Durch Karelien nach Helsinki

Über schmale Pisten fahren wir am 14.9. weiter nach Süden, immer parallel zur finnisch-russischen Grenze. Die ungeteerten, meist nur einspurigen Straßen sind in sehr gutem Zustand, trotzdem ist aufmerksames Fahren angesagt. Denn sehr häufig ähnelt die Strecke über die endlosen, extrem steilen Moränenkuppen einer wahren Achterbahnfahrt. Einerseits muss man mit dem nötigen Schwung hinauf, andererseits kann natürlich auf dem nicht einsehbaren Scheitelpunkt urplötzlich ein Rentier oder sogar ein Auto auftauchen. Ersteres ist wahrscheinlicher, denn auf einer Strecke von 150 Kilometern begegnen uns nur zwei Autos.

Kareliens Nebenstraßen sind ungeteert und einsam
An den unendlich vielen Seen gibt es herrliche Stellplätze
Zur Abwechslung geht es mal durch Kiefernwald…
dann leuchten wieder Birken golden in herrlichem Herbstlaub

So kurven wir mit maximal 40 bis 50 km/h entlang vieler der rund 189.000 finnischen Seen, durch bunten Wald mit Birken, Tannen und Kiefern.  Wir kommen durch keinen einzigen Ort, es gibt nur ab und zu ein einsames Haus abseits der Straße. Mitten in diesem Nirgendwo übernachten wir an einem See, genießen die große Einsamkeit. Insgeheim graut mir schon vor dem Trubel, der Hektik und Enge im heimischen Mitteleuropa.

Im Hossa-Nationalpark unternehmen wir bei recht gutem Herbstwetter eine Halbtageswanderung entlang des Seecanyons Julma-Ölkky, über dessen steilste Stelle eine schwankende Hängebrücke führt. Am nächsten Tag wandern wir zu den berühmten steinzeitlichen Felszeichnungen. Sie sind nur von einem Steg im Wasser aus zu betrachten und zeigen menschliche Figuren und einige Tiere. 

Seecanyon Julma-Ölkky im Hossa-Nationalpark
Besucherplattform zu den steinzeitlichen Felzzeichnungen
abstrakte Kunst aus der Steinzeit

Zurück im Besucherzentrum des Nationalparks nutzen wir das gute WLAN, um die letzten beiden Blogbeiträge mit Bildern aufzubereiten, was ewig dauert. Aber auch Büroarbeit muss mal sein, wir haben ja schließlich keinen Urlaub. Nachmittags holpern wir durch die Taiga mit dichten, hohen Nadelwald, über extrem schmale und steinige Pisten – der Sandfloh passt so gerade noch durch die von Birkengestrüpp zugewachsene Spur. An den Bäumen auf der östlichen Seite der Piste warnen gelbe Schilder vor dem Betreten des Waldes. Wir befinden uns unmittelbar an der Grenze nach Russland. Eine etwas abenteuerliche Strecke, die Spaß macht.

Immer weiter geht es nach Süden. In der Mitte Finnlands wachsen die Bäume wieder sichtlich höher, es gibt ab und zu Viehweiden und zumindest auf den größeren Straßen begegnen uns nun einige Autos. Die Bevölkerungsdichte hat sich gegenüber dem Norden schon verdreifacht, auch wenn sie mit 1,6 Einwohnern pro Quadratkilometer immer noch lächerlich gering ist. Doch Kuhmo mit seinen rund 8.000 Einwohnern ist schon eine richtige Stadt mit Einkaufsstraße und Lokalen, u.a. einem sehr schönen Café, was für uns ja immer ein Indikator der Zivilisationnähe ist. Doch die Abgeschiedenheit, die wir so lieben, bleibt uns noch erhalten. In der Nähe des Hiidenporti Nationalparks finden wir wieder einen einsamen Stellplatz am See Mäntijärvi. Hier hat der Reisende alles zum Glücklichsein: Sandstrand, Blaubeeren, einen Shelter mit Feuerstelle und Holz und eine Trockentoilette. Außerdem schöne Spazierwege um den See. Vor allem aber eine absolute Ruhe.

Unser nächstes Ziel ist Ruuna, ein Erholungsgebiet östlich des Pielinensees nahe der russischen Grenze. Hier gibt es viele tolle Wanderwege und, wie so oft in Finnland, viele hervorragende Naturzeltstellen mit Shelter, Feuer-Platz und Plumpsklo an Seen und Flüssen. Es ist Wochenende und es sind ziemlich viele Leute hier unterwegs. Natürlich wird an den Feuerstellen gegrillt und kernige Naturburschen präsentieren sich in voller Outdoormontur lässig beim Fliegenfischen im Fluss oder Kajakfahren in den Stromschnellen. Unsere knapp 100 Kilometer lange Fahrt dorthin führt wieder  ausschließlich über schmale Schotterwege durch den unendlichen, dichten Wald, ohne jegliche Besiedlung. Abseits der Asphaltstraßen sind nicht mehr als 50 km/h möglich, dafür sind wir völlig alleine unterwegs.

Echte Kerle beim Fliegenfischen
Wanderung im Ruuna-Nationalpark
Moor-Wanderung im Nationalpark Patvinsuon

Eine Fahrtstunde weiter über die ungeteerten Sträßchen liegt schon der Nationalpark Patvinsuon, der bekannt ist für seine ausgedehnten Moore und eine hohe Bärenpopulation. Auf unseren kleinen Wanderungen finden wir jedoch nur Unmengen Preiselbeeren und noch die letzten Reste von Blaubeeren. Wer den Meister des Waldes live sehen will, muss zu einer der kommerziellen Beobachtungsstationen. Dort werden die Tiere mit Futter angelockt, so dass die sicher in einem Verschlag wartenden Touristen ihre Fotos von „Bären in freier Wildbahn“ schießen können. Nein, das ist nicht unsere Vorstellung von Wildnisabenteuer. Als kleine Entschädigung begegnet uns jedoch auf der Piste ein wahres Prachtexemplar eines Elchbullen mit imponierendem Schaufel-Geweih. Direkt vor uns quert er die Straße. Das gewaltige Tier kann locker von oben herab auf unseren immerhin fast 2,20 m hohen Bus schauen. Wir kommen uns vor wie in Jurassic Park und sind sehr beeindruckt.

Am nächsten Tag ist zur Abwechslung ein Stadtbummel angesagt. Nur 90 Minuten Fahrzeit liegen zwischen der Waldeinsamkeit und der Universitätsstadt Joensuu. Mit ihren 80.000 Einwohnern ist es die Metropole Kareliens. Was für ein Kontrast. Plötzlich gibt es wieder viele Autos, Einkaufszentren mit Lidl und Co und sogar eine mehrspurige Stadtautobahn.

und plötzlich wieder in der Zivilisation….
Rathaus in Joensuu

Im Stadtzentrum finden wir eine weitläufige Fußgängerzone mit Shoppingmalls, Parks und, Gott sei Dank, ein sehr schönes Café mit ausgezeichneten Kuchen. Die Stadt wurde durch die russische Armee im Zweiten Weltkrieg fast ganz zerstört und hat nur noch wenige hübsche alte Holzhäuser sowie ein sehenswertes Rathaus im Jugendstil und eine russisch-orthodoxe Holzkirche. Auf dem modernen Platz im Zentrum erwartet uns ein überraschendes Highlight: eine Verkaufsshow von Wohnmobilen und Wohnwagen in allen Größen und Preisklassen. Die schauen wir uns natürlich gerne an. Verglichen mit unserem spartanisch-praktischen Sandfloh sind das alles mobile Luxuswohnungen. Wahrhaft gigantisch ist ein  3-achsiges, us-amerikanisches Wohnmobil mit ausfahrbaren Seitenteilen. Innen gibt es eine  geräumige 3-Zimmerwohnung mit allen denkbaren Elektrogeräten und zwei riesigen Flachbildschirmen, einen für drinnen und einen für draußen. Das gebrauchte Monstrum kostet nur schlappe 500.000 Euro. Mal interessant anzuschauen, aber total verrückt. Bei überraschend schönem Herbstsonnenschein genießen wir den Stadtbummel.

Außerdem gönnen wir uns mal wieder einen Campingplatz. Rund 50 Kilometer südlich der Stadt fahren wir auf einen winzigen Platz an einem See. Wir stehen im Garten eines wunderschönen alten Holzhauses, das aussieht wie Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt, mit traumhaften Blick über das Wasser. Abends gibt es noch eine kleine Kanutour auf dem See. Urplötzlich verdunkelt sich der Himmel, über unseren Köpfen beginnt es zu brausen. Ein Unwetter? Nein, nur unzählige Wildgänse, die sich für den Winter rüsten. Genau wie wir ziehen sie nach Süden. Ganze Wolken von wild trompetenden Vögeln fliegen über das Wasser, ein großartiges Schauspiel.

Abendstimmung am Campingplatz

Und wieder zieht es uns am nächsten Tag in die Natur. Der Nationalpark Kolovesi ist durch seine Süßwasserkegelrobben bekannt, man sieht sie jedoch nur mit viel Glück vom Boot aus. Aber die kleine Wanderung durch den urig-felsigen Nadelwald zum See ist auch sehr schön. Weiter geht die Fahrt nach Süden. Die Wälder werden nun zunehmend unterbrochen durch Wiesen und Stoppelfelder. Wahrhaftig, es gibt wieder Getreidefelder. Die Laubbäume sind noch lange nicht so bunt wie im Norden, hier überwiegt noch das Grün. Ganz besonders mag ich die Birkenwälder mit ihren flirrenden Blättern und schlanken, weiß-schwarz gemusterten Stämmen. Abends steht dann der Sandfloh wieder an einem Strand und es gibt ein wärmendes Lagerfeuer.

Die mächtige Burg in Savonlinna
und am Saimaa-See wieder ein traumhafter Stellplatz für einem gemütlichen Nachmittag und eine ruhige Nacht

Nachts war es kühl und ein strahlender Herbsttag bringt uns Temperaturen von knapp 10 Grad. So können wir bei unserem Bummel durch die Stadt Savonlinna gemütlich auf der Parkbank in der Sonne den Blick auf die mächtige Festungsanlage Olavinlinna genießen. Die mittelalterliche Burg liegt spektakulär auf Felsen im See. Im Sommer kann man wunderbar in den Lokalen an der Uferpromenade sitzen oder mit einem der alten Dampfschiffe über den wunderschönen See tuckern. Doch dafür sind wir einfach zu spät dran, jetzt ist alles schon eingemottet. Eine gute Stunde Fahrtzeit bringt uns nach Puumala und kurz danach an einen wahren Traumstellplatz, den wir dank Park4night finden. Ganz weit weg von Straßen, am flachen Sandstrand eines der blauen Seen im Labyrinth des Saimaa-Archipels. Der richtige Platz zum Teetrinken, lesen und träumen in der milden Sonne. Finnland wie aus dem Bilderbuch.

Je näher wir Lappeenranta kommen, desto stärker wird der Autoverkehr und für kurze Abschnitte fahren wir sogar auf einer Autobahn. Die Stadt liegt nahe der Grenze und gerne kommen die russischen Nachbarn zum Einkaufen hierher. Lappeenranta ist nicht besonders schön. Eine große Papierfabrik dominiert das Stadtbild, es gibt einen netten Sporthafen und eine große historische Festungsanlage. Die kleine Fußgängerzone mit Einkaufszentren lädt uns nicht zu einem gemütlichen Bummel ein, vielleicht liegt es auch am ungemütlichen Wetter. Wir trösten uns mit den ausgiebigen Besuchen von gleich zwei guten Cafés. Im Wald, ca. 15 Kilometer außerhalb der Stadt, finden wir einen ruhigen Stellplatz für die Nacht. Schon gegen 17.00 Uhr dämmert es nun schon und 2,5 Stunden später ist es bereits stockdunkel.

Lappeenranta

Am nächsten Morgen hüllt sich der See in dichten Nebel, aus dem nur zögerlich die Uferlinie und Inselchen wieder auftauchen. Sehr schön sieht das aus. Vor allem, wenn man dabei im gut geheizten Bus gemütlich frühstücken kann und das nasskalte Herbstwetter draußen bleibt. Weiter geht dann unsere Fahrt nach Südosten. Im Süden Karliens ist es mit der Waldeinsamkeit nun endgültig vorbei. Ab nun ist Kulturprogramm mit Sightseeing angesagt.

Unsere nächsten Station ist die Stadt Kotka, wo wir nach drei Monaten wieder die Ostsee erreichen. Auch hier gibt es mitten in der Stadt eine riesige Papierfabrik. Nach einem Bummel am Meer und dem obligatorischen Cafébesuch fahren wir zu einem Stellplatz an den Stromschnellen Siikakosken am Kymijoki. Dies soll einer der fischreichsten Finnlands sein und trotz des nass-kalten Wetters sind viele Angler am Ufer. Einige übernachten sogar im Zelt.

Industriedenkmal Strömfors

Einen Zwischenstopp wert ist Strömfors, wo es eine wassergetriebene Schmiedefabrik aus dem 19. Jahrhundert und das zugehörige Dorf für die Arbeiter zu besichtigen gibt. Gut gefallen uns die Altstädte von Loviisa und Porvoo mit ihren sehr schönen Holzhäusern. Hier sieht es aus wie auf den Bildern in Astrid Lindgrens Büchern, wobei Porvoo uns schon zu touristisch ist. Ein Andenkenladen und Lokal reiht sich an das nächste. Und in der Touribroschüre wird sehr nachdrücklich darauf gedrungen, doch die Privatsphäre der Einwohner zu achten und nicht in deren Grundstücke zu spazieren und zu fotografieren. Das deutet auf sehr unangenehmen Massenandrang im Sommer hin, auch jetzt sind viele Besucher in den engen Sträßchen unterwegs. Wie in den Städten zuvor sind wir rein zufällig zur Mittagszeit hier und müssen daher zwangsläufig ein Café aufsuchen. Und dann steht auch schon an einem ruhigen Sandstrand unter Kiefern die letzte „wilde“ Übernachtung an.

Touristenmagnet Porvoo
etwas abseits gibt es in der Altstadt von Porvoo noch ruhige Gassen

Die letzten beiden Tage unserer Skandinavien-Rundtour verbringen wir in Helsinki. Bei strahlendem Sonnenschein könnte die hippe Hauptstadt schöner nicht sein. Das Zentrum ist kompakt und leicht zu Fuß zu erkunden. Sehr schön ist die Kamppi Kappelle, ein schlichter runder Bau, innen und außen vollständig aus Holz. Hier hat man das Gefühl, in einem großen Ei geborgen zu sein. Vom geschäftigen Straßenlärm ist nichts zu spüren. Wirklich eindrucksvoll natürlich auch die Temppeliaukion Kirche, die in den rohen Granitfelsen geschlagen wurde. Beides ruhige Orte der Besinnung – und eine Erinnerung an die Natur des Nordens.

letzte Etappe unserer Reise ist Helsinki

Entspanntes Bummeln über elegante Einkaufsstraßen mit tollen Designerläden, abhängen in den unzähligen Straßencafés in der Herbstsonne, die modisch gestylten Passanten an der Ostseepromenade an sich vorbei ziehen lassen und nebenher die spannende Architektur mit einem Mix aus Neoklassizismus, Moderne und Jugendstil genießen, so kann sogar uns das Stadtleben für eine gewisse Zeit gut gefallen. Das Leben in Helsinki erscheint auf den ersten Blick schick, cool, teuer – und hat mit dem Finnland, wie wir es bisher kennengelernt haben, absolut nichts gemein.

Am 28.9. nimmt unsere Fähre von Helsinki aus Kurs auf Travemünde. Hinter uns liegen 12 erlebnisreiche Wochen, die wie im Flug vergangen sind.

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