Der Alemannenweg beginnt in Erbach und endet im nur 2 Kilometer entfernten Michelstadt. Dazwischen warten 143,7 Kilometer Odenwald-Idyll auf den fleißigen Wanderer. Der Name des Wege erinnert an die Alemannen, die hier in der Antike blutige Schlachten gegen die Römer schlugen, deren Reichsgrenze mit dem Limes mitten durch den Odenwald verlief.
Ich kenne die Wanderregion zwar mittlerweile wie meine Westentassche, aber da wir seit einem Jahr in der Nähe von Michelstadt wohnen, gehört diese Tour fast zum Pflichtprogamm. Nach dem Nibelungensteig und dem Burgensteig habe ich dann alle drei „großen“ Wanderwege im Odenwald erkundet. Und es tut unendlich gut, nach der langen Winterpause wieder in der Natur mit Zelt und Rucksack unterwegs zu sein. Mit Tagesetappen von ca. 30 Kilometern werde ich jedoch nach 4,5 Tagen schon wieder zu Hause sein. Nach einem kleinen Wintereinbruch mit Schneechaos und viel Windbruch in den Wäldern vor zwei Wochen ist nun endgültig der Frühling eingekehrt und die Wetterprognose für die nächsten Tage ist hervorragend. Warme Kleidung und Regensachen kann ich mir also sparen, entsprechend leicht ist mein Gepäck.
Tipp: Am Ende dieses Blogs sind die wichtigsten Kenndaten des Alemannenweges sowie Wasserstellen, Verpflegungsmögllichkeiten und Schutzhütten im Überblick dargestellt.
Erster Tag: Von Erbach zur Neunkirchner Höhe (29 km)
Am 19. April geht es los. Bei makellos blauem Himmel und fast sommerlichen 20 Grad starte ich um 9.30 Uhr am sehenswerten Erbacher Schloss. Am Bahnhof vorbei geht es durch ein Tal sanft bergauf zum Wildtierpark Brudergrund.
Noch dringt der Autolärm der nahen Straße zu mir hinüber, doch er verstummt, als der Weg sich bei Rossdorf durch schönen Wald zur Mossauer Höhe windet. Von hier genießt man erstmals einen herrlichen Fernblick über die Odenwaldhöhen und den Streckenverlauf der nächsten Tage. Weiß leuchten die blühenden Wildkirschen und auch die Apfelbäume auf den für den Odenwald typischen Streuobstwiesen öffnen nun zaghaft ihre weiß-rosa Blüten. Über einen aussichtsreichen Weg geht es hinab ins Tal nach Ober-Mossau, wo in einer großen Brauerei das in der Region bekannte Schmucker-Bier hergestellt wird. Übernachtungsgäste des Brauerei-Hotels bekommen sogar eine Flasche des köstliches Gerstensaftes (allerdings in der alkoholfreien Version…) als Wegzehrung geschenkt. So berichten es mir zwei Wanderer, die auf dem Alemannenweg zwischen Erbach und Zwingenberg unterwegs sind.
Ein wahrer Genuss ist der weitere Weg, z.T. auf schmalen, weichen Pfaden, durch herrlichen Nadelwald hinauf zur sehr schön mitten im Wald gelegenen Ihrighütte bei Lärmfeuer. Die Bezeichnung weist darauf hin, dass hier im 30jährigen Krieg bei Anrücken des Feindes weithin sichtbare „Lärmfeuer“ als Alarmsignal entzündet wurden.
Anschließend führt der Alemannenweg ein längeres Stück auf einer Forststraße durch dichten Wald. Statt in die Ferne zu schauen, wird nun der Blick auf die Kleinigkeiten am Wegrand gelenkt. Wunderbare Stille, die nur vom rhythmischen Klopfen eines Buntspechts hoch über mir und dem Hummelgesumme in den blühenden Wildkirschen unterbrochen wird. Einige Schmetterlinge tanzen vor mir und auch ein stattlicher Maikäfer ist schon unterwegs. Die Füße laufen ganz automatisch auf dem geraden, breiten Weg, so kann man getrost die Gedanken auf Reise schicken. Für mich ist heute ein besonderer Tag. Vor genau vier Jahren startete an der Grenze USA-Mexiko meine große Wanderung auf dem Continental Divide Trail (CDT). Ein wirklich unvergessliches, phantastisches Erlebnis, für das ich ewig dankbar sein werde. Toll, dass es gerade heute wieder auf Tour geht, auch wenn es nur lächerliche 3% der damaligen Strecke sind. Wie schön wäre es, wenn Sanne, meine Tochter und treue Wegbegleiterin auf dem CDT, jetzt mit dabei wäre und wir in Erinnerungen schwelgen könnten.
Oberhalb von Beerfurth öffnet sich der Wald, eine Blumenwiese mit Fernblick über das Gersprenztal und Schloss Reichenbach verlockt zur Rast. Auf der anderen Talseite sehe ich schon mein Tagesziel, die Neunkirchner Höhe. Anstelle der Nadelbäume wachsen nun stattliche Buchenwälder auf den sanften Höhenrücken. Ziemlich steil und zum Schluss durch eine schmale Gasse geht es wirklich sehr steil hinunter nach Beerfurth und quer durch den kleinen Ort hindurch. Danach wandere ich über weite Streuobstwiesen bergan. Nun macht sich schon das mildere Klima der Bergstraße bemerkbar, die Laubbäume sind hier bereits komplett grün. Zartblauer Himmel, seidenweiche Luft und ein weiß-rosa Blütenmeer der Apfel- und Kirschbäume. Wie unglaublich schön ist es hier.
Das Teilstück zwischen Beerfurth und Burg Rodenstein ist am frühen Abend wirklich Wanderfreude in reinster Form. Da sind allerdings die müden und schwer bepackten „Wölflinge“ einer Pfadfindergruppe ganz anderer Meinung. Mit Rucksäcken, die bis in die Kniekehlen hängen, schleppen sich die Knirpse mit letzter Kraft hinauf zur Burgruine. Ihr Ziel im Fischbachtal ist noch etliche Kilometer entfernt. Da werden die Gruppenleiter wohl noch zu Hochform in Sachen Motivation auflaufen müssen.
Das erinnert mich stark an lange zurück liegende Outdoortouren mit unseren damals kleinen Kindern und ich muss innerlich grinsen.
Eine letzte Rast auf einer sonnigen Bank mit Blick auf das schöne Fachwerkgasthaus Rodenstein und die Burg. An der Quelle Eberbach werden die Wasserflaschen kurz vor der Burg gefüllt, dies ist 20 Kilometer nach dem Start in Erbach die erste gute Möglichkeit zum Wassertanken. Dann geht es durch den Buchenwald stetig bergauf. Teilweise sogar recht steil auf schmalen Pfaden, da komme ich nochmal gut ins Schwitzen. Relativ schnell ist dann um 18.30 Uhr der Höhenrücken erreicht. Bei Weg-Kilometer 29 gibt es eine große Waldwiese – ein idealer Biwakplatz mit einer Bank in der Abendsonne und einigen grasenden Rehen als Gesellschaft beim Abendessen und direkt dahinter im lichten Wald wunderbare Zeltstellen. Genau so muss ein perfekter Wandertag enden.
Zweiter Tag: Von der Neunkirchner Höhe zum Melibokus (34 km)
Den Wecker zu stellen, war total überflüssig. Lautes Vogelgezwitscher holt mich schon ab 5.00 Uhr aus meinen Träumen. Eine Stunde gönne ich mir noch, dann ist Aufstehzeit und kurz vor 7.00 Uhr wird schon wieder fleißig gelaufen.
Die klare, kühle Luft am frühen Morgen ist einfach wunderbar, die Sonne wirft lange Schatten. Rund um die Neunkirchner Höhe und den Kaiserturm sind große Flächen gerodet. Es steht praktisch kein Nadelwald mehr. Borkenkäfer und die Trockenheit der letzten Jahre waren das Aus für die nicht standortgerechten Bäume. Der Alemannenweg verläuft für ein kleines Stück auf dem „Mundart-Wanderweg“, ein echter Beitrag zur Völkerverständigung. Hier kann man an verschiedenen Stationen über das Smartphone per QR-Code einigen Erläuterungen zur Wanderregion im allerschönsten Odenwälder-Hessisch lauschen.
An der Modauquelle fülle ich erneut meine Wasserflaschen. Kurz vor Neunkirchen, dem höchsten Ort im hessischen Odenwald, geht es talwärts nach Lützelbach und Richtung Brandau. Eine Bank in der warmen Sonne kommt gerade richtig für ein ausgiebiges Frühstück. Ungefähr eine Dreiviertelstunde gönne ich mir schon, bis Porridge und Tee zubereitet und genussreich verzehrt sind.
Dann geht es weiter über weite Wiesenflächen mit blühenden Bäumen und hinauf zum Gasthaus Kuralpe. Dort füllt man mir gerne meine Wasserflasche wieder auf. Danach steigt der Weg steil bergan zum Parkplatz am Felsenmeer. Hier treffe ich bei der Mittagsrast auf Guillaume, einen jungen Franzosen und offensichtlich Fernwanderer. Am 1. April hat er seine 3.500-km-Tour auf dem Europäischen Fernwanderweg 1 in Frankreich gestartet. Sein Ziel ist das Nordkap. Es ist wunderbar, einen gleichgesinnten Wandersüchtigen zu treffen, auch wenn ich nun meine verrosteten Französichkenntnisse aus dem hintersten Hirnwinkel kramen muss. Doch Langstreckenwanderer verstehen sich auch ohne viele Worte, eine schöne Begegnung. Ich wünsche Guillaume viel Glück auf seinem weiten Weg und bin, ehrlich gesagt, nicht ganz neidlos.
Die freiliegenden Felsbrocken des Felsenmeeres wurden schon von den Römern als Steinbruch genutzt, man kann sogar noch Reste der Steinbearbeitung bewundern. Es ein sehr beliebtes Ausflugsziel im Odenwald und heute ist hier die Hölle los. Denn es sind Osterferien und überall tummeln sich Heerscharen von Familien auf den Monolithen oder belagern lautstark den Kiosk. Ein ganz schöner Rummel, unter dem die Natur sichtbar leidet. Der einstmals weiche Laubwaldboden ist verschwunden, die Pflanzendecke weggetrampelt und überall liegt Abfall neben den überquellenden Mülleimern.
Da bin ich froh, schnell dem Trubel zu entgehen, auch wenn der weitere Weg nun über breite Forststraßen ziemlich eintönig ist. Bei Kilometer 55 ist die Bergstraße erreicht. Von den Weinbergen auf dem Höhenrücken reicht der Blick weit in die Rheinebene zur Giftküche von BASF bei Ludwigshafen und dem stillgelegten Kernkraftwerk Biblis. Viel idyllischer dagegen ist auf der dem Odenwald zugewandten Seite das Fürstenlager in einem herrlichen Englischen Landschaftspark. Die um 1790 errichtete ehemalige Sommerresidenz der Landgrafen und Großherzöge von Hessen-Darmstadt in Bensheim-Auerbach ist zu jeder Jahreszeit wunderschön, besonders aber jetzt im Frühling. In Auerbach kann ich wenig später dem Biergarten des urigen Gasthauses „Alte Dorfmühle“ nicht widerstehen, Zeit für die Kaffepause.
Dann geht es wieder bergauf in den Wald zum Auerbacher Schloss. Nun machen sich die vielen bereits gelaufenen Kilometer auf den harten Forststraßen an meinen Fußsohlen bemerkbar. An der Bergstraße einen einigermaßen blick-geschützten Biwakplatz zu finden, ist nicht einfach. Zum einen ist dies bedingt durch die Topographie, da die Wege überwiegend parallel zu den den steilen Hängen verlaufen. Außerdem sind hier immer viele Mountainbiker unterwegs, deren Trails sich kreuz und quer durch den Wald ziehen. Unterhalb vom Gipfel des Melibokus, an der Forstmeister-Kurz-Hütte, zweigt ein Waldpfad von der Zufahrstraße zum Melibous ab. Dort finde ich nach ca. 400 Metern ausreichend große, einigermaßen ebene Zeltstellen zwischen den Buchen. Zwar ist auch hier ein Mountainbike-Pfad in Sichtweite, aber es ist schon fast 19.00 Uhr und die Radler werden bald ihre Feierabendrunden beendet haben. Nach 34 Kilometern in den Beinen habe ich mir mein Nachtlager redlich verdient.
Dritter Tag: Vom Melibokus nach Klein-Bieberau (32 km)
Heute ist das Wetter ein Mix aus Sonne und Wolken. Schon um 7.00 Uhr morgens stehe ich auf dem Gipfel des Melibokus, doch auch jetzt teile ich den schönen Ausblick bereits mit einem Radler und einer Joggerin.
Am Melibokus trifft der Alemannenweg auf den Nibelungensteig, der von Zwingenberg quer durch den Odenwald bis nach Freudenberg am Main verläuft. Die Markierung des Alemannenweges führt jedoch nicht die letzten 2 Kilometer bis nach Zwingenberg runter, sondern folgt auf halber Höhe dem „Commoder Weg“, der einen – nomen est omen – bequem und ohne Steigungen, aber doch etwas langweilig nach Jugenheim bringt. Das wirklich sehr sehenswerte Städtchen Zwingenberg mit seinen wunderbaren Fachwerkhäusern auszulassen, geht aber eigentlich gar nicht. Es ist schließlich einer der schönsten Orte auf der Tour. Also sollte man ab Kilometer 65,4 dem Wegweiser des Nibelungensteigs (Rotes N auf weißem Grund) folgen, der den Wanderer durch Wald und Weinberge direkt in die Zwingenberger Altstadt führt. Anschließend kann man noch 4 Kilometer auf dem Blütenweg (Gelbes B auf weißem Grund) durch Weinberge und schöne Wohnviertel mit stilvollen, alten Villen bis Jugenheim gehen, wo man wieder auf den Alemannenweg (bei Kilometer 71,2) stößt. Diese Variante ist nicht länger als die Originalwegführung des Alemannenweges, hat allerdings fast nur Asphalt. Alternativ müsste man wieder auf die Höhen ansteigen, was ca. 4 Kilometer Umweg und einige Höhenmeter mehr bedeuten würde.
Mich führt der „Commoder Weg“ jedoch auf der Originalroute weiter durch den Wald zur Ruine des kleinen Alsbacher Schlosses. Dort gibt es im noch geschlossenen Biergarten im Schlosshof für mich endlich Frühstück, in Begleitung eines Pfauenpaares und vielen freilaufenden Hühnern, die dort wohnen. Dann geht es durch einen der für die Bergstraße typischen schönen Hohlwege hinab nach Jugenheim. Am Waldparkplatz Sperbergrund bietet ein Kneippbecken eine Erfrischung für die schon heiß gelaufenen Wanderfüße. Gerade mal 10 Sekunden halte ich es im eiskalten Wasser aus. Aber gut getan hat es doch. In Jugenheim kann ich dann dem Duft aus einer Bäckerei am Weg nicht widerstehen. Ein Riesenstück Rhabarberstreusel wandert in den Rucksack für das Mittagessen.
In Jugenheim gibt es viele schöne Villen aus dem vorletzten Jahrhundert zu bewundern, es war einst eine beliebte Sommerfrische des europäischen Adels und des reichen Bürgertums. Sogar der letzte russische Zar hatte hier mit dem sehr sehenswerten Schloss Heiligenberg eine Sommerresidenz, da seine Frau aus dem Darmstädter Fürstenhaus stammte.
Durch Wald geht es dann weiter nach Seeheim. Wem der Sinn nach weiteren kulinarischen Genüssen steht, sei ein Abstecher in den Ort empfohlen, denn hier gibt es mit dem Eiscafé Natale das mit Abstand allerbeste italienische Gelato weit und breit.
Und eine Erfrischung können Wanderer nun gut brauchen, denn hinter Seeheim geht es zur Burg Frankenstein für lange Zeit bergauf, teilweise sogar relativ steil, dafür aber endlich wieder mal nicht mehr nur auf Forststraßen, sondern auf Wanderpfaden. Auch rund um den Frankenstein gibt es große Waldeinschlaggebiete und der Boden ist völlig von schweren Forstmaschinen zerstört.
Die Burgruine soll die britische Schriftstellerin Mary Shelley zu ihrem Schauerroman von Frankensteins Monster inspiriert haben. Ich fröhne dagegen eher kulinarischen Gelüsten, verzehre meinen Kuchen und gönne mir anschließend noch ein Eis vom Kiosk am Burgeingang. Am Westhang des Höhenrückens geht es wieder zurück, hinab ins Tal und dann gleich wieder bergan durch ein Wiesental zur Neutscher Höhe. Hier reicht der Blick weit nach Norden bis zum Großen Feldberg auf dem Taunuskamm und der Hochhaus-Skyline von Frankfurt.
Der Alemannenweg umgeht kurz danach das Dorf Neutsch in einem weiten Bogen, wohl um Asphaltstrecke einzusparen. Das ist ja an sich lobenswert, in diesem Fall aber wirklich schade. Denn das winzige Neutsch ist wirklich das schönste „bäuerliche“ Dorf am Alemannenweg. Hier gibt es noch einen intakten Dorfkern mit vielen wunderbar erhaltenen Hofreiten, den typischen Odenwälder Dreiseithöfen, und schönen Bauerngärten.
Hinter Neutsch läuft es sich leicht über Wiesen und durch Wald über einen Höhenzug und dann hinab zum Modautal nach Ernsthofen, nur um auf der anderen Talseite wieder bergan zu steigen. Sehr schön ist in der Abendsonne der Weg durch Wiesen entlang des Waldrandes. Mein Tagespensum ist mal wieder erreicht und pünktlich um 19.00 Uhr baue ich nach 32 Kilometern mein Zelt im einem Waldstück (Kilometer 95) oberhalb des Dorfes Klein-Bieberau auf. Ein perfekter Biwakplatz: unsichtbar vom ca. 100 Meter entfernten Fußweg und auf weichem, ebenen Laubboden. Ein anstrengender Tag durch die Aufstiege entlang der Bergstraße, aber wieder sehr schön.
Vierter Tag: Von Klein-Bieberau nach Gumpersberg (31 km)
Früh am Morgen ist es wolkenlos und ganz schön kalt. Mein innerer Schweinhund flüstert mir verführerisch ins Ohr, doch noch etwas länger im kuschelig warmen Schlafsack liegen zu bleiben. Doch der Lauftrieb siegt und so ist wie immer ist kurz vor 7.00 Uhr Abmarsch. Und das frühe Aufstehen wird reich belohnt. Eine orangefarbene Sonne geht im Morgendunst gerade an einem zartrosa-babyblauen Himmel auf und wird von den Vögeln lautstark begrüßt. Die Luft duftet nach taufeuchten Wiesen, der frisch gepflügte Acker dampft. Auch die ersten Bienen sind schon unterwegs und der Hahn im nahen Klein-Bieberau stellt seine Stimmkraft unter Beweis. Immer wieder halte ich im Gehen inne und versinke in dieser perfekten Harmonie. Die wunderbar friedvolle Stimmung über dem Tal ist fast paradox angesichts der unfassbaren Kriegsgreuel in der Ukraine, die wir seit Beginn des Angriffskrieges durch Russland am 24. Februar nun täglich in den Nachrichten sehen müssen. Um so mehr genieße ich ganz bewusst und intensiv diesen besonderen Moment, fühle mich einfach unendlich dankbar. Was für ein Geschenk.
Über einen weichen Wiesenweg gelange ich hinunter zum Hottenbacher Hof. Die Vesperstube ist natürlich noch geschlossen, so gibt es mein Frühstück erst unterhalb von Lichtenberg auf einer sonnigen Wiese mit herrlicher Aussicht. Danach werden natürlich brav auch die Zähne geputzt, was den auf seinem Traktor vorbeifahrenden Bauer leicht irritiert. Ein kurzer Aufstieg durch Wald und Wiesen und schon stehe ich auf der Terrasse des weißen Renaissanceschlosses von Lichtenberg, hoch über dem Fischbachtal. Ja, die hessischen Landgrafen wussten schon genau, wo es sich schön wohnen lässt.
Der Alemannenweg führt mich nun hinunter nach Niedernhausen und dann durch ein schönes Bachtal wieder bergauf durch dichten Wald Richtung Nonroder Höhe. Verdammt, ich brauche doch noch unbedingt ein Bild vom Lichtenberger Schloss in seiner ganzen Pracht. Also geht es kurzentschlossen weg vom Wanderweg und querfeldein hoch auf einen Hügel, um DAS Foto zu schießen. Solche spontanen Eskapaden liebe ich, aber man kann ihnen auf Dauer nur sozialverträglich nachgeben, wenn man alleine unterwegs ist. Ich laufe nun alternativ auf dem Wanderweg F3 weiter, der mich auf die Dorfstraße von Nonrod führt. Ihr folge ich und komme schließlich auf der Nonroder Höhe beim Friedwald wieder auf den Alemannenweg. Und siehe da, auch von hier hat man einen schönen Blick auf das Lichtenberger Schloss. Grund genug für eine lange Pause auf der grünen Wiese.
Leider geht es nun ab Nonrod für die restlichen 20 Kilometer des Tages ausschließlich über harte, geschotterte Forststraßen oder Asphalt. Eine echte Tortur für die Füße. Der Weg hinunter ins Gersprenztal zieht sich in der nun schon sommerlichen Mittagswärme. Brensbach liegt direkt an der vielbefahrenen B38, ein echter Kulturschock nach den Wandertagen. Immerhin gibt es aber im REWE-Supermarkt eine sehr geräumige Kundentoilette, die sich ideal für die dringend notwendige Körperpflege eignet.
Danach geht es gewaschen und mit sauberer Unterwäsche sowie frischen Wandersocken durch Brensbach, wo man recht sparsam mit den Wegweisern des Alemannenweges umgeht. Am Ortsrand passiere ich ein leuchtend gelbes Rapsfeld, das sich herrlich gegen den hellblauen Himmel abhebt. Doch mir kommen angesichts der ukrainischen Nationalfarben Assoziationen an Krieg und Tod in den Sinn – was sind das für Zeiten!
Über Schotterwege durch Felder und Wald zieht sich die Strecke hinauf zum Otzberg subjektiv in die Länge. Die Fußsohlen brennen, da tun einige hundert Meter weicher Wiesenpfad am Ortsrand von Hering unendlich gut. Weithin sichtbar thront die „Weiße Rübe“, wie der Bergfried der Veste genannt wird, auf dem Basaltkegel des Otzberges. Wer mag, kann in den Ort hinauf laufen und vom Turm aus einen weiten Blick über den Odenwald, nach Frankfurt und den Taunus genießen (ca. 2,5 km Umweg hin und zurück).
Der Alemannenweg verläuft nun eine ganzes Stück parallel zu einer nur wenig befahrenen Landstraße und einige Zeit endlich auf einem schmalen Pfad! Schnell ist der Ort Hassenroth erreicht, wo ich auf dem Friedhof noch einmal meine Wasserflaschen nachfülle. Es wird langsam Abend und meine Füße mögen nun wirklich nicht mehr. Eine gewisse Entschädigung für den Schotterweg bietet die wirklich sehr schöne Fernsicht von der „Hohen Straße“, über die der Alemannenweg nun verläuft. Diese alte Handelsroute zieht sich über die Höhen vom Taunus und Odenwald bis hinunter zum Neckar. Hier treffe ich auf drei Studenten mit Zelt und Liegematten im Gepäck, die den Alemannenweg in umgekehrten Richtung bis Darmstadt wandern und heute in Michelstadt, dem Endpunkt meiner Wanderung, gestartet sind.
Mittlerweile ist es schon Abend, die Sonne ist verschwunden und ein kalter Wind fegt über die Höhe. Das ist der angekündigte Wetterumschwung. Es wird Zeit, sich einen Platz zum Schlafen zu suchen. Etwas oberhalb vom Ort Gumpersberg biege ich bei Kilometer 126 vom Alemannenweg ab auf einen Wiesenweg, der mich nach Osten in den Wald am Buchböhl führt. Nach ca. 200 Metern komme ich hinter einer Wiese auf ein flaches, lichtes Waldstück, gut geschützt vom heftigen Wind. Ein idealer Biwakplatz. Um 19.00 Uhr steht das Zelt, eine Stunde später liege ich schon im Schlafsack. Ein guter Wandertag, die Etappe morgen wird kurz.
Tag 5: Von Gumpersberg-Buchböhl nach Michelstadt (18 km)
Nachts rauscht der Wind kräftig in den Wipfeln. Ich bete, dass alle Bäume stehen bleiben. Das herrliche Sonnenwetter der letzten Tage scheint vorüber. Morgens um 7.00 Uhr ist es auf der Hohen Straße echt kalt, der Himmel sehr stark bewölkt und der Nordwind beißt im Gesicht. Da bin ich trotz der wunderbaren Fernblicke doch froh, dass der Alemannenweg mich hinunter ins geschützte Tal nach Wallbach führt. Als sollte die gestrige „harte“ Etappe wettgemacht werden, geht es heute fast nur auf schönen, weichen Wegen. Und selbst wenn es einmal auf einer Forstautobahn lang geht, gibt es einen grünen Mittelstreifen zum Laufen. So läßt es sich leicht und beschwingt wandern. Und das ist auch gut so, denn meine Füße beschweren sich noch immer über die Zumutungen des Vortages.
Wallbach liegt noch im tiefen Schlummer, es ist schließlich Wochenende. Doch das gilt nicht für den muskulösen, großen Hofhund, der auf der Dorfstraße patroulliert und wohl immer im Dienst ist. Wütend bellend spring er mir entgegen, um sein Revier zu verteidigen. Mit gesenktem Blick und maximalen Abstand, beruhigend vor mich hin brummelnd und die Wanderstöcke schützend nach hinten gerichtet, komme ich heil an dem Ungeheuer vorbei.
Direkt hinter dem Ort steigt der Weg an und erreicht schließlich an der Kreisstraße wieder den Höhenkamm. Der weitere Weg führt nun sehr schön durch Wiesen mit weitem Blick über die Odenwaldhöhen. So kann ich einige Wegpunkte der vergangenen Tage, wie die Neunkirchner Höhe oder Schloss Reichenbach, noch einmal aus der Ferne sehen.
Kurz vor Böllstein gibt es auf einer windgeschützten Bank mit Panoramablick ein letztes Frühstück. Mit dem restlichen Gas meiner Kartusche kann ich so gerade noch heißes Wasser für mein Porridge kochen, auch eine halbe Tasse lauwarmer Tee ist noch drin. Das war punktgenau kalkuliert, Glück gehabt.
Schließlich geht es bei Spreng in dichten Nadelwald und dann hinab ins schöne Rehbachtal. Der Einhardsbrunnen ist die letzte Station, bevor ich gegen 12.00 Uhr den ehrwürdigen Bau der über 1200 Jahre alten Einhardsbasilika in Michelstadt-Steinbach und damit das Ende des Wanderweges erreiche.
Unbedingt sollte man aber der nur ca. 15 Minuten Fußweg entfernten Michelstädter Altstadt mit ihren schönen Fachwerkhäusern einen Besuch abstatten und vor allem das berühmte gotische Rathaus von 1484 bewundern, das eines der schönsten in Deutschland sein soll. Und welch ein Glück, dass es auf dem Rathausplatz ein gutes Café mit hervorragenden Kuchen zur Belohnung der erfolgreichen Wanderung gibt.
Meine Tour auf dem Alemannenweg im Überblick
Start: Erbach Marktplatz
Ende: Michelstadt-Steinbach (Tipp: unbedingt ca. 1,2 km weiter laufen bis in die Altstadt)
An-und Abreise: RB 82/Odenwaldbahn im RMV nach/von Erbach Bahnhof bzw. Michelstadt-Bahnhof
Länge: rund 144 Kilometer,
Höhenmeter: 3.750 Meter bergauf und bergab
niedrigster / höchster Punkt: 123 Meter / 499 Meter
Zeitbedarf: ca. 40 Stunden reine Laufzeit
Kennzeichen: sehr abwechslungsreicher Panorama-Rundkurs durch hügelige Mittelgebirgslandschaft, vorbildlich markierter Qualitätswanderweg, leider nur ca. 8 % naturbelassene Pfade/Wege, sonst überwiegend Forststraßen. Daher meist harter Untergrund mit ca. 46 % Schotter, -Asphalt- oder Straßenbelag.
Mein Gepäck
Am Körper sind: Zipp-Hose, Unterhose, BH, Unterhemd, Langarmhemd (mit krempelbaren Ärmeln), Baseball-Kappe, Strümpfe, Trailrunner-Schuhe, Wanderstöcke, 3-Lagen-Goretex-Jacke (zeitweise), Smartphone
Im Rucksack sind: leichtes 1-Personenzelt, Schlafsack, Liegematte, 3-Lagen-Goretex-Jacke (zeitweise) Wasserflaschen (1,0 l + 0,5 l), Wasserfilter, Körperpflege (Zahnbürste, Zahnpasta, Haarbürste, Toilettenpapier), 1. Hilfe-Set, Taschenmesser, Stirnlampe, Berghaferl, Löffel, Kocher, Mini-Gaskartusche, Windschutz, Feuerzeug, Ersatz-Unterhose, Ersatzstrümpfe, Powerbank, Ladekabel sowie Proviant für die 4,5 Tagesetappen (375 g Porridge, 300 g Cracker, 300 g Instant-Kartoffelbrei, Teebeutel.
Orientierung/Navigation:
Wander- und Radwanderkarten Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald, 1:20 000, Karten Nr. 1, 2, 5, 6
Sehr gute Beschilderung mit Wegweisern (Rotes A auf weißem Grund) und zusätzlich an markanten Wegpunkten Entfernungsangaben zu den nächsten Zielen. Trotzdem hilfreich ist der von der Alemannenweg-Webseite zur Verfügung gestellte GPX-Track zum kostenlosen Download. Zusätzliche Wanderkarten sind dann nicht nötig.
Etappenplanung und Übernachtung:
Die offizielle Webseite des Alemannenweges bietet detaillierte Informationen zur Planung. Hier werden sieben Tagesetappen empfohlen mit einer Länge zwischen 19 und 24 Kilometern. Am Ende jeder Etappe gibt es Übernachtungsmöglichkeiten in Hotels oder Pensionen.
Meine Tour hatte vier Ganztagesetappen mit einer Länge von 29 bis 34 Kilometern und eine Halbtagesetappe von 18 Kilometern. Wer also flexibel sein möchte, muss Schlafsack, Liegematte und Zelt oder Tarp bzw. Biwaksack mitnehmen und im Wald übernachten. Einen Campingplatz gibt es nur in Lichtenberg/Fischbachtal (Nähe Weg-Kilometer 100).
Unterwegs findet man natürlich auch Schutzhütten, das sind aber stets offene Unterstände mit Sitzbänken, die zum Schlafen recht schmal sind und Lehmboden. Oft an markanten und daher frequentierten Wegkreuzungen gelegen. Ich übernachte daher dort nur im Notfall.
Weg-km | Schutzhütten |
0,0 | Start / Erbach, Marktplatz |
11,0 | Ihrighütte/Lärmfeuer, sehr schöne Lage einsam im Wald |
32,4 | Neunkirchner Höhe, Kaiserturm (viel Betrieb) |
38,6 | Streiterhütte |
47,9 | Peter-Grieshammer-Ruhe/Felsenmeer (viel Betrieb) |
51,5 | Selterwasserhäuschen (sehr klein) |
52,5 | Zeppelinshütte |
57,8 | Dr.-Hans-Wilhelm Hütte |
59,7 | Paul-Forster-Hütte |
62,5 | Forstmeister-Kunz-Hütte (an Zufahrtstraße zum Melibokus, ziemlich dreckig) |
69,1 | Schutzhütte Alsbach |
74,5 | Alexandertempel |
77,0 | Schutzhütte Seeheim |
78,2 | Hütte am Zehn-Wege-Platz |
90,8 | Schutzhütte Gg. Klinger-Blick |
94,5 | Julius-Scriba-Hütte |
96,3 | Schutzhütte Klein-Bieberau |
110,0 | Schutzhütte Heilsruhe |
136,0 | Schutzhütte Galgen |
142,2 | Schutzhütte Einhardquelle |
143,7 | Ende / Einhardbaslika Michelstadt-Steinbach |
Wasserstellen und Einkaufsmöglichkeiten
Wasser bekommt man vorzugsweise auf Friedhöfen oder in den Orten an Brunnen. Auch wenn dort der offizielle Hinweis „kein Trinkwasser“ steht, kann man es nach meiner langjährigen Erfahrung nutzen. Wer mag, kann natürlich filtern. Außerdem kommt man an zahlreichen Bächen vorbei, hier sollte man grundsätzlich filtern. Um die Neunkirchner Höhe herum gibt es einige Quellen. In Ortschaften kann man auch immer in Geschäften und Gaststätten (Öffnungszeiten beachten) oder auch Privathäusern um das Auffüllen der Wasserflaschen bitten. Niemand wird einen durstigen Wanderer abweisen, im Gegenteil freuen sich die Leute meistens darüber, helfen zu können.
Außerdem kommt man jeden Tag auch an Gaststätten und Cafés/Bäckereien für eine Extraportion vorbei und in drei Orten gibt es auch Supermärkte zum Einkaufen. Allerdings schleppt man dann ggf. zusätzliches Gewicht mit, weil die Packungsgröße nicht den wirklich benötigten Portionen entspricht.
Weg-km | alle Wasserstellen, Einkehr- u. Einkaufsmöglichkeiten am Weg (Auswahl) |
0,0 | Start / Erbach, Marktplatz |
8,0 | Ortschaft Ober-Mossau, Bauerei-Hotel-Restaurant Schmucker |
20,2 | Ortschaft Beerfurt, Pump-Brunnen bei Querung B 38 (Wasser steht im Rohr, filtern) |
26,6 | Gasthaus Rodenstein, kurz davor Quellbach |
32,0 | Gersprenzquelle (stehendes Wasser im Quelltopf, daher filtern) |
35,1 | Modauquelle |
37,5 | Ortschaft Lützelbach, Brunnen und Friedhof am Weg |
40,0 | Ortschaft Brandau, Friedhof am Weg |
44,5 | Ortschaft Beedenkirchen, Gasthaus Zur Linde |
46,8 | Gasthaus Kuralpe |
57,0 | Ortschaft Auerbach, Kiosk im Fürstenlager, Waldfriedhof (etwas abseits des Weges), Gasthof Alte-Dorfmühle, Brunnen am Biergarten der Alten Dorfmühle |
72,0 | Ortschaft Jugenheim, Gaststätten, Einzelhandel, REWE-Supermarkt |
82,0 | Burg Frankenstein mit Kiosk und Restaurant |
92,1 | Ortschaft Ernsthofen, Friedhof |
98,0 | Vesperstube Hottenbacher Hof |
101,0 | Ortschaft Niedernhausen-Fischbachtal, EDEKA-Supermarkt (am nördlichen Ortsausgang), Gasthof Brunnenwirt |
112,0 | Ortschaft Brensbach, REWE-Supermarkt an B 38 |
114,0 | Brunnen am Hinterwaldteich |
124 | Ortschaft Hassenrroth, Friedhof |
130,6 | Ortschaft Böllstein, Friedhof (ca. 80 m vom Weg) |
142,2 | Einhardquelle |
143,7 | Ende / Einhardbasisilka Michelstadt-Steinbach |
Schöne Tour! Da wäre ich auch gerne dabei gewesen…
Toller Bericht deiner Frühlingstour!
Vielen Dank!
Vielen Dank für die ausführlichen Infos zu Wasserstellen, Schutzhütten usw.
Großartiger Bericht, es hat mir viel Freude gemacht, das alles zu lesen und dabei gedanklich meine eigene Tour 2024 zu planen. Klasse!