kühen gelegene Harkhof mit Vesperstube und Bettenlager, das als Übernachtungsplatz auf dem Westweg seit Ewigkeiten einfach „Kultstatus“ genießt.

Am späten Nachmittag zu wandern ist wie immer sehr schön, das Licht über den dunklen Wälder wird bläulich, die Höhenzüge sind wie in einem Gemälde gestaffelt. Lange hocke ich auf einer Bank und blicke einfach nur auf dieses perfekte Bild.

Abendstimmung kurz vor dem Tagesziel

Eine ganz wunderbare Sache beim Wandern ist dieser meditative Zustand, in den ich bereits nach wenigen Tagen auf einer Solo-Tour verfalle. Der Kopf ist völlig leer von irgendwelchen ablenkenden Gedanken und einzig damit ausgelastet, die großen und kleinen Dinge am Wegesrand wahrzunehmen. Stundenlang kann ich so vor mich hinlaufen oder, wie jetzt, einfach nur irgendwo sitzen und in die Gegend schauen, total tiefenentspannt, ausschließlich im Hier und Jetzt. Ein gutes Gefühl und eines der Motive für meine ausdauernde Wanderlust.

Wenig später ist die Haaghütte auf einer freundlichen Lichtung an der Kreuzung mehrerer Forstwege erreicht. Mein heutiges Zuhause ist wirklich ein Träumchen und für mich die absolut schönste Unterkunft während der gesamten Tour. Es ist ein richtiges kleines Blockhaus mit Terrasse, Feuerstelle und einem nicht weit entfernten Brunnen. Drinnen gibt es Tisch und Bänke, Stockbetten für 4 Personen und einen Ofen, sogar mit bereit gelegtem Feuerholz.

Mein schönster Schlafplatz am Westweg – die Haaghütte
Einfach und gemütlich – Innenraum der Haaghütte

Ich richte mich behaglich ein und veranstalte am Brunnen wieder eine Ganzkörperwäsche, sehr zur Freude der Mücken. Wahrscheinlich hat die Mückenmutter gerade gerufen: „Kinder, kommt zum Abendessen“, so zahlreich schwirren sie um mich herum, während ich ihnen beim Haarewaschen hilflos ausgeliefert bin. Auch die wieder einmal völlig durchgeschwitzte Kleidung ist dran. Ausgenommen bleibt die Wanderhose, da sie wohl über Nacht nicht trocknen würde und die sich mittlerweile schon salzig-klebrig anfühlt.

Zum Feierabend sitze ich beim Sonnenuntergang in der absoluten Stille des Waldes auf der Terrasse und bin einfach nur wunschlos glücklich. Hier im Wald fühle ich mich zu Hause.

Dienstag, 3.9.24
Tag 9: Von der Haaghütte zur Hütte 202 (33 km)

Eine wohltuend friedvolle Nacht, erst kurz vor 7 Uhr schäle ich mich aus dem Schlafsack. Dabei liegt heute eine lange Etappe vor mir. Die Forststraße führt nach einem Kilometer an der Freiersberger Hütte vorbei. Aus dem Brunnen tröpfelt nur wenig Wasser, das Auffüllen meiner Trinkflaschen wird zur Geduldsprobe. Doch die Erfahrung lehrt, dass man nehmen sollte, was man kriegt, denn auch der Juliusbrunnen wenig später ist fast trocken und danach gibt es für drei Wanderstunden erst einmal kein Wasser mehr.

Im Bannwald am Glassee

Sehr schön ist die Gegend um den Glaswaldsee. Schmale sandige oder felsige Pfade führen zwischen hüfthohen Farnen durch alten Bannwald. Das sind Waldflächen, die nicht mehr bewirtschaftet werden und sich so langsam wieder in einen „Urwald“ verwandeln können. Am Glaswaldsee gibt es die erste ausgiebige Rast des Tages. Tief unter mir liegt der kreisrunde, schwarze Karsee, in dem ein früher Schwimmer seine Bahnen zieht. Vielleicht auch ein Wanderer, der unten in der Hütte am See geschlafen hat.

Am Glaswaldsee
Urige Wanderpfade oberhalb des Glaswaldsees

Die nächsten 10 km bis zur großen Straßenkreuzung Alexanderschanze sind einfach nur öde breite Forstautobahnen. Ich laufe im Takt meiner Wanderstöcke wie ein Automat und schrubbe die Kilometer weg. Effizient, aber toll ist das nicht. Erschreckend sind die radikalen Baumfällungen. Große Flächen werden vollständig abgeholzt, die Bodenstruktur ist zerstört durch die schweren Maschinen.

Großflächige Abholzungen unmittelbar vor dem „Bannwald“. Und direkt daneben ein Hinweisschild, dass Wanderer auf dem Weg bleiben sollen, um den Waldboden zu schonen….
Die geliebten Forstautobahnen mit Seitenstreifen, hier in Richtung Alexanderschanze

Am noblen Sporthotel „Zuflucht“ ist Zeit für die Mittagsrast. Angesichts des Preisniveaus begnüge ich mich mit einer Saftschorle, dem Aufladen meines Handy sowie Auftanken meiner Wasserflaschen durch die sehr nette Bedienung. Zwischendurch wird diskret aus dem Snackbeutel genascht. Nach einer guten Stunde geht es weiter. Ja, auch heute ist der Tag der Forstautobahnen, jeder Meter auf einem Waldpfad wird daher freudig begrüßt. So wie der schöne Weg über den Schliffkopf mit seiner blühenden Bergheide. Weit reicht der Blick bis zu den Vogesen und der Schwäbischen Alb als zartes, blaues Band am Horizont. Die Alpenkette liegt wieder einmal leider im Dunst.

Bergheide am Schliffkopf
Im Mittleren Schwarzwald

Der Ruhestein unterhalb des Schliffkopfes wird seinem Namen in keiner Weise gerecht. An der Passhöhe mit der lauten Schwarzwaldhöhenstraße B500 befinden sich eine Sprungschanze, ein Skilift und das futuristische, schicke Holzgebäude des Nationalparkzentrums. Die großen Parkplätze lassen ahnen, dass hier im Winter richtig viel los ist.

Am Seekopf
Blick auf den Wildsee

Noch einmal und wieder stets über Schotter geht es hinauf zum 1054 m hohen Seekopf mit einem schönen Blick über den Wildsee. Die Wälder an den steilen Hängen um den Karsee sind teilweise grau und tot, dank Klimawandel ändert sich auch der Schwarzwald dramatisch.

Der Endspurt des Tages führt, natürlich weiterhin auf Forstautobahn, über das urige Wanderheim Darmstädter Hütte und dann parallel am Steilhang entlang bis zur Grenze der Kernzone des Nationalparks. Dank der Schäden des Orkans Lothar 1999 werde ich mit schönen Weitblicken verwöhnt, ansonsten ist dieses Wegstück denkbar unspektakulär, auch wegen der lärmenden B500 unterhalb des Weges.

Mein Nachtlager in der Hütte 202

Direkt hinter der Nationalparkgrenze liegt mein Tagesziel, denn ab hier wird das Biwakieren in Hütten wieder inoffiziell toleriert. Die Hütte 202 ist ein einfacher, offener Unterstand mit Betonboden sowie Bank und Tisch davor, leider in Nähe der Straße und natürlich überhaupt kein Vergleich zur wunderbaren Haaghütte. Keine Idylle, dafür in netter Gesellschaft einer Mücke und insgesamt okay. Es ist der erste Tag, an dem meine Füße signalisieren, dass sie nach 33 km und harten Forststraßen genug gelaufen sind.

Mittwoch, 4.9.24
Tag 10: Von der Hütte 202 zur Wegscheidhütte (26 km)

Wieder gibt es in den frühen Morgenstunden Gewitter und Regen. In der Hütte liege ich trocken, aber auch die anhängliche  Mücke ist schon um 4 Uhr wach. Wegen des dichten Nebels bleibe ich bis 7 Uhr im Schlafsack und breche dann direkt auf. Frühstück gibt es erst nach einem Kilometer am Skilift Seibleseck, der den Luxus einer öffentlich zugänglichen Steckdose bietet. Wie gesagt, man sollte unterwegs stets jede Gelegenheit nutzen, die sich bietet. Erst gegen 9 Uhr geht es mit vollem Bauch und Akku weiter.

Weg zum Seibleseck im Morgennebel
Blick auf den Mummelsee

Der nahe Mummelsee ist ein Touristen-Hotspot mit ähnlichem Rummel wie der Titisee. Morgens liegen die Elektroboote aber alle noch vertäut am Steg, die Andenkenbuden sind verwaist, während die ausschließlich „älteren“ Gäste des großen Hotels sich am Frühstücksbuffet für die Abenteuer des kommenden Tages stärken.

Aufstieg zur Hornisgrinde

Der Himmel klart nun immer weiter auf, von der Hornisgrinde oberhalb des Mummelsees hat man heute wegen der dramatisch wirkenden Wolkenfetzen einen besonders interessanten Blick auf die Schwarzwaldberge. Auch die Hornisgrinde war früher ein Weidegebiet für Schafe und Kühe, so dass anstatt dichtem Wald eine Heidefläche entstand. Das nebelige Wetter ist genau richtig für diese Landschaft.

Blick ins Rheintal von der Hornisgrinde
Aussichtsturm auf der Hornisgrinde
… und auch hier viele tote Bäume

Wieder einmal  treffe ich zwei Westweg-Wanderer, die auf dem Weg nach Süden sind, allerdings nur für 6 Tage bis Hausach mit Übernachtung in Hotels. Und wieder einmal bin ich einfach fassungslos angesichts der gigantischen und sehr schweren Rucksäcke, die jeweils ungefähr das doppelte Gewicht von meinem Gepäck haben. Die beiden sind nach dem Aufstieg ziemlich fertig, kein Wunder.

Der Pfad hinunter zum Ski- und Wanderheim Ochsenstall ist steil und felsig. Sehr schön, endlich keine Forstautobahn! Die Herberge hat ihre guten Tage  schon sehr lange hinter sich. Angesichts des speckig-dreckigen Wirtes und seiner dazu passenden Küche verzichte ich dankend auf das verlockende Angebot der Speisekarte. So gerne ich Dampfnudeln mit Pflaumenkompott mag, hier definitiv nicht.

Abstieg vom Ochsenstall nach Untersmatt

Der tolle, felsige Steig setzt sich hinter dem Ochsenstall fort bis zur Passhöhe Untersmatt. Hier steht mit einem verfallenem Kurhotel aus den 1900er Jahren ein für den Schwarzwald typischer „Lost Place“. Genauso wie an der Alexanderschanze oder der Passhöhe „Sand“, an der ich im Laufe des Tages vorbei kommen werde. In den Wolkenfetzen, die von der Rheinebene hoch getrieben werden, sehen diese Bauruinen besonders gespenstisch aus.

Ingesamt ist der Weg seit Untersmatt für den Rest des Tages mal wieder wieder echt öde mit den nun ausschließlich breiten Forststraßen. Endlos zieht er sich bergauf am Naturfreundehaus vorbei zur Badener Höhe. Es beginnt leicht zu nieseln, daher verstaue ich vorsorglich meine Ausrüstung aus den Außentaschen wasserdicht im Rucksack. Erst 10 Minuten später bemerke ich, dass ich nun wundersamerweise ohne Wanderstöcke unterwegs bin. Habe sie nach der Umpackaktion wohl an einem Baum gelehnt stehen gelassen. Also noch mal den Berg runter, Gott sei Dank sind sie noch da. Kleiner Kollateralschaden wegen abgeschalteter Hirntätigkeit beim Wandern.

Etwas müde und leicht fröstelnd ist am frühen Nachmittag den Friedrichsturm auf der Badener Höhe erreicht. Den Aufstieg kann man sich bei dem Nebel getrost schenken, aber in der Schutzhütte gibt es endlich ein verspätetes Mittagessen aus TUC-Keksen, Wasser und Studentenfutter. Hier oben auf 1000 Metern Höhe ist es wirklich unangenehm kühl, also laufe ich bald weiter.

Steiniger schöner Pfad zum Herrenwieser See
Am Herrenwieser Moorsee

Nun geht es sehr steil über einen spannenden felsigen Pfad bergab zum 200 Meter tiefer liegenden Herrenwieser See. Der Steig durchquert einen tollen Urwald, der seit den Orkanen Ende der 1990er Jahre nicht mehr bewirtschaftet wird. Bald bin ich auch aus den Wolken heraus, es wird wieder angenehm warm. Lohnend ist ein zufälliger Abstecher entlang des Herrenwieser Sees (habe mal wieder den Abzweig verpasst…), auch dies ein tiefschwarzer und kreisrunder  Karsee.

Danach folgen wieder die vertrauten breiten Schotterstraßen, endlos hinab bis zur Schwarzenbachtalsperre. An der privaten Jägerlochhütte gönne ich mir noch eine Pause und einen Schokoriegel, am Brunnen kurze Zeit später werden sämtliche Wasserflaschen gefüllt. Mit 2 Litern Wasser kommen ich stets gut für den Abend und den folgende Morgen aus, inclusive Katzenwäsche und Zähneputzen. Rund einen Kilometer weiter stehe ich dann gegen 18 Uhr vor der Wegscheidhütte, die an der Kreuzung mehrerer Forststraßen liegt. Eine Wandererin mit relativ kleinem Rucksack ist bereits da, endlich mal jemand, der ähnlich minimalistisch in Hinblick auf Ausrüstung unterwegs ist wie ich. Stolz zeigt sie mir ihren aus Konservendosen selbstgebauten Kocher, wir fachsimpeln über die optimalen Leichtgewichtszelte. Leider zieht sie dann weiter.

Quartier für eine spannende Nacht – die Wegscheidhütte
Mein „Bett“ auf dem Dachboden der Wegscheidhütte

Die kleine offene Wegscheidhütte ist mit Lehmboden und schmalen Bänken recht einfach, über eine Metall-Leiter im Inneren erreicht man jedoch einen sauberen Dachboden zum Schlafen. Also deutlich komortabler als mein Quartier in der vergangenen Nacht. Zufrieden richte ich mein Schlaflager unter dem Dach ein.

Donnerstag, 5.9.24
Tag 11: Von der Wegscheidhütte zur Langmartskopfhütte (24 km)

Eine spannende Nacht liegt hinter mir. Gegen 2 Uhr werde ich durch das Knirschen von Schritten und keuchenden Atem aus dem Schlaf gerissen. Sofort bin ich hellwach und lausche angespannt in die Dunkelheit. Was könnte das sein? Tier oder Mensch? Merkwürdigerweise habe ich keine Angst, bin aber heilfroh, meine gesamte Ausrüstung mit auf den Dachboden genommen zu haben und somit zunächst einmal unsichtbar für den Ankömmling zu sein.

Nach kurzer Zeit herrscht unten Ruhe, abgesehen von einem rhythmischen Schnaufen. Vielleicht doch ein Wildschwein? Ehe nicht geklärt ist, wer oder was sich dort in der Hütte aufhält, werde ich nicht wieder einschlafen können. Also die Stirnlampe mit Rotlicht anschalten, möglichst lautlos zur Leiter krabbeln und vorsichtig hinunter schauen. Da liegt doch tatsächlich ein schnarchender Wanderer tief schlafend auf der Bank! Verrückte Sache, wo der mitten in der Nacht wohl herkommt? Vielleicht ein Mammutmarsch-Läufer? Beruhigt schlafe ich wieder ein. Bereits gegen 4 Uhr morgens höre ich meinen unbekannten Gast aufbrechen und fortgehen.

Die alte Holzbrücke über die Murg ist DIE Attraktion von Forbach

Erst um 7 Uhr ist heute Aufstehen angesagt. Das Wetter ist ein Traum: sehr warm und leicht windig. Gefrühstückt wird nur ein wenig, da ich mich schon auf das Café Henriette in Forbach freue, das ich nach einer Stunden leichten Fußweg bergab erreiche. Das Café scheint direkt den 60er Jahren entsprungen zu sein, bestimmt unbeabsichtigt sehr retro. Doch zu meiner großen Überraschung gibt es früh am Morgen weder Kuchen noch Strom für mein Handy. Nein, meint die ziemlich unfreundliche, alte Inhaberin, mein Telefon könnte ich während meines Frühstücks bei ihr nicht aufladen, das sei einfach zu teuer. Auch eine Bezahlung lehnt sie ab. Na so was, da verzichte ich auch gerne auf Kaffee und altbackene Rosinenbrötchen und gehe weiter. In der Bäckerei am Netto bekomme ich Kuchen und Strom. Im Supermarkt kaufe ich noch Proviant für die restlichen Wandertage, telefoniere mit zu Hause und schon ist es fast Mittag, ehe ich weiter komme.

Blick auf Forbach

Forbach ist etwas touristischer als Hausach, vielleicht wegen der Holzbrücke über die Murg. Aber insgesamt wirkt der Ort ähnlich trist und auch hier dröhnt der LKW-Verkehr durch das Tal. Das Kinzigtal bei Hausach und das Murgtal sind eben wichtige Querverbindungen vom Rhein hinauf in den Schwarzwald.

Wieder bin ich froh, als ich endlich aus dem Ort raus bin. Der Westweg ist hier für die von Süden kommenden Wanderer nicht so perfekt wie gewohnt beschildert. Am einfachsten folgt man den blauen Wegweisern der „Murgleiter“, die hier identisch mit dem Westweg ist.

Aufstieg zum Latschigfelsen
Hexenbrunnen bei Forbach

Am Hexenbrunnen heißt es noch einmal 2 Liter Wasser fassen, es ist der letzte Brunnen heute. Wegen der Hitze werden auch das Hemd und mein Kopf unter das sehr kühle Nass gehalten. Das reduziert das Schwitzen und damit den Wasserverbrauch. Denn nun geht es auf einem sehr schönenPfad durch einen grün-bemoosten Nadelwald mit großen, steilen Felsen über 600 Höhenmeter stetig bergauf zum Latschigfelsen. In der Etappen-Beschreibung des Westweges wird der Anstieg als extrem steil und anstrengend gekennzeichnet, was mal wieder recht übertrieben erscheint.

Wald beim Latschigfelsen
Der Aussichtspavillion am Latschigfelsen

Der Ausblick vom Pavillon am Latschigfelsen hinunter ins Tal ist aber wirklich sehenswert, der ideale Platz für die Mittagsrast. Allerdings zieht sich der Himmel nun sehr rasch mit einer Nebelwand von Osten zu, es wird richtig kalt. Ziemlich blöd, dass mein Wanderhemd noch so feucht ist.

Blümchen am Wegesrand zum Kaltenbronner Hochmoor

Langweilige Schotterwege bringen mich auf fast 1000 m Höhe zum Hohlohturm, wieder einem Aussichtsturm aus dem 19. Jahrhundert. Die Sicht bei diesem nun nebeligen Wetter ist aber Null. Dafür passt die Atmosphäre super zur Querung des schönen Kaltenbronner Hochmoors. Der weitere Weg führt bergab und wieder über Schotter auf absolut schnurgeraden  Forststraßen. Da macht man ordentlich Strecke. Immerhin wird es wieder wärmer.

Am Hochmoor Kaltenbronn

Schon kurz nach 17 Uhr bin ich an der Langmartskopfhütte. Eigentlich könnte ich noch gut weiterlaufen. Aber dann würden die beiden letzten Etappen bis Pforzheim nicht mehr vernünftig passen. Außerdem ist für heute Abend relativ viel Regen angesagt und die beiden nächsten Hütten sind nur offene Unterstände. Die Langmartskopfhütte dagegen hat einen kuscheligen Dachboden zum Schlafen, den man über eine Leiter an der Rückseite der Hütte erreicht.

Gemütlicher Schlafplatz auf dem Dachboden der Langmartskopfhütte

Mein Schlafplatz war wieder einmal eine glückliche Entscheidung. Das angekündigte Unwetter ist superpünktlich. Während der Regen herunter rauscht, Blitze zucken und die Tannen sich im Wind biegen, liege ich im Schlafsack und kann vom offenen Eingang des Dachbodens aus in aller Gemütlichkeit das Spektakel beobachten. Herrlich.

Freitag, 6.9.24
Tag 12: Von der Langmartskopfhütte zur Schwaner Warte (23 km)

Ein Reh flüchtet in das Unterholz, als ich die Leiter vom Dachboden herunter klettere. Es ist das erste und einzige größere Wildtier, das ich auf der gesamten Wanderung sehe. Das Wetter hat sich beruhigt. Es ist wieder warm, doch der Wald liegt wie in weiße Watte gehüllt. Ein schöner Anblick, wenn die Nebelschwaden um die Nadelbäume ziehen.

Abstieg vom Westweg Richtung Dobel durch die Wolken

Die Draberghütte, die ich bald nach meinem Aufbruch erreiche, soll einen tollen Blick ins Rheintal bieten, heute ist nur weiße Suppe zu sehen. Wenig später an der Schweizerkopfhütte gibt es einen Brunnen und für mich auch Frühstück. Dabei habe ich ausnahmsweise Gesellschaft, denn hier haben unter dem Vordach der geschlossenen Hütte zwei Wanderer übernachtet. Die beiden sind auch mit Zelt und Rucksack auf dem Westweg unterwegs. Im letzten Jahr haben sie ausschließlich in einem Van gewohnt und waren ansonsten überall in der Welt unterwegs. Wie wunderbar, wenn man Leute mit einem ähnlichen Lebensstil trifft. Es gibt unendlich viel Gesprächsstoff und das Gefühl, als ob man sich schon ewig kennen würde.

Überhaupt sind diese Begegnungen für mich ein ganz wesentliches Erlebnis einer Tour. So wie auch der frisch gebackene Rentner, den ich wenig treffe und der den Europa-Wanderweg 1, welcher direkt vor seiner Haustür daheim im Taunus vorbei führt, nach Süden läuft – Ziel offen. Seit vier Wochen ist er nun unterwegs und strahlt eine zufriedene Gelassenheit aus. Man sieht ihm an, wie glücklich er ist. Das ist wunderbar.

Schöner Waldpfad in Richtung Dobel

Bis in die Ortschaft Dobel geht es ausschließlich bergab, abwechselnd über Forststraßen, aber auch über Pfade. Der Nadelwald wird weniger, schließlich laufe ich durch schönen Buchenwald. Insgesamt ist die Strecke aber wenig spannend. Das Highlight in Dobel ist die Bäckerei mit einem genialen Käsekuchen und einer supernetten Verkäuferin, die wahre Turnkunststücke vollführt, um hinter einem Kühlschrank eine Mehrfachsteckdose hervor zu zaubern, damit ich dort mein Handy aufladen kann.

Am Aussichtsplatz Enzkreisspitze

Die wolkenverhangenen Schwarzwaldhöhen liegen nun hinter mir. Am Aussichtspunkt Elztalspitze kann ich nachmittags lange auf einer Sonnenbank den wolkenlosen Himmel und weiten Blick ins Rheintal bis nach Karlsruhe und zu den Vogesen genießen.

Auf dem Aussichtsturm Schwaner Warte verbringe ich die letzte Nacht am Westweg

Nur eine Stunde später bin ich um 16 Uhr schon an der Schwaner Warte. An diesem schönen Aussichtspunkt oberhalb der Ortschaft Schwan hat der Schwarzwaldverein sein Vereinshaus mit großer Terrasse und einen überdachten Aussichtsturm errichtet. Von hier aus reicht der Blick nach Karlsruhe im Westen und bis zum heimatlichen Odenwald im Norden. Sogar die weißen Schornsteine der Giftküche von BASF bei Ludwigshafen sind zu sehen.

Schlafplatz mit Aussicht

Genau dort oben möchte ich übernachten. Allerdings findet ausgerechnet heute unterhalb des Aussichtsturmes ein großes OpenAir-Konzert statt. Es wird gerade die imposante Verstärkeranlage aufgebaut.

Was tun? Eine wirkliche Alternative zum Zelten bietet der benachbarte Wald nicht, alles ist zerwühlt von Wildschweinen. Also frage ich einfach die Mitglieder vom Schwarzwaldverein, ob ich trotzdem hier schlafen kann. Die sind total entspannt und haben damit gar kein Problem. Es wird allerdinbgs etwas laut werden. Was für ein toller Abschluss meiner Wanderung – am letzten Tag bekomme ich exklusiv Jazz und Soul – live. Genial! Auch wenn ich dafür mit wenig Schlaf bezahlen muss, denn bis Mitternacht wird gerockt, was die Verstärker hergeben und danach natürlich noch zwei Stunden lang wieder aufgeräumt. Gegen 3 Uhr morgens kommt noch ein verliebtes Pärchen auf den Turm hoch gestiegen, dem ich einen Riesenschreck einjage und die sich sofort unter vielen Entschuldigungen wieder verziehen.

Samstag, 7.9.24
Tag 11: Von der Schwaner Warte nach Pforzheim (19 km)

Trotz der sehr kurzen Nacht bin ich bei Sonnenaufgang kurz vor 7 Uhr unterwegs. Der Endspurt nach Pforzheim steht an, danach geht es mit der der Deutschen Bahn wieder nach Hause. Zur Feier des Tages habe ich mir sogar saubere Kleidung angezogen. Nur meine schweíßgetränkte Wanderhose werde ich leider meinen armen Mitreisenden im Zug zumuten müssen.

Steil geht es nach kurzer Zeit hinunter nach Neuenbürg, steil hoch auf den Burgberg und auf der anderen Seite ebenso steil wieder runter. Danach läuft der Westweg lange Zeit entlang der Enz. Entgegen meiner Erwartung ist es ein überwiegend schöner Weg unter schattigen Laubbäumen durch feuchten Auenwald, manchmal sogar über schmale Pfade. Trotzdem zieht sich der Weg und der Autolärm der viel befahrenen Straße auf dem gegenüberliegenden Ufer stört doch etwas.

Schließlich ist der Ortsrand von Sonnenberg, das schon zum Stadtgebiet von Pforzheim gehört, am späten Vormittag erreicht. Geschickt wird der Westweg durch ruhige Wohngebiete oder Grünanlagen geführt. Am Zusammenfluss von Würm und Nagold bin ich dann recht schnell am Endpunkt meiner Wanderung. An der „Goldenen Pforte“ gibt es den letzten Westwegstempel in mein Tagebuch und natürlich auch ein Erinnerungsfoto.

Ende / Start Westweg in Pforzheim

Zwei Kilometer später ist die Innenstadt erreicht. Im Büro der Touristeninfo hole ich mir meine „Belohnung“ für das fleißige Sammeln der Wanderstempel ab – ein blaues Schlauchtuch mit der roten Westweg-Raute.

Pforzheim wurde gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in einer einzigen Nacht durch einen Bomberangriff zu 90 % zerstört. Noch heute ist die Stadt wahrhaftig keine Schönheit. Aber in der Tourist-Info erhalte ich den genialen Tipp für die beste Eisdiele der Stadt. Bei Rialto an der Rossbrücke gönne ich mir einen großartigen Eisbecher, außerdem sitzt man dort ganz nett am Ufer der Enz. Also ein würdiger Abschluss dieser genußvollen Wanderung.

 

 

 

 

 

 

 

 

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