Langsam nähern wir uns der Region Islands mit den touristischen Hauptsehenwürdigkeiten und sind gespannt, ob der befürchtete Massenandrang dieses jahr wirklich ausfällt. Leider scheint nun auch für uns die Glückssträhne des guten Wetters zu Ende zu sein.Unsere Route durch Island bis Hveravellir
Entlang der Westküste
Am 28.8. fahren wir wieder zurück von den Westfjorden zur Ringstraße 1. Auch bei wechselhaftem Wetter ist die Küstenlandschaft beeindruckend schön. Mal ziehen weiße Regenschleier vor die Berge oder dramatische Wolkenfetzen türmen sich auf, mal leuchtet ein Bündel Sonnenstrahlen wie ein Scheinwerfer auf dem Meer und ganz selten kommt sogar ein Stück blauer Himmel hervor.
Gunðrúnarlaug – Some like it hot
Die Straße 60 führt uns nun strikt nach Süden. Ein kleiner Abstecher von 4 Kilometern auf der Straße 589 bringt uns nach Laugar, wo oberhalb eines Hotels und Campingplatzes eine herrliche Badestelle auf uns wartet. Auf einer Bergwiese ist die Thermalquelle Gunðrúnarlaug in einem runden Steinbecken gefasst, zum Umkleiden gibt es ein hübsches Torfhaus. Das Wasser ist so heiß, dass ich mich immer wieder auf den gemauerten Rand zum Abkühlen in der nur 10 Grad warmen Luft setzen muss. Ein Bad in einer heißen Quelle zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter gehört für die Isländer einfach zum Lebensstil. Vielleicht haben sie durch diese spezielle Art von Kneippkur mit die höchste Lebenserwartung weltweit. Schon am frühen Nachmittag sind wir an der Ringstraße 1 und gehen in Varmaland auf einen großen, sehr leeren Campingplatz. Man merkt, dass die Saison zu Ende geht.
Wasserfälle, Lava und Gletscher
Das übliche Islandwetter mit tief hängenden Wolken, aus denen ab und zu Nieselregen fällt und einstelligen Temperaturen hat uns wieder eingeholt. Vormittags besichtigen wir den Wasserfall Hraunfossar, laut Reiseführer mit der schönste im Land. Aber das wird über beinahe jeden größeren Wasserfall geschrieben. Doch der “Lavawasserfall“ ist wirklich besonders, denn der Seitenarm des Gletscherflusses Hvitá versickert hier im porösen Vulkangestein, um sich dann über eine Länge von ca. einem Kilometer über einer dicht mit Heidekraut bewachsenen Basaltstufe in vielen kleinen Wasserfällen in den Fluss zu ergießen. Etwas weiter flußaufwärts schießt die Hvitá am Barnafoss (Kinderwasserfall) beeindruckend wild brodelnd durch eine enge Felsklamm aus Lavaformationen. Dieser Wasserfall hat seinen Namen zur Erinnerung an zwei Kinder, die hier ertrunken sind.
Über eine Wellblechpiste geht es dann zur Lavahöhle Surtshellir. Sie ist Teil eines über 4 Kilometer langen Höhlensystems im über 1200 Jahre alten Lavafeld Hallmundahraun. Hier sollen im Mittelalter Geächtete Zuflucht gesucht haben, ein ziemlich unwirtlicher Wohnort. Der Boden der 5 Meter hohen Höhle ist übersät mit großen Felsen, es gibt keinen Weg. Wir begnügen uns daher mit einem Blick vom Eingang aus, an dem noch ein großes Altschneefeld liegt.
Die F550 durch das Kaldidalur ist einfach zu fahren, nur einige wenige Steigungen und keine Furten, jedoch viel Wellblech. Sie ist damit auch für Pkw machbar und bietet einen guten Eindruck vom Hochland mit schönen moosbewachsenen Lavafeldern, schwarzen Berghängen und dem eindrucksvollen Gletscher des Langjökull. Ein Abstecher auf der Schotterstraße 551 bringt uns bis zur flach abfallenden Gletscherzunge. Man könnte sogar auf das Eis fahren. Sehr eindrucksvoll werden hier die dramatischen Folgen des Klimawandels deutlich gemacht, denn auf dem Schotterfeld vor dem Gletscher zeigen Schilder, wo sich jeweils im 10-Jahresabstand der Eisrand befand. Jedes Jahr schrumpft der Langjökull um 10-15 Meter. Tief hängen die Wolken auf den Berghängen, der Wind treibt Regenschleier über die zerklüfteten Lavafelder, eine geheimnisvolle Kulisse wie aus einem Fantasyfilm.
Nicht weit vom Pingvalavatn erreichen wir über eine schmale, nummernlose Schotterstraße einen einsamen Stellplatz mitten in Heideflächen. Hier gibt es Unmengen von Blaubeeren, die uns überreif in die Hände purzeln. Das gibt morgen ein königliches Porridge.
In Reykjavik
Nachts regnet es ausgiebig und so geht es am anderen Morgen weiter. Wir fahren durch eine Waschküche zur Küste hinunter, wo es endlich heller wird. Um die Mittagszeit treffen wir uns in Reykjavik mit Mareike, die uns das ausgeliehene Zelt zurück gibt. Über ihre Einladung in ein Café freuen wir uns sehr. Es ist sehr schön, die Erlebnisse der letzten zwei Wochen auszutauschen und dabei das Gefühl zu haben, als würde man sich schon ewig kennen. Wirklich ein Glücksfall, dass wir uns in Norðarfjörður getroffen haben. Ein Bummel durch die Innenstadt führt uns zur neuen Konzerthalle Harpa, deren glatte schwarze Wände und verwinkelte Glaselemente an glänzende Obsidianlava und das Licht reflektierende Gletschereis erinnern. Gegenüber unserem letzten Besuch vor 13 Jahren hat sich das Bild der City sehr verändert, schicke Wohn-und Büroviertel und sehr viele auf Touristen ausgerichtete Lokale und Läden sind hinzugekommen. Jetzt fehlen wegen Corona die Besucher, alles wirkt an diesem Sonntagnachmittag etwas leblos. Bei unserer Weiterfahrt nach Süden über die Halbinsel Reykjanes wird das Wetter wieder richtig mies. Der Wind bläst uns mit Sturmstärke entgegen und peitscht heftigen Regen in Wasserschleiern über die Lavafelder. Auch wenn das Auto im Wind wackelt, mit einem Dach über dem Kopf ist es nur ein beeindruckendes, aber kein beängstigendes Schauspiel. Schaudernd stellen wir uns dieses Unwetter aus der Radlerperspektive vor. Auf dem einsamen Campingplatz Strandarkirkja direkt am Meer sind wir die einzigen Gäste. Der Sturm rüttelt den Sandfloh durch, es gießt weiterhin in Strömen, vom Strand ist nichts zu sehen. Die Landschaft versinkt in ein einziges Grau. Aber wir haben zu essen, es ist trocken und warm. Was will man mehr.
Touristenmagnete ohne Besucher
Die ganze Nacht durch schüttet es wie aus Eimern, der Sturm lässt den Sandfloh schwanken wie ein Schiff. Wir bekommen nicht einmal die Autotür aufgedrückt, aber man will ja eigentlich auch gar nicht raus. Bei dem Wetter bleibt die obere Etage geschlossen, ich schlafe unten neben Olaf. Am nächsten Morgen ist der Spuk vorbei, nur noch die kleinen Seen auf der Campingwiese erinnern daran. Der Sandfloh steht wie auf einer Insel dazwischen. Wir unternehmen einen netten Spaziergang zur kleinen Holzkirche Strandarkirkja und pflegen nostalgische Erinnerungen von vergangenen Radtouren. Am Nachmittag treffen wir uns in Selfoss mit unseren niederländischen Freunden Paul und Madelon, die wir vor einem halben Jahr in Marokko kennen gelernt haben und die nun ebenfalls in Island unterwegs sind. Es ist toll die beiden wieder zu sehen. Gemeinsam fahren wir dann zum Geysir und Gullfoss. Vor 13 Jahren waren wir zuletzt hier und wundern uns über den massiven Ausbau an Parkplätzen, Hotels und Andenkenläden. Was für ein unerträglicher Rummelplatz in normalen Zeiten. Doch nun finden wir den Touristenhotspot fast menschenleer vor. Die riesigen Parkplätze stehen verwaist, im Souvenirshop und der Cafeteria, wo sich vor allem kauflustige Kreuzfahrer und Touristen aus Übersee drängeln, ist alles leer. An den Geysiren laufen nur ca. 10 Leute herum.
Am nächsten Tag sehen wir beim Wasserfall Gullfoss das gleiche Bild, hier haben sämtliche Andenkenläden schon geschlossen. Die seit 20. August geltenden verschärften Einreisebedingungen mit mehrfachen Coronatests und 5tägiger Quarantäne zeigen ihre Wirkung. Es kommen praktisch keine Touristen mehr in das Land. Wir unterhalten uns mit einem Campingplatzbesitzer bei einer Tasse Kaffee über diese Situation. Während wir den Massentourismus, der die Insel jedes Jahr mit 3 Millionen Besuchern und damit fast dem 10fachen der Einwohnerzahl überschwemmt, sehr kritisch betrachten, ist er davon überzeugt, dass diese Entwicklung nur postive Seiten für sein Land habe und das alle Isländer dies so sehen würden. Für ihn bedeutet das Wohlstand und Fortschritt. Je mehr Touristen, desto besser. Auch bestätigt er unsere Befürchtungen, dass die Kjölurpiste wohl in naher Zukunft geteert werden könnte. Umweltschutz oder Nachhaltigkeit scheinen keine Rolle zu spielen. Sehr nachdenklich fahren wir weiter.
Über die Kjöllurpiste
Am Gullfoss trennen wir uns von Paul und Madelon, die beiden wollen wieder zur Küste fahren. Uns dagegen zieht es ins Hochland, trotz der schlechten Wetterprognose. Die ganze Nacht und den Morgen hat es in Strömen gegossen, aber morgen soll es zumindest trocken sein. Dann sind aber schon wieder Regen, Sturm und sogar Schnee angesagt. Über die Straße 35, die Kjöllurpiste, geht es nach Norden. Es begegnen uns nur eine Handvoll Fahrzeuge. Die Schotterstrecke ist in ziemlich schlechtem Zustand mit sehr viel Wellblech und zahllosen tiefen Schlaglöchern, die mit schlammig gelben Wasser gefüllt sind.
Unser Sandfloh hüpft von Pfütze zu Pfütze. Zeitweise hört es am Nachmittag sogar auf zu regnen und die Wolken geben den Blick frei auf die grandiose Hochlandszenerie mit dem Gletscher Langjökull, wild strömenden Flüssen und endlosen kahlen Schotterflächen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir uns hier auf dem Rad bei heftigem Gegenwind gequält haben. Die Piste war damals genauso zerfahren wie heute. Das Erleben der Landschaft war aber so intensiv und eindrücklich, dass ich diese Erfahrung nicht missen möchte. Im Gegenteil, mir fehlt nun die unmittelbare Auseinandersetzung mit meiner Umgebung. Wenn wir uns ohne jegliche Anstrengung im Auto fortbewegen, hat das für mich etwas sehr Künstliches. Selbst wenn wir sehr langsam fahren, ist es immer noch viel zu schnell, um Details wahrnehmen zu können. Die grandiose Natur ist nur Kulisse, denn ich spüre keine Anstrengung, nehme weder Sonne und Wind oder den Geruch der Landschaft wahr. Da geht sehr viel an Eindrücken verloren, das ist der Preis des Komforts.
Ca. 60 Kilometer hinter Gullfoss biegen wir ab auf die Piste F347, die uns nach 10 Kilometern zum Kerlingarfjöll bringt. In den Wolken können wir die phantastischen Berggipfel nur ahnen, doch schon die schwarze Lavaschlucht mit dem wilden, durch das Hochwasser schlammgelben Gebirgsfluss begeistert uns. Außerdem locken eine heiße Bademöglichkeit und die Geothermalgebiete an einem Gletscher. Wildcampen ist im Hochland für Autofahrer generell verboten, doch am Kerlingarfjöll gibt es einen Campingplatz für stolze 15 Euro pro Person. Das ist bisheriger Rekord, doch fast geschenkt verglichen mit den fast 60 Euro für einen Platz im Matratzenlager der Berghütte oder gar über 200 Euro für eine 2-Personenhütte. Die gnadenlose Kommerzialisierung macht auch nicht im Hochland Halt.
Über Nacht bessert sich das Wetter, es ist trocken und vormittags sogar etwas sonnig. Über eine in Teilen ziemlich steile 4WD-Piste – die man mit viel Vorsicht, Erfahrung und stabilen Reifen vielleicht auch mit Zweiradantrieb bewältigen kann – erreichen wir nach knapp 6 Kilometern das Geothermalgebiet Hveradalir im Kerlingarfjöll und sind einfach überwältigt. Es zischt, brodelt und qualmt überall. Das Spektakel aus heißen Quellen, Dampfröhren und Schlammtöpfen ist überaus beeindruckend. Blauschimmernde Gletscher und sehr steile, bunte Berghänge mit Schneefeldern bilden die Kulisse. Absolut surreal und scheinbar nicht von dieser Welt. Island macht hier seinem Klischee der Insel aus Feuer und Eis alle Ehre. Und es ist wirklich faszinierend. Natürlich verfällt Olaf hier wieder in Fotoekstase, die nur durch den eisigen Wind gebremst wird, der die Finger ohne Handschuhe schnell gefrieren lässt. Mit 5 Grad ist es wirklich ganz schön ungemütlich. Doch Dank der sehr steilen Wege und Steige über die rutschigen Lehmgrate wird uns rasch wärmer und beim Aufstieg auf die Schotterflanken des über 1300 Meter hohen Berges Menir kommen wir sogar ganz gut ins Schwitzen. Drei herrliche Stunden kraxeln wir herum und kommen pünktlich mit dem einsetzenden Regen wieder zum Auto. Das Kerlingarfjöll ist für uns das schönste Geothermalgebiet Islands und ein Höhepunkt unserer Reise.
Es geht zurück zur Kjölurpiste, die uns nach 28 Kilometern Holperstrecke bis zum Abend nach Hveravellir bringt. Mittlerweile liegt die ganze Landschaft in dichte, tiefhängende Wolken gehüllt. Es fegt ein heftiger, eiskalter Nordwind.
Der Campingplatz in Hveravellir ist leer, wir sind die einzigen, die draußen übernachten. auf dem Parkplatz stehen nur drei Autos. Sonst tummeln sich hier Scharen von Touristen, die natürlich alle in den heißen Quellen baden wollen. So habe ich am nächsten Tag das Badebecken ganz für mich alleine und es ist einfach nur herrlich. In das Becken wird über 80 Grad heißes Wasser geleitet und dort mit kaltem Wasser vermischt. So kann man sich seine Badetemperatur aussuchen, je nachdem, wie nahe man an den heißen Zulauf geht. Eigentlich möchte man gar nicht mehr rauß. Erst als die Haut zu schrumpeln anfängt, wage ich mich hinaus in die Kälte. Immerhin haben wir nur 4 Grad, dazu stürmt noch immer der eiskalte Nordwind. Doch wider erwarten ist das Anziehen im Freien bei winterlichem Wetter gar nicht schlimm. Ähnlich wie bei einer Sauna ist der Körper so aufgeheizt, dass der drastische Temperaturunterschied kaum wahrgenommen wird. Für morgen ist ein Blizzard mit Schnee und Sturm über 120 km/h angesagt und danach wird das Wetter hier nicht viel besser. Die geplante Mehrtages-Wanderung auf dem Kvallvegur, auf die ich mich so sehr gefreut hatte, muss ich wohl vergessen.
Mensch was für eine tolle Gegend! Schade nur, dass die Wanderungen immer wieder ins Wasser fallen…