Das Bilderbuchwetter der letzten Woche bleibt uns noch einige Tage erhalten. Es ist schon verrückt. Gerade hier in der Schmuddelwetterecke der Insel, wo heftige Stürme, Dauerregen und Kälte an der Tagesordnung sind, zeigt sich Island von seiner bisher sonnigsten Seite. Und auch die Landschaft, die so ganz anders ist als der Rest des Landes, begeistert uns völlig. Olaf gerät in einen wahren Fotorausch und muss dafür abends mit Überstunden am Laptop büßen.
Baden und Wandern in Heydadalur
Am 20.8. fahren wir von Dalbaer am Snaefjallaströnd in Richtung Isafjördur. Die Luftlinienentfernung bis zur “Hauptstadt“ der Westfjorde auf der anderen Seite des Isarfjardardjup beträgt nur etwas über 23 Kilometer. Doch auf dem Landweg sind fast 300 Kilometer zu fahren. Zuerst geht es für uns 40 Kilometer Schotterstrecke über die Straße 635 zurück. Dann rollt der Sandfloh auf Asphalt, denn die Straße 61 als Hauptverbindung in den Westfjorden ist seit etlichen Jahren durchgehend geteert. Acht schmale und zwischen 10 und 25 Kilometer tiefe Fjorde müssen umrundet werden, bis wir schließlich Isarfjödur erreichen. Jeder Kilometer der Strecke ist ein Genuß. Abschnitte am offenen Meer mit Seehunden am Strand und weitem Blick hinüber zum Gletscher Drangajökull wechseln ab mit der Fahrt durch enge Fjorde, wo wir eher das Gefühl haben einen See zu umrunden.
Schon im zweiten Fjord, dem Mjöllfjördur, beenden wir die Etappe. Einen Kilometer vom Meer entfernt liegt der Hof Heydalur in einem grünen Tal mit erstaunlich vielen Bäumen. Hier gibt es außer einem Hotel einen sehr schönen Campingplatz an einem Fluss und vor allen natürlich – heiße Quellen. Auf dem Hof wird die natürliche Wärme in einem Gewächshaus zum Anbau von Weintrauben, Äpfeln, Himbeeren und anderem Obst genutzt. Und mitten drin in diesem kleinen Garten Eden befindet sich ein Schwimmbad! Außerhalb des Gewächshauses warten noch zwei gemauerte Hot Pots auf Gäste.
Auf der gegenüberliegenden Flussseite befindet sich eine weitere Thermalquelle, die einen naturbelassenen Badeteich speist. Hier liegen wir so lange im über 40 Grad heißen Wasser bis uns die Schweißperlen von der Stirn laufen. Wunderbar entspannt wandern wir dann noch in das Tal hinauf zu einem 5 Kilometer entfernten Wasserfall. Der Weg über Wiesen und Heide ist zunächst einfach, doch das letzte Stück über blanken Fels im steilen Flussbett ist mit einiger Kraxelei verbunden. Da kommen wir nur langsam voran. Außerdem pflücken wir auf dem Rückweg massenweise Blaubeeren. Nach drei Stunden ist erst der Campingplatz wieder erreicht und zur Erholung geht es nach dem Abendessen noch in den Hot Pot am Hotel.
Fjorde, Seehunde und “Großstadtflair“
Bei Bilderbuchwetter rollen wir am nächsten Tag weiter entlang der Fjorde. Es gibt nur wenige Steigungen, dafür ständig wechselnde Kulissen. Auch für Radfahrer ist es daher eine traumhafte Strecke, sofern Wind und Regen ihnen nicht das Leben schwer machen. Eine Meeresbucht reiht sich an die nächste, mal blickt man auf fast senkrecht aufragende Steilhänge, mal leuchtet die weiße Kappe des Gletschers Drangajökull aus der Ferne. Auf den Fjorden tummeln sich zahlreiche Wasservögel, auch viele Schwäne ziehen majestätisch ihre Kreise. Am Skötufjördur liegt der Hof Litlabaer, der “kleine Hof“ ist wirklich winzig. Kaum vorstellbar, dass in dem nur knapp 30 Quadratmeter großen Torfhaus früher 20 Personen lebten. Heute können wir die bescheidenen, aber überaus gemütlichen Räume besichtigen und im Garten Kaffee und Kuchen genießen.
Ein kurzes Stück weiter nördlich beobachten wir am Meer viele Seehunde, die sich auf Steinen in der warmen Sonne aalen. Vor dem Alfafjödur steigt die Straße deutlich an, von einem Aussichtspunkt bietet sich nach Norden ein phantastisches Panorama über den gesamten Isafjardadjüp mit den noch schneebedeckten Bergen und Trogtälern der Halbinsel Snaefjallströnd sowie dem Gletscher Drangajökull. Ganz im Hintergrund ragen die Steilklippen des Naturreservats Hornstrandir aus dem Meer. Nach Süden geht der Blick in den engen Alfafjördur mit seinen fast senkrecht abfallenden Bergflanken. Im Winter gehen hier oft gefährliche Lawinen ab, vor 25 Jahren wurde die Hälfte des kleinen Ortes Sudavik dadurch zerstört, 14 Menschen kamen ums Leben. Im hellen Sonnenlicht wirkt der Fjord heute freundlich und einladend. Ein schöner Spaziergang am Ende des Fjordes führt uns in die Felsschlucht Valagil mit einem Wasserfall. Unterwegs sammeln wir massenweise Blaubeeren für das nächste Frühstück.
Rasch ist der nächste Fjord erreicht, in dem spektakulär auf einer hufeisenförmigen Sandbank die 2500 Einwohner zählende Stadt Isafjörður liegt, umrahmt von einer über 700 Meter hohen Felswand. Wie in Sudavik und vielen anderen Orten der Westfjorde liegen die neueren Wohngebiete hinter Erdwällen, die Schutz vor Lawinen bieten sollen. Im Zentrum stehen einige alte bunte Häuser und Lokale am malerischen Hafen sowie zwei große Supermärkte, die ersten seit dem 320 Kilometer entfernten Ort Drangsnes. Zeit, die Vorräte aufzustocken und in der Gamla bakaríið richtig gutes Brot und köstlichen Kuchen zu kaufen. Heute ist Hochsommer angesagt. So flanieren die abgehärteten Isländerinnen in Sandalen, Sonnentop und kurzer Hose oder luftigen Kleidchen durch die Straßen – und das bei 15 Grad.
Der Campingplatz liegt einige Kilometer außerhalb in einem geschützten Tal mit einem Wäldchen. Wir finden am Abend gerade noch einen freien Stellplatz. Dabei ist die Saison schon fast zu Ende und in diesem Jahr sollen angeblich wegen der Corona-Pandemie über 90 % weniger Touristen als in normalen Zeiten im Land sein. Diesen Andrang mögen wir uns gar nicht vorstellen.
Über den Wolken …der Genuss der Freiheit
Am nächsten Tag fahren wir nicht weit. Durch einen langen Tunnel ist Bolungarvik nach 17 Kilometern rasch erreicht. Als es nur die Straße entlang der Küste gab, war der Ort in den Wintermonaten von der Außenwelt abgeschnitten. Hier lebt man noch immer vom Fischfang, am Strand stehen viele Holzgestelle, in denen der Klippfisch getrocknet wird. Er wird gerne als Snack gegessen, so wie anderswo Chips beim Fernsehen geknabbert werden. Wir biegen auf die Piste 630 ab, die uns auf einen 340 Meter hohen Pass und in einem Abstecher dann noch einmal mit 10% Steigung über 3,5 Kilometer auf das Bolarfjell bringt. Der Blick von der 634 Meter senkrecht ins Meer abfallenden Klippe ist atemberaubend. Wie aus einem Flugzeug schauen wir von oben auf die Möwen und ein Wolkenband unter uns, das in den Fjord hineinzieht. Die Steilküste von Hornstrandir und Snaefjallaströnd sowie der gesamte Meeresarm Isafjardarjúp liegen vor bzw. unter uns. An klaren Tagen soll der Blick sogar bis Grönland reichen. Wir wandern fast drei Stunden über die Klippe und können uns nicht satt sehen. Der heutige Sonnenschein und die Windstille dürften wohl wie ein Sechser im Lotto sein. Bei normalem Westfjord-Wetter wird man sich hier oben kaum auf den Beinen halten können.
Auf der Straße 630 sausen wir von der Passhöhe steil auf Meereshöhe hinab in das von 600 Meter hohen Tafelbergen begrenzte, weite Tal mit dem verlassenem Hof Meirbakki. Es gibt ein paar Sommerhäuschen hier, ein Nothütte für Schiffsbrüchige und direkt am Meer eine wunderbare, kostenlose Campingwiese mit Toilettenhäuschen. Keine Frage, dass wir natürlich hier bleiben. Die Luft riecht nach Salz und Seetang. Der Nachmittag vergeht mit einem Strandspaziergang, einem Sonnenbad im warmen Sand (mit Fleezejacke und Mütze) und ganz viel Nichtstun. Mittlerweile sind wir wirklich tiefenentspannt und können Stunden damit verbringen, die Landschaft in allen Details in uns aufzunehmen, ohne dabei an irgendetwas zu denken. Bei diesen fast meditativen Betrachtungen stellt sich ein wunderbares Gefühl von Frieden und innerer Ruhe ein. Diese Muße fehlt wohl vielen Menschen. Sie hetzen, gefangen in ihrem selbstgestrickten Netz aus vermeintlichen Zwängen oder auf der Jagd nach Anerkennung und Konsum durch den Tag, haben für nichts mehr wirklich Zeit und verlernen dabei zu leben. Das macht unsere Gesellschaft krank. Da haben wir es besser, denn wir fühlen uns wirklich frei von alldem. Die Krönung dieses wunderbaren Tages ist der Sonnenuntergang über dem Meer, in orange und rot, mit den schwarzen Scherenschnitten der Felsklippen als Kulisse. Zu schön, um wahr zu sein.
Fjordhopping und ein kleines Pistenabenteuer
Fast wird es unheimlich, aber seit über einer Woche strahlt die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Dafür sind die klaren Nächte empfindlich kühl. Hinter Isafjördur führt uns die Straße 60 in einen langen Tunnel. Das besondere daran ist, dass sich die Fahrspuren nach der Hälfte der Strecke im Tunnel teilen und jeweils als einspurige Röhren (mit Ausweichbuchten bei Gegenverkehr) in verschiedenen Fjorden wieder das Tageslicht erreichen. Unsere Tour führt uns zuerst über Stichstraßen zu den verschlafenen Fischerorten Sudeyri und Flateyri, die ihre spektakuläre Lage unterhalb der Steilhänge mit hoher Lawinengefahr im Winter bezahlen.
Über den Pass der Gemjusfallsheidi geht es zum nächsten Fjord. Der Ausblick auf den tief unter uns liegenden Dyrafjördur bei der 10%-Abfahrt ist herrlich. Hier könnte man mit dem Rad so richtig sausen, aber natürlich müßte man sich das Vergnügen vorher auch hart mit dem ebenso steilen Anstieg erarbeiten. Der kleine Ort Pingeyri lohnt einen Stopp vor allem wegen des schönen Kaffíhúsið Simbahöllin. In einem historischen Holzhaus, liebevoll restauriert mit der stilgetreu belassenen Einrichtung des alten Gemischtwarenladens, befindet sich heute ein weithin bekanntes Café. Es soll eines der besten in Island sein, was wir bestätigen können, nachdem wir uns systematisch durch die Kuchentheke gefuttert haben.
Gut gestärkt wagen wir uns danach an die Umfahrung der Halbinsel auf dem Svalvogur in den Arnarfjörður. Der Weg ist sehr holprig, nach ein paar Metern knallt unsere Kochkiste wieder krachend zu Boden – das kennen wir nun schon. Die abenteuerliche, nur im Sommer mit 4WD befahrbare einspurige Piste führt teilweise hoch oberhalb des Meeres durch steile Schotterhänge mit gefährlich locker hängenden Felsen, über grüne Schafsweiden oder über kopfgroße, lose Steine und in den Fels geschlagen direkt am Wasser entlang.
Etliche Male geht es steil rauf und runter mit vielen engen Kurven. Hier sind griffige Reifen gefragt, ansonsten Schwindelfreiheit zumindest für den Fahrer. Eine wenige hundert Meter lange Passage mit kopfgroßen Kieselsteinen ist bei Sturmflut nicht fahrbar. Die Furten sind mit ca. 20 Zentimetern Tiefe kein Problem. Immer wieder passieren wir verlassene Höfe, einige werden als Sommerhäuser genutzt. Eine atemberaubend schöne Strecke mit tiefblauem Meer und steilen Felsbergen als Kulisse. Jedes Frühjahr muss die Piste wieder neu hergestellt werden, denn Schnee und Erdrutsche verschütten die Spur. Für die 50 Kilometer lange Strecke brauchen wir 2,5 Stunden, in denen wir jede Sekunde genießen.
Schließlich stoßen wir wieder auf die geschotterte Straße 60, die uns vom Arnarfjördur über die Hrafnseyrarheiði zurück nach Pingeyri bringt. In vielen Serpentinen schraubt sie sich mit 10% Steigung auf 552 Meter und bietet grandiose Ausblicke. Mit 10-15% Gefälle geht’s dann wieder runter zum Dýrafjörður. Dieser höchste Pass der Westfjorde ist nur zur Hälfte des Jahres befahrbar und es ist die einzige Verbindung nach Süden, abgesehen vom täglichen Linienflug nach Reykjavik. Seit 2017 wird daher ein Tunnel gebaut, der in diesem Herbst eröffnet werden soll. Nach und nach werden wohl die ganzen Pässe zwischen den Fjorden untertunnelt und die alten Strecken werden verfallen. Für diesen Fortschritt wird die Region viel von ihrer Schönheit verlieren. Wir haben das auch an der Küste Norwegens gesehen, wo man das Straßennetz auch sehr komfortabel ausgebaut hat und man nun von einem Tunnel zum nächsten huscht.
Pingeyri hat einen sehr schönen Campingplatz mit neuen Serviceeinrichtungen, heißen Duschen und einem Aufenthaltsraum mit Küche. Das beste aber ist der herrliche Blick auf den Fjord bei Sonnenuntergang. Am nächsten Tag hängen tief im Fjord Wolken, die von der Sonne jedoch rasch vertrieben werden. Über die Straße 60 geht es nochmal hoch zur Hrafnseyrarheiði. Rasch ist das Highlight des Tages erreicht. Der wunderschöne Dyjandiwasserfall ist absolut sehenswert. Wie ein breiter Schleier stürzt sein Wasser in freiem Fall über 100 Meter in die Tiefe, danach folgt eine Kaskade mehrerer kleinerer Wasserfälle. Steil geht es dann wieder auf die 500 Meter hohe kahle Dynjandisheidi hinauf. Auch diese Straße ist im Winter gesperrt. Im Auto ist das alles easy, aber Radfahrern wird hier im westlichen Teil der Westfjorde, wo man ständig zwischen Meereshöhe und Passquerungen wechselt, wirklich nichts geschenkt. Großartige Ausblicke auf die Fjorde sind jedoch der Lohn für den vergossenen Schweiß – bei gutem Wetter.
Wir biegen ab auf die Schotterstraße 63, die sich mit 10% Gefälle hinab zum Suðurfirðir stürzt. Rasch wandelt sich die graue Schotterlandschaft der Hochebene in grüne Heide und Wiesen. In der Bucht des Reykjarfjördur liegt direkt an der Straße ein unscheinbares, kleines Schwimmbad, man fährt fast vorbei ohne es zu bemerken. Hier legen wir natürlich eine ausgiebige Badepause ein. Das Wasser ist herrlich warm und der dahinter liegende natürliche Hot Pot ist mit 42 Grad wirklich nur etwas für im wahrsten Sinne des Wortes abgebrühte Naturen. Entspannt und etwas träge lassen wir dann den Sandfloh nach Bíldudalur gleiten. Hier beginnt wieder Asphalt, der uns über den 515 Meter hohen Pass mit den üblichen 10-12% Steigung zum nächsten Fjord mit dem Fischerort Talknafjördur bringt. Gleich darauf folgt am Ende des Fjordes noch ein ebenso steiler Pass auf 360 Meter Höhe nach Patreksfjörður. Mit fast 700 Einwohnern ist dies der mit Abstand größte Ort der Region, hier ist für heute Schluss mit dem Fjordhopping. Am Campingplatz hinter der Tankstelle wird der Bus für die Nacht geparkt, ein Rundgang durch den Ort und den Fischereihafen beenden den Tag.
Hohe Klippen und goldener Sandstrand
Der neue Morgen bringt einen grau verhangenen Himmel bei kühlen 9 Grad. Wir rollen über die Straßen 62 und 612 zur 14 Kilometer langen Klippe Latrabjarg. Der westlichste Punkt Islands ist ein bekannter Vogelfelsen. Kurz vor Latrabjarg, am Hof Asgardur mit seinen zahlreichen Sommerhäuschen, fallen uns die vielen Hinweisschilder “ Privat, parken verboten“ oder “Betreten verboten“ auf. Das haben wir bisher so in Island nicht gesehen. Aber anscheinend ist hier im Sommer touristisch einiges los. Jetzt ist die Saison hier schon vorbei, denn von den Papageientauchern, die sonst zu Tausenden am Latrabjarg nisten und die Hauptattraktion sind, ist kein einziger mehr zu sehen. Sie tummeln sich bis zur nächsten Brutsaison wieder auf dem Meer.
Die Kinder einer deutschen Familie, mit der ich ins Gespräch komme, sind daher schwer enttäuscht. Einen Umweg von mehreren hundert Kilometern haben sie für diesen Ausflug auf sich genommen. Dabei wollen sie in nur 2 Wochen die gesamte Insel mit allen touristischen Highlights “besichtigen“, die Route ist fest geplant und alle Unterkünfte sich schon im voraus gebucht. Nun ahnen sie dunkel, dass sie dafür permanent im Auto hocken und eigentlich außer der Ringstraße nichts sehen werden. Doch anstatt sich aus diesem selbst auferlegten Stress zu befreien, fügen sie locker noch einen Abstecher zu den Westmännerinseln zu ihrem Pflichtprogramm hinzu, als sie von mir hören, dass es dort im Moment noch die drolligen Vögel vielleicht zu sehen gibt. Die Kinder haben schon jetzt die Nase voll, sie tun mir ehrlich leid.
Uns gefällt die ausgiebige Klippenwanderung trotz fehlender Papageientaucher gut. Nach kurzer Zeit sind wir alleine unterwegs. Ein schmaler Pfad führt uns durch bucklige Wiesen bergauf, direkt an der Abbruchkante entlang. Bis zu 440 Meter geht es hier senkrecht ins Meer runter. Möwen bevölkern die Felswände, sie segeln elegant und lautlos im Aufwind an uns vorüber. Die tiefhängenden Wolken verhindern den Ausblick über die Steilküste und hinüber nach Snaefellsnes, aber sie dämpfen auch alle Geräusche. Eine völlige, beinahe unnatürliche Stille liegt über der Landschaft.
Am späten Nachmittag machen wir uns auf die Suche nach einem Übernachtungsplatz. Beim nahen Bauernhof Breidavik verlangt man 27 Euro für zwei Personen auf der Zeltwiese. Auch wenn wir ahnen, dass wir uns an höhere Preise in den touristischeren Gegenden gewöhnen müssen – das ist uns zu viel und wir finden mal wieder einen traumhaft schönen “wilden“ Platz. Kurz hinter Asgardur zweigt eine gegen Ende sehr steinige 4WD-Piste ab mit dem Symbol für Wanderparkplatz und der Beschilderung “Keflavik, 12 Kilometer“. Auf ihr holpern wir 8 Kilometer entlang, dann gibt es eine kleine Haltebucht, bevor die Piste 200 Meter steil hinunter zur Bucht Keflavik führt. Hier bleiben wir und genießen einen grandiosen Blick auf die Steilküste mit dem Sandstrand des Rauðasandur.
Der Rauðasandur ist unser nächstes Tagesziel. Die meisten Touristen zieht es nur zum Latrabjarg und sie sparen sich den Abstecher hierher. Dabei ist diese wunderbare Bucht mindestens so sehenswert wie der bekannte Vogelfelsen. Rauðasandur heißt “Roter Strand“, aber eigentlich ist er goldgelb. Der helle Muschelsand ist eine Besonderheit der südlichen Westfjorde, denn sonst sind Islands Sandstrände aus tiefschwarzer Lavaasche. Mit den Seehunden auf den breiten Sandbänken und den Prielen, die sich bei Ebbe bilden, hat man fast das Gefühl am Wattenmeer zu sein. Auch die Wassertemperatur ist ähnlich wie an der winterlichen Nordsee. Doch statt einem grünen Deich ragen hier die mehrere hundert Meter hohen, schwarzen Felsen der Steilküste hinter dem Strand empor und am Horizont grüßt die Eiskappe des Gletschers auf Snaefellsness.
Wir unternehmen eine schöne, lange Strandwanderung, die uns über Schafweiden, einige Felsen und weichen Sandstrand bis zu einer kleinen, vom Meer ausgewaschenen Höhle bringt. Unterwegs kommen wir an einem Ferienhaus vorbei, das nur nach einem einstündigen Fußmarsch zu erreichen ist und in völliger Einsamkeit oberhalb des Strandes liegt. Das wäre DER Ort zum Überwintern. Während der ganzen Zeit begleitet uns der freundliche Hund des Bauernhofes, an dem wir geparkt haben. Er rennt ständig wie ein Irrer um uns herum, völlig begeistert, dass wir drei Stunden lang für ihn ein Stück Treibholz zum Aportieren werfen.
Begegnung mit einem Monster
Am anderen Ende der Bucht gibt es den Campingplatz Melanes direkt am Strand und mit Panoramablick auf die Felsen von Latrabjark. Dort bleiben wir und ich starte noch einen Abendspaziergang zu den Seehunden an der Spitze der Nehrung. Auf dem Rückweg sehe ich aus der Ferne neben unserem Sandfloh ein großes, graues Haus. Das war vor einer Stunde noch nicht da…. beim Näherkommen entpuppt es sich als wahrhaft gigantisches Expeditionsmobil.
Der LKW hat sich zwischen uns und das Zelt zweier Radfahrer gequetscht, offenbar hatte er Angst alleine auf der ansonsten leeren, riesigen Zeltwiese zu stehen. Unser roter Bus sieht daneben wie ein Zwerg aus. Solche schon obszönen Ausmaße haben wir bisher bei keinem Off-Road-Monster gesehen: 6 Reifen, 3 Achsen und in luftiger Höhe schwebt eine riesige Wohnkabine mit Schießscharten ähnlichen Fenstern. Zum Pistenfahren in Island (und wohl auch anderswo) ist dieser Dinosaurier denkbar ungeeignet, dafür ist er einfach viel zu groß und breit. Die eher pragmatisch veranlagten Isländer werden sich wahrscheinlich vor Lachen krümmen, wenn sie so ein hochgerüstetes und doch gleichzeitig unbrauchbares Gefährt sehen. Wir lästern natürlich auch genüsslich über diese rollende Festung ab. Neid ist dabei absolut nicht im Spiel. Im Gegenteil, es wäre uns eher peinlich, mit solch einem Fahrzeug unterwegs zu sein. Es sind die Maßlosigkeit und die martialische Brutalität, die dieses Luxusgefährt ausdrückt und die uns so abstoßen. Ein protziges und gleichzeitig nutzloses Statussymbol, mehr nicht.
Die wahren Helden auf Islands Straßen sind für uns dagegen noch immer die Fahrradfahrer, so wie die beiden, deren Zelt das graue Ungetüm beinah platt gemacht hätte. Sie müssen bei Wind und Wetter aus eigener Kraft voran kommen und gerade die steilen Pisten der Westfjorde fordern ihnen einiges ab. Wer selbst einmal erfahren hat, welche körperliche und mentale Herausforderung das sein kann, begegnet ihnen mit höchstem Respekt.
Unsere weitere Fahrt entlang der einsamen Südküste ist lang. Die meisten Reisenden nehmen wohl daher ab Bjarnslaekur die Fähre hinüber nach Stykkishólmur auf Snaefellsness. So ist hier fast kein Autoverkehr auf der Straße 60, auch gibt es keine Siedlungen. Die Gegend gehört den Möwen und Schafen auf den grünen Weiden unterhalb der Steilküste. In Reykholar, dem einzigen Ort weit und breit, fahren wir auf den Campingplatz. Hier gibt es auf den felsigen Inselchen und im flachen Marschland am Meer viele Vögel zu beobachten und außerdem heiße Quellen. Natürlich besitzt das 170-Seelen-Dorf daher auch ein Freibad mit Hot Pot, genau richtig bei dem windig-regnerischen Wetter heute. Die einzigartige Landschaft der Westfjorde liegt hinter uns.
Wie nun lernt ihr wohl jeden Winkel und jede heiße Pfütze der Westfjorde! Wohin jetzt?