Über 4.500 Kilometer sind wir nun gefahren und kommen am 28.08. endlich nach Georgien. Schon die Einreise ist ein Erlebnis für sich. Olaf darf mit dem Auto über die Grenze fahren, ich muss jedoch aussteigen (angeblich, weil ich nicht Eigentümer des Autos bin) und den Grenzübergang für Fußgänger nehmen, was sich als wahrer Überlebenskampf erweist. Vor den beiden Schaltern der Grenzbeamten auf türkischer Seite drängen sich Massen von Türken und Georgiern. In einer Reihe anstehen ist nicht angesagt, nein – es wird beschubst, gequetscht und gepresst. Dadurch geht es zwar nicht schneller, aber man hat wirklich hautnahen Kontakt mit Einwohnern beider Länder. Dabei geht es rücksichtslos zu. Ellenbogen, Körpermasse und Koffer werden im Kampf um jeden Zentimeter eingesetzt. Die Luft ist zum Ersticken, der Schweiß rinnt in Strömen. Vor mir fällt eine Frau in Ohnmacht, was zum Unmut der Umstehenden für weitere Verzögerung sorgt. Nach über einer Stunde Nahkampf bin ich durch die Passkontrolle durch, die Einreise nach Georgien ist in fünf Minuten erledigt. Olaf wartet schon auf der georgischen Seite auf mich. Er hat ca. eine halbe Stunde gebraucht.In Georgien überrascht uns zuerst mal die überaus sportliche Fahrweise. Jeder ist schnell unterwegs, Verkehrsregeln scheint es nicht zu geben, einzig die Ampeln werden beachtet.Nach 14 Kilometern ist Batumi erreicht.
Als Erstes fallen uns die ultramodernen, futuristischen Hochhaustürme der Luxushotels am Meer auf, für deren Bau man die halbe Altstadt abgerissen hat.Wir parken an einem Park in der Innenstadt und bummeln bis zum Abend herum. Heute ist Feiertag und so ist ziemlich viel los an der langen Palmen gesäumten Promenade am Meer und auf den Geschäftsstraßen. Man mag kaum glauben, dass man sich in einem eigentlich ziemlich armen Land befindet, wenn man die Glitzerfassaden der Läden, die elegant gekleideten Passanten und die vielen teuren Autos sieht. Sehr schön sind die noch verbliebenen Prachtbauten aus der Belle Epoque, der zentrale Hauptplatz der Altstadt, der Mejdan, wird von aufwendig verzierten und mit Erkern geschmückten modernen Häusern und einigen Jugenstilbauten begrenzt, in der Mitte befindet sich eine Parkanlage. Überall gibt es gut besuchte Straßenrestaurants, Verkaufsstände und Musikanten. Und man sieht endlich auch wieder viele luftig-bunt gekleidete Frauen. Batumi gilt als Lieblings-Sommerferienort der Georgier, aber auch etliche arabische Familien sieht man. Es herrscht eine entspannte, angenehme Atmosphäre. Abends sitzen wir noch lange im Park vor unserem Auto und übernachten auch hier.Auch den folgenden Vormittag verbummeln wir in der Altstadt von Batumi. Sehr schön sind die kleineren, schattigen Straßen, in denen noch die alten Häuser stehen. Sehr ernüchternd dagegen ein Blick in die Hinterhöfe mit den verfallenen Wohnhäusern. Eine interessante Stadt, es gefällt uns gut hier.
Dann geht es weiter Richtung Norden parallel zur Küste. Wieder verblüffen uns die extrem risikoverliebten Fahrer der großen schwarzen Limousinen, die mit Höchstgeschwindigkeit so knapp überholen, dass sie die anderen Autos auf den Standstreifen abdrängen, um eine Kollision mit den Gegenverkehr zu vermeiden. Abseits der neuen Schnellstraße muss man außerdem unheimlich aufpassen wegen der sehr tiefen Schlaglöcher und der zahlreichen Kühe, die in aller Seelenruhe mitten auf der Fahrbahn stehen und den Verkehr blockieren.
An einem Sandstrand machen wir eine lange, gemütliche Mittagspause. Leider ist der Strand total vermüllt durch angeschwemmten Abfall. Da kann ungefähr erahnen, wie es auf dem Meeresboden aussehen mag. Immer näher kommen wir nun an die Berge, die unvermittelt aus der Küstenebene auf 2000 Meter ansteigen. An einem Brunnen zapfen wir Wasser und treffen zwei Tourenradler, die von Italien kommend kreuz und quer durch die Türkei geradelt und jetzt auf dem Weg in den Iran und Oman sind. So luxuriös wir es in unserem Bus auch haben, irgendwie beneide ich die beiden. Kurz hinter dem kleinen Ort Jvari biegt die Straße in das Tal des Inguri ab. Beim “ Schwanenturm“, einem Wachturm aus dem Mittelalter, biegen wir auf einen schmalen Pfad ab, der uns zur einer Wiese am Flussufer bringt. Ein herrlicher Platz für die Nacht mit wunderbaren Blick auf felsiger Berghänge. Wir sitzen lange nachts draußen und bewundern den glitzernden Sternenhimmel mit der Milchstraße.
Nun geht es wirklich hinauf in die Berge des Kaukasus. Bis zu 5.600 m ist das Gebirge hoch und über 1200 Kilometer lang, damit größer und höher als die Alpen. Vor allem aber viel ursprünglicher. Wir sind in Swanetien, ein Name wie aus dem Märchenbuch – und märchenhaft schön ist es wirklich hier. Bisher gibt es noch keine breiten Straßen, keine Hotelburgen und nur eine Handvoll Skilifte und Seilbahnen, obwohl die Region schon zu Sowjetzeiten ein beliebtes Ferienziel war. Die üppig grün bewaldeten Täler sind tief und eng, unten rauschen schäumende Gebirgsflüsse. An den Hängen kleben winzige Bergdörfer, oft nur zehn flache Häuschen, umgeben von Gemüsegärten und kleinen Feldern. Das Heu wird mit der Sense geschnitten und mit Ochsenkarren eingebracht. Kühe, Schweine und Hühner laufen überall frei herum, auch auf der schmalen Straße, über die wir kurven. Als ob die Zeit vor 100 Jahren stehen geblieben wäre. Und über allem ragen steile,schroffe Berggipfel, umgeben von Gletschern und Schneefeldern, empor. Eine herrliche, wilde Hochgebirgswelt.
Unser erstes Ziel ist Matseri, ein kleiner Ort in einem Hochtal nahe der russischen Grenze, der nur über eine holprige Piste zu erreichen ist. Allerdings ist man gerade dabei die Straße zu teeren. Auch gibt es bereits Ansätze des wieder auflebenden Tourismus, fast jedes Haus vermietet Gästezimmer und es gibt beschilderte Wanderwege. Wir wollen hier ebenfalls einige Touren unternehmen. Für unseren Bus finden wir einen herrlichen Stellplatz auf einer Wiese außerhalb des Ortes mit grandioser Sicht auf gletschergekrönte Viertausender. Am Nachmittag kommen wir von einem kleinen Spaziergang gerade rechtzeitig zurück, bevor ein heftiges Gewitter mit Platzregen niedergeht. Es blitzt und donnert fürchterlich, während wir gemütlich im Bus bei Kaffee und Keksen sitzen. Welch ein Luxus.
Die Nacht war kalt, morgens sind es nur 5 Grad. Schon um 8.00 Uhr stehen wir am Beginn des Wanderweges über den 2.954 m hohen Guli-Pass. Es geht zunächst von Matseri bergauf über Wiesen zu einem verlassenem Bergdorf. Mit uns steigen etliche Kühe den Weg zu den Almwiesen empor. Dann wird der schmale Pfad steiler und bald laufen wir schwitzend in kurzer Hose und T-Shirt in Serpentinen der Hang hoch. An einigen Hirtenhütten, an denen Pferde grasen, machen wir Rast. Es bietet sich ein herrlicher Ausblick auf den nun schon 400 m unter uns liegenden Ort und die Berge. Imposant ist aber vor allem der Blick auf die mächtige und schroffe Felsspitze des über 4.700 m hohen Ushba und seinen Gletscher am Ende des Tales. Nun wird der Pfad erst richtig steil. Es geht über subalpine Wiesen mit vielen knallblauen Enzianblüten und gelben Herbstzeitlosen hinauf, bis wir nach 4,5 Stunden und 1.500 Höhenmetern Aufstieg den spektakulären Pass. Eine grandiose Rundumsicht auf die vielen vergletscherten Bergketten ist der Lohn für die anstrengende Kraxelei.
Auf gleichem Weg geht es dann 4 Stunden wieder Tal. Im einzigen Geschäft des Dorfes, das die Größe einer Garage hat, kaufen wir Brot. Es gibt ansonsten an Lebensmitteln nur noch einige Konserven, Reis und Nudeln. Gemüse oder Obst, Milch, Wurst und Käse produzieren die Bauern selber.Am nächsten Tag beschweren sich unsere Beine sehr nachdrücklich über die gestrige Wanderung. Sie haben heute Schonzeit.
Wir fahren das Tal hinunter nach Mestia, der Hauptstadt Swanetiens und gleichzeitig das Tourismuszentrum der Region. Wir sehen sehr viele Wanderer im Ort und treffen auch auf etliche deutsche Touristen. Praktisch jedes Haus ist eine Pension, viele Gärten sind zu einem Campingplatz umfunktioniert. Es gibt auch einige Hotels und natürlich viele Restaurants und Cafes, auch kleine Läden und Lebensmittelgeschäfte. Trotzdem ist es noch immer ein Bauerndorf mit Misthaufen am Haus und Kühen und Schweinen auf der Straße, auch wenn es schon ziemlich touristisch hier ist. Wir kaufen Obst, Gemüse und das herrliche georgische Fladenbrot (noch warm aus dem Holzkohlenofen) und unternehmen zunächst eine kurze Wanderung durch herrlichen Nadelwald bis zum Gletscher des Chalaati.
Dann stellen wir den Bus auf einem der winzigen Campingplätze ab, man wohnt praktisch im Obstgarten der Vermieter. Es gibt aber immerhin eine warme Dusche, Wasser aus dem Hahn und einen Unterstand mit Bänken und Tischen. Am Nachmittag bummeln wir durch den alten Ort. Besonders gut gefallen uns die urigen Bauernhäuser aus Bruchsteinen und die zahlreichen Wehrtürme aus dem 8.Jahrhundert, die im ganzen Dorf verteilt sind und den Einwohnern bei Angriffen eine Zuflucht boten. Olaf verfällt in einen wahren Fotorausch, neben den als UNESCO-Weltkulturerbe geadelten Wehrtürmen haben es ihm vor allem die vielen ähnlich alten LKW aus russischer Produktion angetan.
Am nächsten Morgen kommen wir erst spät los, denn wir tauschen uns intensiv mit anderen Reisenden über unsere jeweiligen Erlebnisse und Erfahrungen aus. Es ist immer sehr schön, Menschen zu treffen, die unsere Leidenschaft für das Entdecken fremder Länder teilen und denen das Unterwegs-sein wichtiger ist als der materielle Komfort zu Hause. Zunächst steht eine Halbtageswanderung über einen Höhenzug oberhalb von Mestia an. Die neue Seilbahn bringt uns ein Stück hinauf, die restlichen 500 Höhenmeter müssen wir selber bewältigen. Leider hängen die höchsten Gipfel in den Wolken, aber trotzdem ist es eine lohnende Tour mit vielen schönen Ausblicken in die Täler und die Berge. Mit einem aufziehenden Gewitter sind wir wieder am Auto und fahren weiter in Richtung des auf 2.200 m liegenden Dorfes Ushguli. Das Wetter verschlechtert sich jedoch, so dass wir nach ca. 20 Kilometern uns einen gemütlichen Stellplatz auf einer Bergwiese suchen. Hier trinken Tee und genießen wieder einmal den Luxus unseres regenfesten Zuhauses.Die Nacht war kalt, morgens ist die Wiese gefroren. Aber der Himmel leuchtet klar und blau und wir frühstücken in der warmen Morgensonne vor einem herrlichen Bergpanorama. Es war eine gute Entscheidung, gestern nicht weiter zu fahren. Die Landschaft unserer weiteren Strecke ist bei schönem Wetter einfach ein Traum. Es geht durch ein enges, bewaldetes Tal. Ab und an sehr urige, winzige Weiler. Irgendwann hört der Betonbelag der schmalen Straße auf und wir holpern mit 10 -15 km/h vorwärts.
Bei Gegenverkehr muss man in Haltebuchten ausweichen, unter uns braust der Gebirgsfluss. Teilweise wird das Tal zu einer engen, felsigen Schlucht. Eine sehr beeindruckende Strecke. Absolut einmalig ist dann der archaische Ort Ushguli, der UNESCO-Welterbe ist. Wir fühlen uns wirklich ins Mittelalter zurückversetzt, als wir zwischen den Bruchsteinhäusern und Wehrtürmen über die unbefestigten, schmalen Gassen schlendern. Eine Muttersau mit ihren Ferkeln saust uns quiekend entgegen. Pferde und Kühe laufen frei umher. Ringsum sind Wiesen mit Heuhaufen und kleine Gemüsegärten. Alles sieht für uns Touristen aus wie eine romantische Filmkulisse, aber das Leben als Selbstversorger in diesen dunklen Steinhäusern, mit dem Brunnen und dem Plumpsklo im Hof, muss sehr entbehrungsreich sein, besonders im oft acht Monate dauernden Winter.
Der Tourismus bringt zusätzliches Einkommen. Der viertägige Fernwanderweg Mestia – Usguli ist sehr beliebt und bringt Übernachtungsgäste. Mit den Kleinbussen, den Madruschkas, kommen auch viele Tagestouristen Es gibt etliche Gästehäuser, Zeltmöglichkeiten und Cafes. Gott sei Dank ist die Straße hierher noch so unbequem, dass der Massentourismus mit großen Reisebussen ausbleibt. Wir finden einen wunderbaren Stellplatz mit Blick auf den Ort und die nahen, über 5.000 m hohen Berge.
Am nächsten Morgen heißt es schon um 6.00 Uhr aufstehen, denn in der Frühe ist es noch wolkenlos. Eine großartige Fernsicht und ein wunderbares Licht, die Bergriesen und ihre Gletscher liegen in den ersten Sonnenstrahlen zum Greifen nahe. Das Ziel unserer Wanderung ist der Gletscher des 5068 m hohen Schchara, dem höchsten Berges Georgiens. Wieder ist es gut unter Null Grad als wir losgehen, der Weg führt acht sehr bequem über einen Wiesenfahrweg durch ein sonniges Tal, so dass wir rasch warm werden. An den Hängen wird Heu mit Sense und Heugabel gemacht. Während des ganzen Weges genießen wir den wunderbaren Blick auf die schroffe Bergkette am Talende, traumhaft schön.
Dann folgt noch eine halbe Stunde leichter Aufstieg und wir stehen vor der Gletscherzunge. Auf gleichem Weg geht es wieder zurück. Die ganze Zeit hat uns eine Meute von acht Dorfhunden, die rings um unseren Bus geschlafen haben, auf Schritt und Tritt begleitet. Sie lassen sich gerne streicheln, haben aber sonst mit unseren verwöhnten Schoßhunden nichts gemeinsam. Es sind sehr dünne, aber kräftige und muskulöse große Tiere, die ausdauernd laufen können. Der Anführer der Horde sieht aus wie ein Bär. Den Nachmittag verbummeln wir am Bus, auch einige unserer treuen Hunde gesellen sich wieder zu uns und verteidigen ihr neues Revier tapfer gegen eine Rotte Hausschweine, die es auf unsere Küchenabfälle abgesehen hat. Die Schweine sind aber erstaunlich selbstbewusst und beißen die Hunde weg, die sich dann unter unserem Bus in Sicherheit bringen. Dann verlassen wir Ushguli über die unglaublich schlechte Piste, die wir auch auf dem Hinweg gefahren sind. Eigentlich wollten wir weiter über die Zagarpasstraße weiter fahren, aber diese Piste ist nochmals deutlich schlechter und wäre mit unserem Bus nicht machbar.
Unser letzter Tag in Swanetien führt uns in das kleine Bergdorf Tsvirmi, das nur über einen einspurigen Feldweg zu erreichen ist. Der sehr idyllische Ort liegt auf einer sonnigen Hochfläche über dem Tal. Die winzigen Bruchsteinhäuser sind von Gemüsegärten umgeben. Kirche und Dorfbrunnen sind Mittelpunkt des Ortes. Hier herrscht ganz normales Dorfleben, zur Zeit wird gerade das Heu mit Ochsenschlitten eingefahren. Eine Muttersau mit zehn winzigen, niedlichen Ferkeln tummelt sich auf dem Weg. Die einzigen Touristen sind hier Wanderer auf dem Trail Mestia-Ushguri und für die gibt es viele Übernachtungsmöglichkeiten in den Bauernhäusern. Olaf fährt mit dem Auto nach Mestia weiter, während ich den Weg zu Fuß über die Berge nehme. Ein spontaner Abstecher zu einem Aussichtspunkt abseits des Wanderweges entpuppt sich als äußerst schweißtreibende Angelegenheit. Über eine Stunde sind querfeldein supersteile Wiesen- und Geröllhänge empor zu kraxeln. Aber es macht auch Spaß, eine wunderschöne Wanderung mit herrlichen Ausblicken auf Gipfel, Gletscher und Täler. Nach 4,5 Stunden treffen wir uns am Bus wieder, nun geht es 100 Kilometer wieder zurück ins Flachland. Kurz vor dem Ort Jvari übernachten wir wieder auf dem gleichen Stellplatz wie auf dem Hinweg.
Mensch das klingt traumhaft!! Ich umarme euch fest aus der Ferne, genießt eure Freiheit und Abenteuer…